Vor kurzem habe ich hier die Aktivisten der “Letzten Generation” als elitär und unreflektiert, was die öffentliche Wirkung ihrer Strategie betrifft, kritisiert. Schneller, als ich gedacht hätte, hat ein tragischer Unfall zeitgleich zu einer ihrer Aktionen zu einer heftigen Diskussion der Legitimität ihrer Aktionen geführt. Eine Radfahrerin wurde von einem Betonmischer erfasst – ein klassischer Unfall mit LKW und Fahrrad beim Rechtsabbiegen, wie er immer noch hundertfach pro Jahr passiert. Obwohl nicht erwiesen ist, dass der wohl tödliche Unfall in irgendeinem Zusammenhang mit der Aktion der Klimaschützer:inn:en steht, hat eine öffentliche Diskussion begonnen, die der “Letzte Generation” eine Mitverantwortung für den tragischen Ausgang zuschreibt. Eine öffentliche Vorverurteilung, die ungerecht und anmaßend daherkommt.
In den Reigen der Politiker:inn:en reihte sich heute auch Bundesinnenministerin Faeser ein. Sie sagte: “All das hat mit einer demokratischen Auseinandersetzung überhaupt nichts zu tun. Die Straftäter müssen schnell und konsequent verfolgt werden.” Faeser verkennt, dass es genau die Mechanismen der Öffentlichkeit sind, die junge Menschen, die das Gefühl haben, dass sich in der Sache in der Politik nichts oder viel zu wenig bewegt, zu Mitteln und Aktionsformen greifen, die trotz ihres friedlichen Charakters die Gefahr der Kriminalisierung in Kauf nehmen. Wer sich vor des Deutschen liebstes Kind, das Auto setzt und festklebt, und dies auch noch zur Rush-Hour, dem droht der ungerechte Volkszorn. Und wer den weckt, nimmt ein hohes Risiko in Kauf.
Gewerkschaft des Populismus?
Einen weit schlimmeren Eindruck jedoch hinterließ heute die Gewerkschaft der Polizei, die twitterte: “Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert die juristische Prüfung des Verbotes ‘Letzte Generation’. Der Tod einer Radfahrerin steht evtl. in Verbindung mit der Straßenblockade von ‘Letzte Generation’.” und der GdP-Vorsitzende Jochen Kopelke setzte noch drauf: “Der Protest der Aktivisten läuft zusehends aus dem Ruder. Es reicht!” Was damit viel heftiger aus dem Ruder läuft, ist das Demokratieverständnis der GdP. War die größte Polizeigewerkschaft in den 1990er und 2000er Jahren für rechtsstaatliche und eher deeskalierende Positionen bekannt, profilieren sich ihre Sprecher in der letzten Zeit als populistische Scharfmacher für schärfere Gesetze und Maßnahmen. Die Forderung nach einem Organisationsverbot ist vor dem Hintergrund, dass die Voraussetzungen einer solchen Maßnahme rechts- oder linksterroristische Aktivitäten oder Pläne voraussetzt, maßlos, rechtsstaatswidrig und von einem gestörten Verhältnis zur demokratischen Wirklichkeit geprägt.
Auf den rechten Auge blind?
Mit den gleichen Maßstäben gemessen, hätte die GdP schon lange das Verbot von einer dreistelligen Zahl rechtsextremer Gruppierungen fordern müssen, die seit der Corona-Krise und schon vorher durch ihre Aktionen und Forderungen Menschenleben gefährden. Aber ist dies überhaupt die Aufgabe einer Polizeigewerkschaft? Sie hat vor allem das Wohl der in ihr organisierten Beamt:inn:en im Auge zu behalten, und kann natürlich in diesem Zusammenhang auch Forderungen nach Gesetzesänderungen stellen, die ihre Arbeit erleichtern. Aber glaubt der GdP-Vorsitzende allen ernstes, dass das Grundproblem, welches ja auch Fridays for Future formulieren, dass die Politik zu langsam handelt, um das Klima noch zu retten, junge Menschen von weiteren Aktionen abhalten wird? Glaubt die GdP ernsthaft, Jugendliche per Organisationsverbot davon abhalten zu können, für ihre Zukunft auch mit Mitteln des zivilen Ungehorsams zu kämpfen? Ist seine Forderung nicht genau die Eskalation und das gegenseitige Hochschaukeln, das jedenfalls die Polizei zu deeskalieren gelernt haben sollte? Maßt sich ein Herr Kopelke jetzt an, die Eskalationsstrategie zu fordern? Wird die Bundesinnenministerin erkennen, dass sie die Richtung vorgeben muss und keinesfalls in dieses Horn tuten darf?
Letzte Kommentare