In den vergangenen Wochen hat der Landesrechnungshof gleich zweimal die Haushaltspolitik der nordrhein-westfälischen Regierung beanstandet. Ende November hatte er die Verwendung der Corona-Hilfsmittel zur Abfederung der Energiekrise und der Rezession als verfassungswidrig erklärt. Die Landesregierung hatte daraus Konsequenzen gezogen und auf diese Finanzquelle verzichtet. Statt dessen wollte sie nunmehr eine Ausnahmeregelung von der Schuldenbremse nutzen und die Kreditaufnahme erhöhen.
Doch der Landesrechnungshof kritisierte Anfang Dezember auch dieses Verfahren. Seiner Ansicht nach ist die verfassungsrechtliche Voraussetzung für eine Ausnahme von der Schuldenbremse, nämlich „eine erhebliche Beeinträchtigung der staatlichen Finanzlage“, nicht gegeben. Ungeachtet dessen hat die Landesregierung Mitte Dezember für 2023 die finanzielle Notlage festgestellt, die Schuldenbremse aufgeweicht und einen Rettungsschirm von 5 Mrd. € für Hilfen gegen Folgen des Ukrainekriegs beschlossen, davon 1,6 Mrd. für ein sofortiges Energiehilfeprogramm.
Auch der Bundesrechnungshof meldet sich immer wieder mit deutlichen Worten. Ende November hat er die aktuelle Finanzpolitik der Bundesregierung und die Berechnungstaktik von Christian Lindner kritisiert und erklärt „Die Ampel verschleiert die Haushaltslage. Der Finanzminister verletzt doch die Schuldenbremse.“ 2) Kann das sein ? Eine Bundesbehörde kritisiert mit scharfen Worten eine Maßnahme der Bundesregierung?
Doch es ist so: Der Bundesrechnungshof ist eine unabhängige Institution und unterliegt nicht der Aufsicht oder Weisung der Bundesregierung oder des Bundestages. Seine Zuständigkeit ist in Art. 114 GG verankert. Seine Mitglieder genießen richterliche Unabhängigkeit. Sie sind befugt und beauftragt, die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Regierung zu prüfen, zu bewerten und ggf. zu beanstanden. Dadurch sollen die Rechtmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit des Verwaltungshandeln verbessert werden. Über das Ergebnis ist jährlich zu berichten.
Aus den Prüfungsergebnisse entstehen die sogenannten Prüfmitteilungen. Herausragende oder besondere Befunde gehen in den Jahresbericht ein und werden auf diesem Wege an Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung weitergeleitet und auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Regierung bzw. einzelne Minister können die Prüfergebnisse nicht ändern oder löschen. Sie können öffentliche Erklärungen dazu abgeben, und sie müssen Stellung beziehen bei Parlamentsanfragen, die sich auf Berichte des Rechnungshofs beziehen.
Der Öffentlichkeit – z.B. den Medien – wird zwar der Zugang zu den Prüfungsberichten gewährt, nicht aber zu den über die Prüfungs- und Beratungstätigkeit geführten Akten. Dies ist eine Abkehr von dem für alle Behörden geltenden Informationsfreiheitsgesetz. Der Gesetzgeber hat den Einblick in die Prüfungsunterlagen zum Schutz des ungehinderten Entscheidungsfindungsprozesses per Sondergesetz verwehrt. Verwaltungsrechtler bemängeln diese Regelung und bezeichnen sie sogar als nicht verfassungsgemäß.
Die Berichte über die Prüfungen bei den Nachrichtendiensten sind generell vertraulich. Die Medien gelangen nur „auf Umwegen“ daran. Auf diese Weise wurde bekannt, dass eine Vielzahl der vorgelegten Belege formale Mängel aufwiesen. Gerügt wurden auch die Vergabe von Aufträgen, die teilweise nicht mehr ausgeschrieben wurden oder bei denen keine Vergleichsangebote eingeholt wurden. Kritisiert wurde zudem, dass alle Nachrichtendienste etliche bewilligte Stellen nicht besetzt haben.
Die Befugnisse des Rechnungshofs laut Bundeshaushaltsordnung sind weit gespannt. So können Prüfungsobjekte auch die Sozialversicherungsträger, die gesetzliche Unfall-, Kranken- und Rentenversicherung sowie die Bundesagentur für Arbeit sein. Auch greift er Prüfungs- und Beratungsbitten aus dem parlamentarischen Raum auf. Der Rechnungshof hat nämlich nicht nur Prüfungsrechte und -pflichten, sondern erarbeitet auch Vorschläge für konkrete Vorhaben und künftiges Handeln. So verfasste sein Präsident zu Beginn der neuen Parlamentsperiode „12 Impulse für Parlament und Regierung“ als „sachlichen und überparteiischen Beitrag zur Bewältigung der Herausforderungen in zentralen staatlichen Handlungsfeldern“.
Eine Weisungsbefugnis gegenüber anderen Bundesbehörden hat der Rechnungshof nicht. Seine Empfehlungen kann er nur durch Überzeugungskraft und durch Unterstützung von Medien, Verbänden oder Opposition verwirklichen. Daher sind die Prüfbemerkungen zumeist sehr sachlich und konkret gefasst, manchmal wirken sie sogar schonungslos. Letztlich sind die Prüfungsberichte auch eine Grundlage für die Entscheidung über die Entlastung der Bundesregierung durch Bundestag und Bundesrat.
Der Bundesrechnungshof ist eine eigene Rechtspersönlichkeit und unterliegt keiner Dienstaufsicht durch eine andere Bundesbehörde. Seine Einordnung in das klassische System der Gewaltenteilung ist strittig. Als Legislative oder Exekutive kann er wohl kaum eingestuft werden. Von der Judikative unterscheidet er sich dadurch, dass er seine Untersuchungsobjekte eigenständig wählt und dass er bei Verstößen keine verbindlichen Urteile fällen kann. Überwiegend wird ihm daher eine Zwitterstellung zwischen den Gewalten zugesprochen.
Präsident und Vizepräsident werden auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundestag und vom Bundesrat für zwölf Jahre gewählt. Rund 1150 Beschäftigte arbeiten in neun Prüfungsabteilungen mit knapp 50 Prüfungsgebieten. Sie sind entweder ‘Mitglieder des Rechnungshofs’ oder Prüfungsbeamte. Die Mitglieder sollen zu mindestens einem Drittel Volljuristen sein, weitere gewünschte Qualifikationen sind Wirtschaftswissenschaften und Technik. Eine Prüfungseinheit widmet sich internationalen Aufgaben. Sein Personal rekrutiert der Rechnungshof selbst, die ‘Mitglieder’ werden auf Vorschlag des Rechnungshofspräsidenten vom Bundespräsidenten ernannt.
Es ist nicht selten, dass der Rechnungshof Rügen und Beanstandungen ausspricht, teilweise sogar mit dem Hinweis, dass er bestimmte Maßnahmen als Verfassungsverstoß wertet. Die Themenbreite ist groß. 2021 hat er sich u.a. mit der Maskenbeschaffung, mit Schwarzarbeit, mit Geldwäsche, mit der Deutschen Bahn und mit Beraterverträgen verfasst. Aus dem laufenden Jahr stammen folgende Beanstandungen:
# Am 30.11. kritisierte der Bundesrechnungshof die Haushaltspolitik der Ampelregierung. „Nebenhaushalte und eine immer kreativere Buchführung“ hätten Intransparenz zur Folge.
# Am 18.10. bezeichnete er die Schuldenaufnahme für den 200 Mrd. € schweren Rettungsschirm als verfassungswidrig.
# Am 17.10. erhob er Bedenken gegen die Einführung des Bürgergeldes und sah die Gefahr von Missbrauch und finanziellen Risiken.
# Am 9.10. beanstandete er erhebliche Mängel im Wirtschaftsplan für das ‘Sondervermögen Bundeswehr’.
# Am 5.4. rügte er die Verschwendung bei der Bundeswehr.
# Am 24.3. kritisierte er die Widersprüchlichkeit der Subventionspolitik, z.B. die Förderung klimaschädlicher Vorhaben.
# Am 24.2. übte er in einem Sonderbericht deutliche Kritik an der Klimaschutzpolitik.
# Am 15.2. bezeichnete er die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes als überflüssig und warnte vor Mitnahmeeffekten.
# Am 7.1.bezweifelte er die Verfassungsmäßigkeit der Umschichtung von 60 Mrd. € Coro-na-Hilfsgeldern in den Energie- und Klimafonds.
Bundesrechnungshof und Landesrechnungshöfe sind elementare Bausteine einer freien und demokratischen Gesellschaftsordnung. Regierungen und Parlamente dürfen vieles entscheiden, aber sie müssen sich an die geltenden Regeln halten. Sonst werden sie vom BRH gerügt. Allerdings haben die Rechnungshöfe – wie erwähnt – kein Instrumentarium, um ihre Rügen und Vorschläge durchzusetzen. Die Regierungen können kommentarlos darüber hinweggehen – und tut das oft auch. Das ist gewiss ein Schwachstelle.
Andererseits würde der Rechnungshof, wenn er über solche Instrumente verfügte, zu einer Art „Überregierung“. Das ist mit unserer politischen Struktur und Gewaltenteilung nicht vereinbar. Zudem ist die Tätigkeit des Rechnungshofes nicht demokratisch legitimiert. Um die Regierungen zu zwingen, sich konkret mit den Beanstandungen auseinanderzusetzen (und sie ggf. zu beheben), könnte man für sie eine Rechtfertigungs- und Rechenschaftspflicht einführen.
Die Feststellung von “Verfassungswidrigkeit” ist publizistisch immer eine ziemlich dicke Trommel, obliegt formal aber dafür zuständigen Gerichten. Selbst die meisten Innenminister*innen und ihr Inlandsgeheimdienst bevorzugen den unbestimmten Rechtsbegriff “Verfassungsfeindlichkeit”, auf den sie am Ende juristisch nicht festgenagelt werden können, den sie aber dafür umso freigiebiger übers Land regnen lassen.
Wie Du richtig beschreibst wird die Spitze der Rechnungshöfe von Regierungen benannt und von Parlamenten gewählt, ist also eine politische Setzung. Infragestellen würde ich darüber hinaus die Setzung “Die Mitglieder sollen zu mindestens einem Drittel Volljuristen sein, weitere gewünschte Qualifikationen sind Wirtschaftswissenschaften und Technik.” Zum Verständnis der Welt da draussen kann das zu einer verhängnisvollen Verengung des Blickes führen. Mit sozialer oder ökologischer Kompetenz müssen die Damen und Herren also nicht glänzen – und tun es auch nicht (anders, als es gelegentlich das Bundesverfassungsgericht tut) Der Akzeptanz der Politik der Rechnungshöfe, die Du ja ebenfalls treffend beschreibst. ist das nicht unbedingt zuträglich.
Meine These: in der Rezeption der breiten Öffentlichkeit führt das dazu, dass die Mehrheit die Rechnungshofberichte kaum von den “Schwarzbüchern” des Bundes zur Vermeidung des Steuernzahlens unterscheiden kann.
Man muss in der Tat genau aufpassen. Der Bundesrechnungshof hatte von einem Verfassungsverstoß geschrieben, die Presse von verfassungswidrig. Meist schreibt der BRH “nicht verfassungsgemäß”.
Vielleicht gibt es eine Erklärung, warum der Rechnungshof beim Personal die Bereiche Jura, Wirtschaft und Technik bevorzugt. Für Juristen, Wirtschaftswisenschaftler und Ingenieure/Naturwissenschaftler gelten Gesetze (Juristische, physikalische u.a.), bei Ökologen und Sozialwissenschaftlern gibt es Vielzahl von Überzeugungen, Lehrmeinungen und Grundsätzen.