USA, EU, Russland, Ukraine, Deutschland
Inzwischen kann es keinen Zweifel mehr geben, dass der Krieg in der Ukraine zum Stellvertreterkrieg wurde. So titelte die Washington Post am 10.5. 22 “Russland hat Recht: die USA führen einen Stellvertreter-Krieg in der Ukraine“ und schlug vor, da das nun klar sei, künftig darüber zu schweigen.
Aber es schweigt sich schwer. Und so berichtete die Washington Post jüngst auch haarklein zu den Überlegungen der US-Administration, wie die Kriegsstrategie aussieht: Ein langer Krieg.
“The Biden administration hopes that the new weaponry, in addition to successive waves of sanctions and Russia’s diplomatic isolation, will make a difference in an eventual negotiated conclusion to the war, potentially diminishing Putin’s willingness to keep up the fight, the official said.
Even if that reality does not materialize immediately, officials have described the stakes of ensuring Russia cannot swallow up Ukraine — an outcome officials believe could embolden Putin to invade other neighbors or even strike out at NATO members — as so high that the administration is willing to countenance even a global recession and mounting hunger.”
Übersetzung
Die Biden-Administration hofft, dass die neuen Waffen, zusätzlich zu den aufeinanderfolgenden Sanktionswellen und der diplomatischen Isolation Russlands, einen Unterschied bei einem schließlich ausgehandelten Ende des Krieges bewirken und möglicherweise Putins Bereitschaft, den Kampf fortzusetzen, verringern werden, sagte der Beamte.
Selbst wenn diese Realität nicht sofort eintritt, beschrieben Beamte die Herausforderung, sicherzustellen, dass Russland die Ukraine nicht verschlingen kann – ein Ergebnis, von dem Beamte glauben, dass es Putin bestärken könnte, in andere Nachbarn einzudringen oder sogar NATO-Mitglieder anzugreifen – als so hoch, dass die Regierung dazu bereit ist, sogar eine weltweite Rezession und zunehmenden Hunger hinnehmen.
Im gleichen Artikel wird öffentlich, dass durch westliche Sanktionen verursachte globale Turbulenzen bereits vor Kriegsausbruch im US State Department besprochen worden sind.
Der ukrainische Außenminister hat in einem Artikel in Foreign Policy nun deutlich gemacht, „wie die Ukraine gewinnen wird“.
Im Bereich der Waffenlieferungen laufen die Forderungen im Kern auf eine neue Armee hinaus: neue Flugzeuge, Schiffe, schwere Artillerie, Waffen und Munition.
Die kampfwilligen, wehrtüchtigen Ukrainer, die dann heroisch kämpfen werden, sind gesetzt, und das, nachdem inzwischen annähernd verlässliche Zahlen vorliegen, wie hoch die ukrainischen Verluste sind: Zwischen 200 und 500 Menschen fallen täglich im Kampf, weitere 500 werden verwundet. Zudem gibt es zivile Opfer. Nach mehr als 100 Kriegstagen hat die Ukraine also einen enormen Blutzoll bezahlt und gleichzeitig Territorium verloren.
Die westliche Sanktionspolitik hat Russland nicht in die Knie gezwungen. Die sie entwarfen, hatten ein völlig falsches Welt-Bild. Die Sanktionen wirk(t)en nicht, wie erwartet. Sie schlagen auf den Westen zurück, aber leider auch auf völlig Unbeteiligte am großen West-Ost-Konflikt.
Russland ist nicht das rückständige Land, das in die Knie geht, weil der Westen es in die Knie zu zwingen sucht. Russland ist international nicht isoliert.
Die wenigsten Staaten heißen das russische Vorgehen gegen die Ukraine gut. Einen Völkerrechtsbruch kann und darf man auch nicht gutheißen.
Dem SPD-Vorsitzenden dagegen ging völlig der Kompass verloren, als der von deutscher „Führungsmacht“ tönte und behauptete „Realistische Friedenspolitik bedeutet aber auch, militärische Gewalt als legitimes äußerstes Mittel der Politik zu sehen.“
Das dürfte Putin gefreut haben, denn so sieht der seinen Angriff auf die Ukraine auch.
Immer mehr Staaten verstehen, dass das westliche Mantra vom „anlasslosen Krieg“ nicht stimmt und die Selbstwahrnehmung der USA und der NATO mit den Realitäten nichts mehr zu tun hat.
Die USA sind kein globaler Friedensengel und ihre westlichen Verbündeten singen nicht nur ein frommes Hallelujah. Sehr viele Staaten wissen das aus eigenem Erleben.
Je erbitterter der Westen heute um das Narrativ seiner Kriegsbeteiligung am Ukraine-Krieg ringt, und „Putin ist schuld“ schreit, um so deutlicher entblößt sich die Heuchelei.
Aber schlimmer noch:
Mit jedem Tag, den dieser Stellvertreterkrieg sich weiter hinzieht, wird offensichtlicher, dass die Kriegsgründe Russlands, die Bedrohung seiner Existenz, nicht aus der Luft gegriffen waren. Paradoxerweise bestätigen die westlichen Reaktionen auf den Ukraine-Krieg regelrecht die russische Sichtweise und führen dazu, dass sich wichtige Staaten nunmehr offen mit Russland solidarisieren.
Die EU hat sich entschieden. Sie setzt auf das atlantische Bündnis und ist an der Seite der Ukraine de facto Kriegspartei.
Dennoch sollten sich deutsche und europäische Politiker ganz genau die Antwort des US-Präsidenten auf der Zunge zergehen lassen, als dieser am 21.6. gefragt wurde, ob bei einem langen Krieg nicht die Allianz bröckeln könnte. Darauf antwortete Biden: Er erwARTE „eine Art Geduldsspiel: Was Russland aushalten kann und was Europa bereit wäre, auszuhalten“ (ab Min 9:50)
Damit ist eindeutig, wer hier gewinnt, und wer notfalls den Schwarzen Peter zugeschoben bekäme, falls die EU doch „kriegsmüde“ werden sollte, unter der Last der Sanktionswirkungen, oder aus strategischen Gründen einer Verhandlungslösung den Vorzug gäbe. Um das zu verhindern werden wir eingeschworen: Nicht wanken, nicht weichen, nicht jammern über Inflation und Wohlstandseinbußen. Das tun nur Fahnenflüchtige (und so was wird im Krieg erschossen.)
Gleichzeitig wird wie nebenbei auch der in Washington nicht gern gesehene Plan einer eigenständigeren globalen Rolle der EU (strategische Autonomie) versenkt und dafür gesorgt, dass sich ein wichtiger ökonomischer Mitwettbewerber selbst kastriert. Deutschland führt den Zug der Herde, die willig zur Schlachtbank ihres Wohlstands trottet, mit großem Stolz und noch größerer Verblendung an.
Aber Biden benannte auch das große Unbekannte: Wieviel kann Russland aushalten?
Der amerikanische Politologe Mearsheimer, der – wie nur wenige – stets klar sah, was sich in westlicher Mitverantwortung in der Ukraine an Konfliktpotential zusammenbraute, hat darauf bereits vor vielen Jahren eine Antwort gegeben: Alles, wenn es um die Existenz geht.
Auch der ehemalige ukrainische Präsident Poroshenko hat in den letzten Tagen viel Kommunikationsarbeit geleistet. Ihm droht in der Ukraine ein Gerichtsverfahren wegen Landesverrat und Korruption (er betrachtet das als politische Verfolgung), und also nutzt er jede Gelegenheit, seine historische Rolle ins rechte Licht zu rücken und sich als „guter Ukrainer“ zu präsentieren. Er gab auch der Deutschen Welle ein Interview.
Er startete (unwidersprochen) mit einer Lüge, die aber inzwischen zum westlichen Narrativ gehört: Russland hätte 2014 den Donbass okkupiert.
Tatsächlich lancierte die damalige Übergangsregierung die ATO (zum Schutz vor Terrorismus und zum Schutz der territorialen Integrität) gegen die zwei Donbassregionen, die sich den neuen Machthabern in Kiew nicht unterwerfen wollten (und das gleiche machten, was vorher der Maidan fabrizierte: die Besetzung von offiziellen Gebäuden)
Poroshenko strich im Interview heraus, dass das Minsk II Abkommen der Ukraine Zeit verschafft hätte, sich militärisch und wirtschaftlich für den Krieg zu rüsten (was de facto ein Eingeständnis war, dass die ukrainische Seite nie vorhatte, dieses Abkommen zu verwirklichen, was von der Reporterin aber nicht thematisiert wurde).
Außerdem forderte er die „Entputinisierung“. Das wollte die Reporterin dann doch genauer wissen, und Poroshenko erklärte: Alles muss entputinisiert werden: Europa, die Ukraine, Russland. Denn Putin sei eine existentielle Gefahr für Europa, für die ganze Welt, der betrachte auch Dresden als sein Eigentum.
Das europäische Grundproblem heißt nicht Putin. Es ist die fehlende europäische Sicherheitsarchitektur, die allen Staaten gleichermaßen Sicherheit gibt. Denn Sicherheit ist unteilbar. Solange das nicht verwirklicht ist, ist niemand in Europa jemals sicher.
Eine derartige Sicherheitsordnung lässt sich weder durch Sanktionen, Dämonisierung noch Hass erreichen, nicht durch Militarisierung, nicht durch Krieg. Es geht auch nicht, in dem man immer „Desinformation“ und „Putin-Propaganda“ bemüht. Es geht nur auf dem Verhandlungsweg, in der Erkenntnis, dass Geographie geteiltes Schicksal ist.
Russland hatte seine Verhandlungsposition im Dezember 2021 öffentlich gemacht. Der Westen war nicht interessiert, zu reden oder gar zu verhandeln. So wählten beide Seiten am Ende den Krieg – eine Seite begann, die andere nahm ihn erst (verurteilend) in Kauf und stürzte sich dann mitten in die Schlacht.
Nun ist alles Vertrauen zerbrochen und viel Leid geschehen.
Aber die Scherben ließen sich aufsammeln, behutsam zusammenfügen wie in der japanischen Technik des Kintsugi. Einfach wäre das überhaupt nicht, aber jeder Mühe Wert.
Nur dann hätte das ganze Unglück, das schon verursacht wurde und noch wird, wenigstens noch irgendeinen Sinn.
Tatsächlich sind aber ganz gegenläufige Tendenzen im Gange. Großbritannien bietet der Ukraine eine Allianz an.
Der britische Oberbefehlshaber der Armee schwört seine Soldaten ein, sich auf den 3. Weltkrieg vorzubereiten.
Die USA sinnieren über eine engere militärische Allianz mit Polen, Großbritannien, den drei baltischen Staaten und der Ukraine.
Deutschland ist im Barbarossa-Wahn und sieht sich schon als „größte konventionelle Streitmacht Europas“.
Die EU macht Symbolpolitik, gibt der Ukraine eine Beitrittsoption, nur dass niemand weiß, ob das die Ukraine in den Grenzen von 2013 sein wird oder was von ihr übrig bleibt, nach einem langen Krieg. (Der Spiegel schrieb, man glaube in Berlin – hinter vorgehaltener Hand – ukrainische Territorialverluste im Krieg gegen EU-Mitgliedschaft wären ein Deal, ach ja?)
Wenn das so alles so weiter geht, Fakten und Vernunft vollends flöten gehen, wird sich Europa verzehren und der Welt zum letzten Fluch.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem Blog der Autorin, mit ihrer freundlichen Genehmigung.
Letzte Kommentare