Wie Journalist:innen die Transformation der Medien erleben

Vorwort

Ukraine-Krieg, Klima- und Coronakrise, hohe Inflation, steigende Energiepreise oder die wachsenden globalen Ungerechtigkeiten – fast alles, was wir über die Welt und die drängenden Themen unserer Zeit wissen, erfahren wir über Massenmedien. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, dass wohl kaum ein zweiter Bereich vom Megatrend der Transformation so stark getroffen ist wie die Medienbranche und ihre Beschäftigten.

Blickt man auf die mittelfristigen Trends, so zeigt sich ein deutlicher Schwund in den Vertriebs- und Anzeigenerlösen – die Transformation des deutschen Mediensystems mit der Digitalisierung als ihrem größten Treiber geht mit ökonomischen Krisenfaktoren einher, insbesondere in den privatwirtschaftlichen Unternehmen. Regelmäßig kritisieren Branchenverbände Kahlschläge nach demselben Prinzip: weniger Ressourcen für Qualitätsjournalismus, mehr für schnelle „Contentproduktion“ im Internet. Hinzu kommen Konsequenzen, die nicht von der Hand zu weisen sind. Mit dem digitalen Wandel „endet die Gatekeeper-Funktion der klassischen journalistischen Medien. Sie bestimmen nicht länger, welche Themen auf welche Weise öffentlich werden“, konstatierte etwa die Landesanstalt für Medien NRW im Mai 2021. Wären dies nicht schon genug Herausforderungen, trifft der in Teilen der Bevölkerung zu konstatierende Vertrauensverlust gegenüber gesellschaftlichen Institutionen auch die Medien. „Politikern, Managern, Nichtregierungsorganisationen und Medien wird weniger ver- und zugetraut“, stellte FAZ-Herausgeber Carsten Knop schon vor einigen Jahren fest. Immer häufiger bleibt es nicht „nur“ bei Vorwürfen einseitiger oder unkritischer Berichterstattung, es kommt auch zu Bedrohungen und Gewalt, insbesondere durch rechtsextreme Kreise. Organisationen wie die Deutsche Journalist:innen-Union in verdi (dju), der Deutsche Journalist:innenverband (DJV) und „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) versuchen durch wichtige Initiativen Hilfestellung zu leisten – so wurde 2021 ein „Kodex für Medienhäuser“ entwickelt, der von Verlagen und Sendern eine frühzeitige Unterstützung betroffener Mitarbeiter:innen einfordert. Unbeantwortet ist jedoch bis heute die Frage, welche (psychischen) Auswirkungen all diese Faktoren der medialen Transformation auf die Journalist:innen selbst haben – als berufliche Profis und als dahinter stehende Menschen.

Die Otto Brenner Stiftung ist dankbar, dass diese Wissenslücke nun in einer interdisziplinären Untersuchung geschlossen wird, für die wir ein Forschungsteam der Hochschule Fresenius Heidelberg gewinnen konnten. Unsere Pilot-Studie verbindet einen arbeits und organisationspsychologischen Forschungsansatz mit medienwissenschaftlicher und -praktischer Perspektive. Das Team interviewte zunächst 20 hauptberufliche Journalist:innen aus verschiedenen Mediensegmenten und überprüfte die daraus gewonnenen Erkenntnisse dann in einer Online-Befragung.

Die Ergebnisse der innovativen OBS-Studie machen einen dringenden Diskussionsbedarf in der Medienbranche und in der Öffentlichkeit deutlich: Nach Wahrnehmung der befragten Journalist:innen bedingen digitaler Wandel, ökonomische Krise und Vertrauensverlust einen noch größeren Stress eines sowieso schon durch hohe Beanspruchung gekennzeichneten Berufslebens. In den Interviews hält mehr als die Hälfte der Befragten die Publikumskritik am Journalismus für (bedingt) richtig – und die wahrgenommenen Defizite in der Berichterstattung werden häufig in einen Zusammenhang mit zunehmender Arbeitsverdichtung und -belastung gestellt. Damit sehen die Interviewten eine Mitverantwortung der Medien an der Vertrauenskrise. Auch in der Online-Befragung stellt die Mehrheit einen Qualitätsverlust im Journalismus insgesamt fest. Bei vielen Medienschaffenden, vor allem jüngeren, besteht zudem Sorge um die Jobsicherheit. Fast 60 Prozent gaben an, dass sie in den vergangenen zwölf Monaten wiederholt an das Aufgeben des Berufs gedacht haben. Und nicht weniger alarmierend: Die Studienergebnisse belegen deutliche psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz, Tendenz steigend, aus denen sich ein statistisch erhöhtes Gesundheitsrisiko für körperliche und psychische Folgeerkrankungen (zum Beispiel Burn-out) ableiten lässt.

Hier sind die Interessenvertretungen der Journalist:innen mit ihrer Kompetenz für praxisnahe Problemlösung besonders gefragt, da zahlreiche Medienhäuser ihre Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitenden nicht wahrzunehmen scheinen: Wiederholt beklagten die teilnehmenden Medienschaffenden in diesem Kontext mangelnde Unterstützung von Arbeitgeberseite. Das vielbeschworene Credo, Qualitätsjournalismus zu erhalten, wird an einer zentralen Stelle – dem Wohlbefinden der Medienmacher:innen – viel zu wenig oder gar nicht eingelöst. Darüber hinaus müssen sich eine selbstkritische Zivilgesellschaft sowie engagierte Medienhäuser und -politik eine noch weitergehende Frage stellen: Wohin entwickelt sich die demokratische „Mediengesellschaft“, wenn in Zeiten von Fake News, Hassrede und Verschwörungsnarrativen Journalist:innen zunehmend überbeansprucht sind? Dass die Gefahr erkannt wird, ist Voraussetzung dafür, dass auch die Folgen gebannt werden. Wir hoffen, dass unsere Studie dazu anregt und genutzt wird.

6 Erkenntnisse, Empfehlungen, Fazit

6.1 Zentrale Erkenntnisse der Studie

Die Profession Journalismus ist aus gesundheitspsychologischer Sicht traditionell ein Job mit hohen Belastungen und Beanspruchungen und Journalist:innen gehören zu der Gruppe der „gefährdeten Berufstätigen“ („at risk professionals“, Monteiro et al. 2016: 16). Dies zeigten auch wiederholt die Daten dieser Mixed-Methods-Studie. Nach Einschätzung der befragten Journalist:innen hat sich ihr wahrgenommener Arbeitsstress im Kontext der genannten transformationalen Einflussfaktoren erhöht. Durch den Einsatz standardisierter und validierter psychometrischer Messinstrumente konnten deutliche Hinweise auf psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz festgestellt werden. Dies bezieht sich auf erhöhte Werte auf der Burnout-Skala „Mentale Erschöpfung“ sowie auf ermittelte berufliche Gratifikationskrisen. Daraus lässt sich ein statistisch erhöhtes Gesundheitsrisiko für körperliche und psychische Folgeerkrankungen sowie ein erhöhtes Risiko für Krankheitstage und Frühverrentungen ableiten. Prospektive epidemiologische Untersuchungen bei mehr als 80.000 erwerbstätigen Männer und Frauen aus 13 europäischen Ländern zeigten zum Beispiel, dass die Wahrscheinlichkeit der Manifestation einer klinisch relevanten depressiven Symptomatik bei Beschäftigten, die unter ausgeprägten beruflichen Gratifikationskrisen leiden, im Mittel doppelt so hoch ist wie bei Beschäftigten ohne entsprechende Exposition (Siegrist 2013).

Ebenfalls bestätigte sich die bisherige Forschungslage, dass ein Großteil der Stressoren, die Reaktionen auf diese sowie deren Auswirkungen stark in der Arbeitssituation und -organisation begründet liegen und tätigkeitsabhängig sind (Monteiro/Marques-Pinto 2017: 14). Beispiele sind Zeitdruck, Arbeitsverdichtung, damit verbundene Erhöhung von geforderter Flexibilität, sowie die permanente arbeitsbezogene Erreichbarkeit (Pangert et al. 2016), welche die von den Interviewten geschilderten Überforderungssituationen mitentstehen lassen. Passend dazu zeigt sich auch nur eine moderat affektive Identifikation mit den ,eigenen‘ Medienunternehmen.

Aus beiden Studienteilen sind dem Ressourcenmodell folgend Bewältigungsstrategien erkennbar, in denen die Journalist:innen versuchen diesen Beanspruchungen etwas Positives entgegenzusetzen. Aus gesundheitspsychologischer Sicht werden hier die Ressourcen geschaffen, die diesen negativen Effekten entgegenstehen und sie abmildern bzw. auffangen können (Bakker/Demerouti 2017). Im quantitativen Teil zeigten sich vor allem soziale Unterstützung (Halbesleben 2006), Erholung in der Freizeit (Recovery; Sonnentag et al. 2022) und lösungsorientiertes Vorgehen (Lazarus/Folkmann 1984) als angewandte Bewältigungsstrategien. In der qualitativen Studie wurden die Bewältigungsstrategien deutlicher expliziert. Über die genannten Strategien hinaus rückt hier das Individuum stärker in den Vordergrund und individuelle Resilienz sowie persönliche Ressourcen und Stärken werden als wesentliche Faktoren zum Selbstschutz benannt (dies ist kongruent mit den gängigen gesundheitspsychologischen Theorien, vgl. Conservation of Ressources Theory, Hobfoll 1989). Aber es wurden auch Wünsche nach organisationaler Unterstützung laut bzw. es wurden positive Effekte der Arbeitssituation (beispielsweise mehr räumliche und zeitliche Flexibilität durch Digitalisierung, vgl. auch Schmidt 2017) benannt.

In Bezug auf ihre Bewältigungsstrategien brachten die im Interview befragten Journalist:innen mehrheitlich zum Ausdruck, dass ihre vorhandenen Ressourcen insgesamt nicht ausreichend sind und ihr ohnehin schon beanspruchender Job mit seinen ,kalkulierten‘ Risiken durch die Herausforderungen der medialen Transformation zusätzlich erschwert wird. Die quantitativen Ergebnisse unterstreichen diese Aussagen.

Der im qualitativen Studienteil beschriebene Wertekonflikt, sowie Identifikationskrisen und die Kritik des Publikums (Vertrauenskrise) belasten das professionelle Selbstbild. In Konsequenz scheint eine Bewältigungsstrategie das ,Dagegenhalten‘ zu sein, sprich das bewusste Leben und Verteidigen journalistischer Werte und Qualitäten (zumindest nach außen), auch um sich selbst und den eigenen Selbstwert vor Ansehensverlust zu schützen. In den Interviews waren die Journalist:innen deutlich selbstkritischer und auch der eigenen Branche gegenüber kritischer als in der Online-Befragung. Dort zeigte sich durchgängig, dass die wahrgenommenen Vorwürfe gegenüber der Medienbranche deutlich schärfer ausfielen als die Selbsteinschätzung der Befragten über die Leistung der Kolleg:innen. Nochmals positiver fiel in der Online-Befragung das persönliche Selbstbild aus. Dies spricht einerseits dafür, dass „die Selbstauskünfte der Journalisten zu einem Gutteil auch auf wünschenswerte Normen und Ansprüche dahin gehend rekurrieren, wie Journalismus in [einer sich vom tagtäglichen Redaktionsalltag unterscheidenden] idealen Welt beschaffen sein sollte“ (Seethaler et al. 2019: 249); andererseits zeigen die qualitativen Interviewergebnisse, dass es sich hier offensichtlich um sensible Informationen handelt, die in der Online-Befragung vielleicht mitunter zu schnell bzw. oberflächlich verarbeitet und wenig reflektiert werden. Dies legt nahe, dass qualitative Verfahren in diesem spezifischen Themenkomplex geeignetere Verfahren sein könnten als quantitative Befragungen.

Aus medienwissenschaftlicher und -praktischer Perspektive liegt ein besonders relevantes Ergebnis dieser Studie darin, dass ein Großteil der Journalist:innen meinen, dass der Journalismus in Deutschland insgesamt an Qualität verloren hat und journalistische Standards zunehmend nicht eingehalten werden. Die Befragten führen den Qualitätsverlust maßgeblich auf den durch die medienökonomischen Krisenfaktoren und den dadurch weiter gewachsenen Arbeitsstress zurück. Die statistische Analyse ergab an dieser Stelle einen signifikanten Zusammenhang. Die Journalist:innen sehen in der Wahrung bzw. Steigerung journalistischer Qualität einen wesentlichen Faktor für einen erfolgsversprechenden Umgang mit den Herausforderungen der medialen Transformation.

In den Interviews haben etliche Journalist:innen die defizitäre Umsetzung journalistischer Standards in Bezug zur digitalen Transformation gesetzt, konkret zu eher zugespitzten oder gar reißerischen Online-Inhalten, und insbesondere zur weiter gewachsenen, ökonomisch bedingten Arbeitsverdichtung, die eine tiefgründige Recherche allein schon aus zeitlichen Gründen schwieriger macht. Diese durchaus selbstkritische Sichtweise zeigt sich im Kontext des qualitativen Studienteils auch in dem in der Medienwissenschaft bisher kaum thematisierten Umstand, dass mehr als die Hälfte der befragten Journalist:innen die Kritik aus dem Publikum für bedingt richtig hält und viele eine Mitverantwortung der Medien am Vertrauensverlust in Teilen der Bevölkerung sehen.

Dabei geht es, wie in den Interviews wiederholt betont wurde, keineswegs um die Affirmierung einschlägiger Verschwörungsnarrative, wonach Journalist:innen etwa Teil eines obskuren manipulierenden Machtsystems sein sollen. Vielmehr wird von den Medienschaffenden beispielsweise eingeräumt, dass in manchen Fällen, freilich nicht pauschal bzw. grundsätzlich, gesellschaftsrelevante Themen nicht perspektivenreich genug behandelt werden und die Berichterstattung dadurch einseitig oder zumindest defizitär wirken kann – oder es definitiv ist. Hingegen liegt im quantitativen Studienteil die Tendenz vor, dass die befragten Journalist:innen eine eigene Mitverantwortung für den Vertrauensverlust in Teilen der Bevölkerung von sich weisen. Sie realisieren zwar die aus dem Publikum kommende Kritik, dass Medien einseitig bzw. zu unkritisch berichten oder sich von der Politik instrumentalisieren lassen. Doch zugleich betonen sie, dass sie selbst und überwiegend auch die journalistischen Kolleg:innen objektiv berichten und die Vorwürfe nicht zutreffen. In diesem quantitativen Kontext liegt eine Spiegelung der Ergebnisse der von Hanitzsch und Kolleg:innen in den Jahren 2014 und 2015 durchgeführten Befragung von Journalist:innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz vor (Hanitzsch et al. 2019). Als dominant erwies sich auch dort ein Rollenverständnis, das „auf neutrale Information, unparteiische Vermittlung und sachliche Analyse abzielt“ (Seethaler et al. 2019: 248) –gleichzeitig aber sahen zwei Drittel der befragten Journalist:innen einen Glaubwürdigkeitsverlust und ein Drittel eine Reduktion der Bedeutung von Journalismus für die Gesellschaft (ebd: 249). In der beruflichen Selbstwahrnehmung der Journalist:innen offenbart sich hier laut Seethaler et al. eine „institutionale Resilienz“ (Seethaler et al. 2019: 255).

„Damit ist die Widerstandskraft gemeint, die der Journalismus (wie vermutlich auch andere gesellschaftliche Institutionen) dem Anpassungsdruck entgegensetzt, der durch die Veränderung der institutionellen Umwelten entsteht. Im professionellen Diskurs stemmen sich Journalisten, so scheint es, mit aller Macht gegen eine Welt, die sich verändert und den Journalismus in seinen Grundfesten erschüttert“ (ebd.).

Solche Selbstbeharrungskräfte, die auch als berufsethische Resilienz gedeutet werden könnten, zeigen sich in unserer Studie in einem weiteren Ergebnis: Zahlreiche Journalist:innen lassen in beiden Studienteilen klar erkennen, dass sie ihre professionelle Haltung nicht ändern oder ändern wollen. In den Interviews wie auch in der Umfrage zeigt sich ein bewusstes, hartnäckiges Festhalten am Ethos eines qualitativ anspruchsvollen Journalismus – während die Bedeutung, die Attraktivität sowie die Glaubwürdigkeit des Journalismus auch nach Wahrnehmung der Medienschaffenden sinken. Und dies in einer Zeit, in der gerade der Qualitätsjournalismus in einer demokratischen Gesellschaft mit aktuell polarisierenden Tendenzen, einer digitalen „Affektkultur der Extreme“ (Reckwitz 2018: 270) im Internet und immer neuen Herausforderungen und gravierenden Krisen, wie aktuell dem Russland-Krieg gegen die Ukraine, besonders wichtig ist. In dieser funktionalen Ambivalenz, die sich in einer deutlichen Divergenz von journalistischem Selbstverständnis bzw. Selbstbild und Fremdbild spiegelt und den meisten Medienschaffenden auch bewusst ist, liegt offenkundig ein aktuelles, zentrales Charakteristikum des Journalismus in Deutschland.

Die digitale Transformation mit ihrer radikalen Änderung der öffentlichen Kommunikation hat unter anderem die traditionelle Gatekeeper-Funktion, die publizistische Hoheit über die Themensetzung sowie einige Privilegien des Berufsstandes erheblich reduziert. Ökonomische Krisenfaktoren wiederum haben die Arbeitsbelastung und damit den Druck auf und Stress von Journalist:innen weiter verstärkt. Und ein Teil der Öffentlichkeit spricht ihnen ihre Glaubwürdigkeit ab, die Währung des seriösen Journalismus. Frustration bei Journalist:innen, auch Unsicherheitsgefühle und Zukunftsängste sind häufig, wie im qualitativen Studienteil zu sehen ist, die emotionalen Folgen dieser mehrschichtigen transformationalen Herausforderungen. Sie treffen einen Berufsstand, dessen Akteur:innen aufgrund ihrer spezifischen Aufgaben und Bedingungen schon per se einem hohen Stresslevel ausgesetzt sind.

Verständnis oder gar Empathie für ihre Situation können die Journalist:innen von jenem Teil des Publikums nicht (mehr) erwarten, der den „Hardlinern“ (Distelrath/Kraukemüller 2020: 73-76) zuzuordnen ist und sich von den ,klassischen‘ Medien weitgehend verabschiedet hat. Diese Bürger:innen, so ist anzunehmen, sind kaum oder nicht mehr zurückzugewinnen. Es geht aber wesentlich darum, jenen – immer noch großen – Teil der Rezipient:innen zu erreichen und zu halten, der, bei aller möglicher und auch wichtiger Kritik an einzelner Berichterstattung, ein intaktes Mediensystem als essenziellen funktionalen Faktor für eine lebendige Demokratie und eine (meinungs-)pluralistische Gesellschaft ansieht. Diese notwendige ,Kund:innenbindung‘ liegt im Interesse der Journalist:innen – und ist gleichzeitig ein strategisches Hauptziel der ökonomischen Seite von Medien. Aus der Perspektive von Journalist:innen mag darin eine bittere Ironie liegen, denn viele sehen, wie der qualitative Teil dieser Studie auch gezeigt hat, das Management ihres jeweiligen Unternehmens distanziert und kritisch, was dessen Umgang mit den transformationalen Herausforderungen und ökonomischen Problemfaktoren angeht. Doch es könnte sich gerade in dieser Schnittmenge der ,Kund:innenbindung‘ ein Weg nach vorne abzeichnen.

Die Studie untersuchte auch mögliche Generationenkonflikte im Kontext der digitalen Transformation. Wie ein Großteil der fest angestellten Journalist:innen in den Interviews verdeutlichte, sehen sie die Gefahr von Konflikten in Redaktionen zwischen älteren und jüngeren Journalist:innen. Die Risiken eines solchen Konflikts liegen unter anderem darin, dass publikumsorientierte Qualitätsoffensiven und redaktionelle Transformationsprozesse unter Umständen blockiert werden könnten. Auch und besonders mit Blick auf jüngere Journalist:innen hätte ein nachhaltiger Generationenkonflikt in Redaktionen gravierende Folgen. Sie haben in den vergangenen zwölf Monaten, so das Ergebnis der Umfrage, deutlich öfter als ihre älteren Kolleg:innen daran gedacht, den Beruf aufzugeben. Gerade im mittleren Alterssegment stecken wiederum nach Erkenntnissen aus dem qualitativen Studienteil viele Journalist:innen fest, was ihre beruflichen Perspektiven angeht. Blockadeeffekte aufgrund generativer Problemfaktoren können dazu führen, dass diese wichtige Gruppe mittleren Alters, die journalistische Erfahrung mit digitaler Expertise verbindet, zunehmend demotiviert wird und sich von ,klassischen‘ Medienunternehmen verabschiedet. Dies zu verhindern, liegt in der Verantwortung sowohl der ökonomischen als auch der publizistischen Akteure im Mediensektor.

6.2 Handlungsempfehlungen

Aus arbeits- und organisationspsychologischer Sicht sollten zunächst die mentale Gesundheit sowie die Arbeitsorganisation betrachtet werden. Es zeigte sich, dass für Journalist:innen, wie für Personen in anderen ,High Stress jobs‘, vor allem die Aspekte der Stärkung und der Aufrechterhaltung von positiven Ressourcen, die den negativen Beanspruchungen entgegenstehen, von großer Bedeutung sind. In diesem Kontext sind die Bewältigungsstrategien zentral. Auch wenn mentale Gesundheit immer wieder als ein individuelles Thema von den Proband:innen selbst genannt wurde, wird der Schutz der Gesundheit von Mitarbeitenden als Kernpunkt eines modernen betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) verstanden – sprich: die Organisation ist mitverantwortlich für die Gesundheit ihrer Mitglieder. Daraus lässt sich die Handlungsempfehlung ableiten, dass Medienunternehmen verstärkt psychologisches Gesundheitsmanagement, zum Beispiel in Form von Coachings und Supervisionen, anbieten sollten um Journalist:innen beim Schutz, Erhalt und idealerweise beim Aufbau ihrer protektiven psychischen Ressourcen zu unterstützen. Dies könnte auch die Identifikation der Journalist:innen mit ihren Medienunternehmen erhöhen. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit von psychologischer Unterstützung sollte sowohl auf Seiten des Managements als auch bei den Journalist:innen selbst ausgeprägter vorhanden sein.

In diesem Kontext kommt, neben einem funktionalen organisationalen BGM-Angebot, der Führungskraft eine zentrale Rolle zu. Führungskräfte haben, wenn sie um die Beanspruchungen ihrer Mitarbeitenden wissen, unterstützende Möglichkeiten und auch die Autorität eine Person gegebenenfalls vor sich selbst zu schützen. Moderne Ansätze wie ,self-care‘ (sich seiner eigenen Beanspruchung, Ressourcen und Gesundheitszustand bewusst sein) und ,staff-care‘ (sich der Beanspruchungen, Ressourcen und Gesundheitszustand der Mitarbeitenden bewusst zu sein) im Kontext von gesundheitsorientiertem Führungsverhalten lassen sich trainieren und durch die Führungskultur verankern (Vonderlin et al. 2021:10). Dies muss allerdings von der Unternehmensführung gewollt sein und konsequent umgesetzt werden.

Die beschriebene Gefahr eines Generationenkonflikts und dessen Verhinderung ist wiederum eine klassische Aufgabe von Führungskräften und der steuerbaren Unternehmenskultur. Abbau von Stigmata in jede Richtung des Alters sowie die Durchmischung von Teams, aber auch die Entwicklung neuer ,junger‘ Produktstrategien, Formate und Abspielkanäle, die im Kontext der digitalen Transformation und der damit einhergehenden Änderungen des Mediennutzungsverhaltens unabdingbar sind, liegen im Interesse und der Verantwortung sowohl des Managements als auch der Mitarbeitenden. Das Aufrechterhalten von gemeinsamen Werten sowie die Wahrung journalistischer Qualitätsstandards können sowohl kodifiziert als auch ,gelebt‘ werden und erhöhen die Identifikation mit der Führungskraft, dem Team und letztlich dem Unternehmen.

Auf systemischer Ebene ist das Erleben der eigenen Berufswelt durch die Journalist:innen durch einen Konflikt zwischen ihrem Selbstverständnis und ihren eigenen beruflichen Ansprüchen auf der einen Seite und den gesellschaftlichen Vorwürfen, eben diesen nicht gerecht zu werden, auf der anderen Seite gekennzeichnet. Sie erleben eine externe Pauschalkritik an ihrem Berufsstand, der sie sich stellen müssen. Diese deutliche Divergenz von journalistischem Selbstverständnis bzw. Selbstbild und Fremdbild, die den meisten Medienschaffenden auch bewusst ist, spiegelt einen eigenen Wertekonflikt wider. Solche Konflikte wiederum führen zu psychischer Fehlbeanspruchung.

Neben der Divergenz von Selbst- und Fremdbild befinden sich Journalist:innen in der ambivalenten Situation, dass ihre Aufgaben und Kompetenzen in der demokratischen Gesellschaft von zentraler Bedeutung sind, aber ihre Relevanz und Glaubwürdigkeit von Teilen der Bevölkerung angezweifelt werden. Wie kann mit dieser Ambivalenz konstruktiv umgegangen werden? Eine – zu diskutierende – Empfehlung oder gar Vision liegt darin, dass alle am Mediensystem beteiligten Gruppen zu einer Konstellation der gedanklichen, kommunikativen und institutionalisierten Konvergenz finden. Konvergenz, das Aufeinander-zu-Bewegen von bislang getrennten Bereichen, ist, wie bereits beschrieben, ein Paradigma der digitalen Transformation: Segmente der TIME-Branche nähern sich an, die Unterschiede von Mediengattungen verschwimmen, Medieninhalte sind anpassbar geworden. Daher ist es nur logisch, dass ein erfolgsversprechender Umgang mit den Herausforderungen des großen Wandels auch eine Konvergenz des Denkens verlangt. Konvergenz ist in diesem Kontext als erwünschte Annäherung von Bereichen oder Segmenten und nicht als Übereinstimmung zu verstehen. Dies bedeutet, dass die Elemente, die sich aufeinander zu bewegen, ihre eigenen definitorischen Merkmale, Aufgaben und Konturen sowie ihre Abgrenzungen maßgeblich behalten. Eine erwünschte Konvergenz im Medienkontext sähe beispielsweise so aus, dass, in Verbindung des Verschiedenen und auch Gegensätzlichen und unter Mitwirkung sowie Berücksichtigung unterschiedlichster Dispositionen und Positionen, gemeinsam adäquate Konzepte und Lösungen zur erfolgreichen Transformation des Mediensystems entwickelt werden.

Für den Journalismus bedeutet dies, dass eine solche Konvergenz in zwei Kontexten gedacht bzw. zu generieren versucht wird: innerhalb der Organisation und im Verhältnis zwischen Medien und Publikum. Dass die medientypische Bivalenz von ökonomischer und publizistischer Dimension ein Spannungsfeld hervorrufen kann, wie es wirtschaftswissenschaftlich mitunter beschrieben wird, mag in der Realität manchmal einem Euphemismus nahekommen. In nicht wenigen Medienunternehmen ist das Verhältnis von Journalist:innen und Management, wie in den Interviews wiederholt deutlich wurde, nicht nur angespannt, sondern eher nachhaltig gestört. Auf sinkende Erlöse im Werbe- und Vertriebsbereich, so der kritische Tenor, werde häufig stumpf mit immer neuen Runden von Personaleinsparungen reagiert, wodurch sich die Arbeitsbelastung der verbleibenden Journalist:innen erhöht und die Qualität ihrer Arbeit reduziert. Zudem werden fehlende valide Digitalstrategien oder die mangelnde Bereitstellung organisationaler Ressourcen beklagt.

Tatsächlich erfordern Medienprodukte als Unikate, Vertrauens- und Erfahrungsgüter weit mehr als eine rein betriebswirtschaftliche Perspektive und ökonomisch-strategische Herangehensweisen. Da Inhalte als Herzstück jedes Medienunternehmens maßgeblich über Erfolg oder Misserfolg, Erlös oder Umsatzverlust entscheiden, brauchen Medienmanager:innen zwingend Kompetenz in diesem Bereich. In der einschlägigen Fachliteratur zum Medienmanagement dominiert nach wie vor eindeutig der ökonomische Fokus. Doch jede strategische Analyse, Planung und Entscheidung, gerade was die digitale Transformation eines Mediums und seiner Produkte angeht, verlangt die Fähigkeit inhaltsspezifische und damit journalismusaffine Qualitäten und Wertigkeiten einschätzen zu können. Quantität in Form von Klickzahlen, Seitenaufrufe etc. vor journalistische Qualität zu stellen, was nach kritischer Darstellung einiger der interviewten Medienschaffenden häufig in Verlagen und Redaktionen geschieht, kann und wird auf Dauer die Rezipient:innen, die Qualitätsjournalismus erwarten, nicht überzeugen.

Konvergenz des Denkens bedeutet aber auch, dass Journalist:innen die ökonomische Dimension des Mediensystems nicht ausblenden und fast schon automatisiert negativ adressieren. In den Zeiten, als Medien noch hohe Renditen abwarfen und die Gehälter in den Redaktionen absolut gesichert waren, konnten sich Journalist:innen eine selbstreferentielle Perspektive und ein fast schon reflexives ,Feinddenken‘ leisten. Das Management war primär dazu da, die gesellschaftlich wichtige publizistische Arbeit ökonomisch abzusichern, die für den Journalismus richtigen Strategieentscheidungen zu treffen und ansonsten strengste Trennung zwischen beiden Seiten zu wahren. Diese Trennung war und ist bis heute elementar wichtig und sie muss es bleiben, weil die Unabhängigkeit und Freiheit des journalistischen Arbeitens als hohes Gut gesichert sein muss. Doch kein:e Journalist:in fällt aus seiner/ihrer relevanten gesellschaftlichen Rolle, wenn er/sie intensiv darüber nachdenkt, mit welchen Inhaltsstrategien, neuen Formaten oder anderen Methoden die auch für ihn/sie essenzielle ,Kund:innenbindung‘ im Kontext der digitalen Transformation und des Vertrauensverlusts gesichert werden kann – zusammen mit der Unternehmensführung, zu der in der Wahrnehmung vieler Journalist:innen bereits die Chefredaktion zählt. Die Management seite muss wiederum garantieren, dass die von den Journalist:innen erarbeiteten Konzepte oder Formate nicht, wie in den Interviews wiederholt kritisiert wurde, in irgendwelchen Schubladen verschwinden.

Qualitätsjournalismus mit starken, auch innovativen Konzepten zu erhalten bzw. auszubauen, dadurch das Publikum zu überzeugen und einen weiteren Vertrauensschwund zu verhindern – in diesem Ziel liegt die Schnittmenge, mithin das Konvergenzpotenzial von publizistischer und ökonomischer Seite. Es sollte auf beiden Seiten intensiver genutzt werden, um valide Zukunftsstrategien jenseits einer reflexiven Ablehnungshaltung und einer stumpfen Sparrunden-Automatik zu generieren.

Wie insbesondere aus den Interviews hervorgeht, belastet die Medienschaffenden das gestörte Verhältnis von Journalismus und Publikum stark. Daher ist auch das Ziel einer Konvergenz in diesem Verhältnis sehr wichtig. Dies ist keineswegs als Plädoyer für eine wie auch immer geARTEte Harmonie zwischen Medien und Rezipient:innen zu verstehen, was auch gänzlich naiv wäre. Vielmehr bezieht sich die Konvergenz auf die „redaktionelle Gesellschaft“ (Pörksen 2019a: 189), die Pörksen als Vision formuliert hat, die aber angesichts der enormen transfomationalen Herausforderungen in Gesellschaft und Medien nicht nur Vision bleiben sollte. Da aufgrund der Digitalisierung inzwischen jede:r Bürger:in in die Öffentlichkeit hinein publizieren kann, ist es so sinnvoll wie notwendig, dass professionelle Medienschaffende den bloggenden, kommentierenden und Storys-erzählenden Bürger:innen die journalistischen Strukturen, Regeln und Qualitätsstandards konzertiert nahebringen. Dies kann in nachhaltiger Weise FakeNews, Verschwörungsnarrativen und insgesamt dem „kommunikativen Klimawandel“ (Pörksen/Schulz von Thun 2020: 16) entgegenwirken. Gleichzeitig können Rezipient:innen, die selbst journalistisch denken und publizistisches KnowHow haben, die ,klassischen‘ Informationsmedien und deren Akteur:innen differenzierter, fundierter und auch fairer einschätzen sowie deren Qualitäten wie auch Defizite fachkundiger bewerten, was sich positiv auf die Entwicklung bzw. Förderung einer wechselseitigen Vertrauenskultur auswirken würde.

Auf diesem Weg zu einer Konvergenz des (journalistischen) Denkens bei Medienschaffenden und Rezipient:innen ist das Moment der Transparenz besonders wichtig. Dazu gehört zum Beispiel, dem Publikum gegenüber auch konterintuitive Arbeitsweisen offenzulegen, beispielsweise dass es, zumindest bis zur Relotius-Affäre, in manchen Medien und auch in der journalistischen Ausbildung als durchaus praktikabel angesehen wurde, in Reportagen verschiedene Figuren zu einer verschmelzen zu lassen (Niggemeier 2019). Schildern Journalist:innen zudem, wie ihr beruflicher Alltag konkret aussieht, wie ihr Arbeits- oder Wettbewerbsdruck, damit auch ihre gesamte Belastung oder gar Überforderung aufgrund der Digitalisierung und der ökonomischen Medienkrise weiter zugenommen hat, kann es für Rezipient:innen nachvollziehbar(er) werden, warum in Einzelfällen die Berichterstattung tatsächlich einseitig ausfallen oder falsch sein kann – weil zum Beispiel die Zeit für eine weitergehende Recherche oder das Aufgreifen einer zusätzlichen Perspektive fehlt.

Im Sinne einer weitgehenden Transparenz gilt es darüber hinaus auch die eine oder andere schiefe Perspektive, die sich im Mediensystem festgesetzt hat, zu korrigieren. Etwa die auch im Publikum gängige ichtweise, dass besonders anspruchsvoller Journalismus primär oder ausschließlich im überregionalen Bereich stattfindet, also bei Leitmedien wie der Süddeutschen Zeitung, Spiegel, ARD oder ZDF. Jeder, der über Berufserfahrung im lokalen, regionalen und überregionalen Bereich verfügt, weiß freilich: Je näher die journalistische Arbeit an den gesellschaftlichen Funktionsbereichen wie Politik und Wirtschaft und deren Protagonist:innen räumlich angesiedelt ist, desto schwieriger ist sie. Berichten Lokaljournalist:innen etwa kritisch über bestimmte Vorgänge in der Stadtverwaltung, erfolgt deren Reaktion häufig schnell und unmittelbar. Unter Umständen steht der Oberbürgermeister schon kurz nach Erscheinen des Artikels selbst in der Redaktion. Ähnliches kann in anderen Kontexten passieren, wenn zum Beispiel Lokalreporter:innen über ,Montagsspaziergänge‘ berichten und sich Mitglieder der ,Querdenker‘-Szene falsch verstanden oder provoziert fühlen. Anders als regionale oder überregionale Medien können Lokalredaktionen im Normalfall auch nicht auf Agenturmaterial zurückgreifen. Sie müssen ihre Inhalte selbständig generieren. Geht es um brisante bzw. investigative Themen und Kontexte, müssen Informant:innen besonders geschützt sein und sich sicher fühlen können, was die Wahrung ihrer Anonymität angeht. Dies ist eher zu gewährleisten, wenn das recherchierende und berichtende Medium ein überregionales ist, seinen Sitz also nicht vor Ort, sondern deutlich entfernt davon hat. Größere Medien haben zudem eine größere Reichweite und Wirkung, was wiederum den Schutz von Whistleblower:innen erhöhen kann. Und: Je größer und wirtschaftlich potenter ein Medium ist, desto effektiver kann es etwaige juristische Gegenstrategien von der Seite, über die kritisch berichtet wurde, organisational und insbesondere finanziell parieren.

Hinzu kommt, dass manche überregionale Medien für Storys Geld an Informant:innen zahlen und die so realisierten ,Enthüllungsgeschichten‘ als investigative Sensation verkaufen. Offiziell ein berufsethisches No-Go, und doch mediale Realität. Zu der besagten Konvergenz würde gehören, dass Journalist:innen gegenüber den Rezipient:innen offen damit umgehen und zum Beispiel darlegen, dass es in manchen Medienhäusern interne Regeln gibt, wann bezahlt wird: wenn beispielsweise ohne den Informanten X, der Geld verlangt, eine Berichterstattung nicht möglich wäre und seine Informationen tatsächlich einen belegbaren skandalösen Sachverhalt von großer gesellschaftlicher Relevanz offenbaren.

Zur neuen Offenheit sollte auch gehören, dass Journalist:innn dem Publikum schildern, mit welchen buchstäblich mächtigen und nicht selten auch dubiosen Gegenstrategien sie bei Recherchen im Polit- oder Wirtschaftskontext immer wieder konfrontiert sind. Oder dass sie offen darüber sprechen, wie wichtig Exklusivgeschichten gerade für überregionale Medien sind – und welcher Druck entstehen kann, wenn ein Journalist über mehrere Wochen keine liefern kann. Oder wie essenziell es für manche Journalist:innen in diesem Kontext ist, beste Kontakte zu Behörden zu pflegen um Exklusivinfos zu erhalten – und ob sie sich damit zuweilen in eine Abhängigkeit oder Bringschuld begeben („Ich beiß’ nicht die Hand, die mich füttert“).

Eine solche Transparenz-Offensive sollte Bestandteil eines Konvergenzprojektes sein, das mit Blick auf das Publikum vertrauensbildend wirken und zum neuen medialen Geschäftsfeld taugen kann: Journalist:innen setzen den Bildungswert von Medien um, gehen raus aus den Redaktionen, hin zu den Rezipient:innen aller Generationen und vermitteln offen und eingängig ihre Strukturen, Regeln, Herausforderungen und auch die Fehler, die sie eventuell gemacht haben. Schritt für Schritt kann so eine ,redaktionelle Gesellschaft‘ Realität werden. Aktuelle Projekte wie die bundesweite Initiative „Journalismus macht Schule“, bei der bekannte Journalist:innen in Schulen Medienwissen und berufspraktische Kenntnisse vermitteln, zeigen, dass in einigen Verlagen und Sendern das Bewusstsein dafür gewachsen ist, wie wichtig es ist, diese funktionale Transparenz herzustellen. Heute ist jedes Medienunternehmen mit seinen journalistischen Akteur:innen gut beraten, sich nicht nur an überregionalen Projekten solcher Art zu beteiligen, sondern selbst in seinem regionalen oder lokalen Einzugsgebiet diese mediale Bildungsarbeit als eigenes Geschäftsfeld anzubieten – und zu versuchen, dafür Fördermittel etwa von Stiftungen zu generieren.

Dass Medien verstärkt partizipativer agieren müssen, um teilweise verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen zu können, darauf hat Fritz Wolf schon 2015 hingewiesen (Wolf 2015: 43 ff ). Dieses Diktum aufgreifend, liegt eine letzte Anregung bzw. Empfehlung in einer institutionalisierten Variante von Konvergenz – der Einrichtung eines öffentlichen Gremiums, das entweder wöchentlich oder sogar täglich einer interessierten Bevölkerung auf einer Online-Plattform begründete Hinweise auf besonders positive oder defizitäre Beispiele von Berichterstattung lokaler, regionaler und überregionaler Medien gibt. Dieses Gremium, das die wichtige Arbeit von Journalist:innen kritisch-wertschätzend verfolgt, ist als eine dezidiert partizipationsorientierte Ergänzung zur Arbeit des klassischen Medienjournalismus (Haarkötter/Kalmuk 2021) zu verstehen. Es könnte sich aus medienkundigen Bürger:innen, Vertreter:innen verschiedener gesellschaftlicher Bereiche sowie erfahrenen Medienpraktiker:innen, -kritiker:innen und Medienwissenschaftler:innen zusammensetzen. Die Bewertungskriterien würden in einem partizipativen, medienwissenschaftlich begleiteten Verfahren erarbeitet und transparent gemacht. In einem solchen – sicherlich nicht einfachen, aber lohnenswerten – Verfahren müsste es auch darum gehen, im kritischen Diskurs die Kernmerkmale des Journalismus zu identifizieren und ihn zu anderen Gattungen öffentlicher Kommunikation wie PR trennscharf abzugrenzen (Arlt/Storz 2016). Um auch regionale und lokale Berichterstattung valide einzubeziehen, könnten dezentrale Ableger dieser Einrichtung in den verschiedenen Bundesländern geschaffen werden. Die Online-Plattform dieser Einrichtung böte gleichzeitig zentrale Informationen zu Strukturen und Regeln journalistischen Arbeitens, die Möglichkeit eines Mediendiskurses interessierter Bürger:innen und auch des direkten Dialogs zwischen Journalist:innen und Rezipient:innen. Die personelle Besetzung des Gremiums würde nach einer gewissen Zeit ausgetauscht. Denkbar wäre, dass Stiftungen diese Einrichtung finanziell fördern.

6.3 Fazit und Ausblick

Was machen die Medien mit den Macher:innen? Die Auswirkungen des mit transformationalen Strukturfaktoren und Herausforderungen konfrontierten Mediensystems auf Journalist:innen zu untersuchen, darin lagen Ziel und Hauptzweck dieser Mixed-Methods-Studie. Sowohl aus arbeits- und organisationspsychologischer als auch medienwissenschaftlicher und -praktischer Sicht haben beide Studienteile interessante und auch neue Erkenntnisse geliefert, die eine weitere Beschäftigung mit diesem gesellschaftspolitisch relevanten Themenkomplex ermöglichen und auch sinnvoll erscheinen lassen. Dabei gilt es freilich die Limitationen dieser Studie zu berücksichtigen und entsprechend zu überwinden, um die methodischen Gütekriterien zu verbessern. Zwar spiegeln sowohl die Erkenntnisse, quantitative als auch insbesondere die qualitative Befragung die Gruppe hauptberuflicher Journalist:innen in Deutschland hinsichtlich der Merkmale Alter, Berufserfahrung und Geschlecht sowie die verschiedenen Mediensegmente grundsätzlich wieder; Ausnahme allerdings ist die Überrepräsentanz von Online-Journalist:innen und von Freien in der quantitativen Stichprobe. Die Studie mit ihren 161 Teilnehmenden kann somit nicht beanspruchen, repräsentativ für alle Journalist:innen in Deutschland zu sein. Auch erlaubt das Querschnittsdesign mit nur einem Messzeitpunkt keine belastbaren kausalen Rückschlüsse. Gleichwohl gibt sie anhand ihrer zentralen Merkmale ein relativ verlässliches Bild des Journalismus in Deutschland. Zudem bestätigten sich die wesentlichen Annahmen aus der Literatur.

Als interdisziplinäres Forschungsprojekt, das Arbeits- und Organisationspsychologie mit Medienwissenschaft und -praxis verbindet, hat diese Studie Pilotcharakter. Ihr Ziel war und ist es, in einem kaum bearbeiteten Forschungsgebiet erste Antworten auf die zentrale Frage zu generieren, wie sich die Transformation im Mediensystem auf Journalist:innen als berufliche Profis und dahinterstehende Menschen auswirkt. Sie ist explorativ angelegt und kann daher noch keine finalen empirischen Erkenntnisse über statistische bzw. kausale Wirkungszusammenhänge liefern. Weitere Forschungsanstrengungen sollten sich auf das Selbstbild in Bezug auf den im qualitativen Studienteil herausgearbeiteten Wertekonflikt zwischen dem journalistischen Selbstverständnis und der gelebten Organisationsrealität sowie dem Verhältnis zu den Rezipient:innen fokussieren. Damit ließen sich gegebenenfalls auch individuelle Bewältigungsstrategien umsetzen bzw. verstärken, die zunehmend wichtiger werden unter den Bedingungen von Digitalisierung, ökonomischen Krisenfaktoren und Vertrauensverlust.

Neben vertiefenden Untersuchungen zum medialen Komplex erscheint es dem Forschungsteam sinnvoll, diesen interdisziplinären Grundansatz auch in einem anderen öffentlichkeitsrelevanten Funktionsbereich anzuwenden, der ähnlich stark, vielleicht noch stärker mit transformationalen Strukturen, Herausforderungen und Problemstellungen konfrontiert ist: In der Politik.

Dieser Beitrag ist eine auszugsweise Übernahme der Studie “Arbeitsdruck – Anpassung – Ausstieg”, herausgegeben von der Otto Brenner Stiftung. Den vollen Wortlaut (98 Seiten, alle Kapitel, Schaubilder, Hinweise zu den Autoren, Literaturverzeichnis usw.) finden Sie hier. Ein Interview von Autor Rainer Nübel für den Deutschlandfunk/@mediasres hören Sie hier (Audio 8 min).

Über Burkhard Schmidt, Rainer Nübel, Simon Mack, Daniel Röll und Jupp Legrand (Vorwort) / Otto Brenner Stiftung:

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