1966 war die erste TV-WM in England. Von den WMs zuvor gab es nur Erzählungen, Legenden. Sie sprachen sich auf allen Schulhöfen herum. Jeder (Mädchen nicht mitgemeint, die durften nur zugucken) wollte Pelé sein. Aber niemand schaffte es. Lag es daran, dass er ein Schwarzer war? Die biologistisch-rassistischen Theorien der Nazis waren auch über 20 Jahre danach noch “Volkswissen”. Ich freute mich, ihn endlich mal in unserem erworbenen Schwarz-Weiss-Fernseher sehen zu können. Daraus wurde nichts.
Im WM-Buch von Ernst Huberty und Willy B. Wange von 1966 heisst es dazu im Gruppenspiel Brasilien-Portugal (1:3): “Vielleicht wäre noch eine Wende möglich gewesen, hätte nicht in der dreißigsten Minute Morais Pelé buchstäblich zusammengetreten und dafür gesorgt, dass er nur noch als Statist auf dem Platz stand.” Das geschah beim Spielstand von 0:2; Auswechslungen waren damals noch nicht möglich. Pelé hatte im Gruppenspiel zuvor (1:3 gegen Ungarn) wegen Kniebeschwerden ausgesetzt und wurde gegen Portugal trotzdem aufgeboten – vergeblich, Brasilien schied aus. Ich (9) fühlte mich von Senhor Morais betrogen. Erst vier Jahre später beim 4:1 im WM-Finale gegen die in Deutschland – wie Argentinien – verhassten Italiener, sah ich den Stern des Fussballers Pelé strahlen.
Die Debatte, wer der Grösste aller Zeiten war/ist, ist unhistorischer, fussballfremder Medienquatsch. Ich habe mir von diversen VHS-Cassetten plus eigenen TV-Zusammenschnitten auf DVD ein privates Fussballarchiv von 1930 bis heute angelegt. Daraus geht hervor, dass noch die Fussballaufzeichnungen aus meiner Kindheit und Jugend (60er/70er-Jahre) heute in Echtzeit abgespielt wie Zeitlupe wirken. Der Fussballkapitalismus hat seine Schuldigkeit getan, und aus einstigen Künstlern leistungsfähige (und -bereite) Gladiatoren gemacht: Trainingswissenschaft, medizinische Abteilungen, Doping, usw. Und natürlich Kapital, davon viel, und immer mehr …
Zu Pelé hat Johannes Kopp/taz einen akzeptablen Nachruf geliefert. Sehr originell diese Geschichte von Martin Spletter/WAZ, wie Pelé statt in der Glückaufkampfbahn ausgerechnet im RWE-Stadion an der Essener Hafenstrasse gegen Schalke 04 antrat – und die Schalker es fertigbrachten, dabei sogar ein Minus zu erwirtschaften – so kennt sie die Welt. Unser Willi Lippens dagegen hat 2:1 gegen Pelé gewonnen – allerdings nur im ZDF-Sportstudio an der Torwand.
Und heute? Pelé ist tot. Messi lebt. Und André Dahlmeyer/Junge Welt hat aus dem Weltmeisterland Argentinien geschrieben, wo die nächsten Messis heranwachsen: “Latin Lovers: Lob des Barrio und weitere Sozialromantik – Bringt Geld noch mehr Geld, und sind Fußball und Profisport überhaupt mörderisch oder eher nicht?”. Sein Beitrag wird in Kürze im Paywall-Archiv der Jungen Welt verschwinden.
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