Krieg oder Frieden in Europa – Wahrheit oder Lüge oder: Wie Merkel als ex-Kanzlerin deutsche Außenpolitik in die Tonne tritt – Zum deutschen Schweigekartell zum Sinn der Minsk-Abkommen
Merkel, 9. 12. 2020, Deutscher Bundestag, Berlin:
„Ich glaube an die Kraft der Aufklärung. Dass Europa heute dort steht, wo es steht, hat es der Aufklärung zu verdanken und dem Glauben daran, dass es wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, die real sind und an die man sich besser halten sollte. Und da bin ich ganz sicher. Ich habe mich in der DDR für das Physikstudium entschieden − das hätte ich in der alten Bundesrepublik wahrscheinlich nicht getan −, weil ich ganz sicher war, dass man vieles außer Kraft setzen kann, aber die Schwerkraft nicht, die Lichtgeschwindigkeit nicht und andere Fakten auch nicht. Und das wird auch weiter gelten.“
Wem würden solche Sätze kein Vertrauen einflößen? Hier sprach eine geerdete Person, der Wissenschaft und der Aufklärung verbunden. Sie war für viele Bürgerinnen und Bürger, egal, ob sie ihre politischen Anschauungen im Einzelnen teilten oder nicht, jemand, dem man Respekt zollte. Wenn die deutsche Kanzlerin sprach, wurde zugehört und über das Gehörte nachgedacht.
Es wäre jedoch ein fataler Fehler, anzunehmen, dass Fakten und Gesetzmäßigkeiten lediglich in den Naturwissenschaften zu Hause sind. Deutschland kann sich als Demokratie überhaupt nur entfalten, weil es einen breiten Grundkonsens über Fakten, historische Zusammenhänge und sich darauf gründende politische Schlussfolgerungen und Werte gibt.
Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 22 wurde die Frage aufgeworfen: War die Politik Deutschlands gegenüber Russland falsch, fehlgeleitet, naiv oder gar staatsschädigend, wie ein Artikel in der NZZ suggerierte.
Zur Erinnerung:
Die große Koalition 2017 bis 2021 hatte im Koalitionsvertrag eine ganze Reihe von Aussagen getroffen, wie das Verhältnis zu Russland geregelt werden sollte. Auch die Umsetzung des Minsker Abkommens spielte eine Rolle (ab Zeile 7080). Alles stand unter der Überschrift, dass deutsche Außenpolitik dem Frieden verpflichtet ist.
Nun aber hat sich die nunmehr ehemalige Kanzlerin in drei Interviews zu ihren Motiven zur Zustimmung zur NATO-Erweiterung und zur Aushandlung der Minsker Abkommen 2014/2015 geäußert und so neue politische Fakten geschaffen.
Frau Merkel betonte im Dezember 22, dass die Minsk-Abkommen nie dazu gedacht waren, der Ukraine (und Europa) Frieden zu bringen, sondern der Ukraine Zeit zu kaufen, zur Vorbereitung auf den unvermeidlichen Krieg mit Russland. Der ehemalige französische Präsident, damals der zweite westliche Partner, bestätigte diese Auslegung Merkels. Putin erklärte daraufhin, er sei hintergangen worden.
Merkwürdigerweise folgte in Deutschland keine Diskussion, keine Nachfrage. Es wurde kurz berichtet. Damit hatte es sich. Seither scheint allgemein zu gelten: Die Minsker Abkommen waren eine große diplomatische Täuschung, die Deutschland und Frankreich allein zum Wohle der Ukraine unternahmen, unternehmen mussten, so wie auch der ehemalige ukrainische Präsident Poroschenko heute seine Zustimmung zu Minsk verstanden haben will.
Die erklärte Logik von Frau Merkel, dass alles aus dem geschichtlichen Kontext zu beurteilen sei und sie sich insofern nichts vorzuwerfen hätte, führt zum Schluss: Sie würde es wieder tun. Aber was genau würde sie wieder tun: Über Jahre täuschen oder jetzt täuschen?
Täuschungsmanöver oder Desinformantin
Entweder war Frau Merkel Mittäterin in einem großen politischen Täuschungsmanöver, das selbst vor dem UN-Sicherheitsrat nicht Halt machte.
Oder sie wurde jetzt zur Desinformantin.
Wenn alledem so wäre, wie es Frau Merkel im Dezember 2022 darstellte, dann wäre erklärungsbedürftig, warum Putin (der aggressive), sich 2014/2015 darauf einließ, die Ukraine nicht militärisch zu überrollen (was ihm nach den Worten von Merkel damals leichter gefallen wäre als heute) und sich stattdessen auf den Friedensplan (Minsk) einließ?
Dann wäre erklärungsbedürftig, warum sich Steinmeier entschuldigte und die SPD mit ihrer verkündeten „Zeitenwende“ eine komplette Rolle rückwärts machte. Sie waren doch Teil des Zeitkaufpolitik für die Ukraine, Teil der Täuschung.
Dann wäre erklärungsbedürftig, wie sich das zur Begründung der aktuellen Regierung für das Ende von Nord Stream 2 verhält. Das Projekt wurde erklärtermaßen wegen des russischen Bruchs des Minsker Abkommens auf Eis gelegt.
Man kann dem Bären nicht die Schelle umhängen, die nie läuten sollte. Die neue Merkel-Position impliziert, dass die deutsche Koalition log, warum sie Nord Stream 2 stoppte.
Welche deutschen politischen Versicherungen stimmten, welche nicht?
Dabei geht es gar nicht mehr um die Hinterlassenschaft einer Kanzlerin oder einer Koalition, um Täuschungen oder Selbsttäuschungen in Bezug auf die Russland-Politik.
Frau Merkel schuf eine gänzlich neue Situation: Wer kann jetzt noch sagen, was deutsche Politik in den letzten Jahren war und was nicht, welche deutschen politischen Versicherungen stimmten, welche nicht? Das wurde nicht im Kreml geboren.
Die Tatsache, dass es das große deutsche Schweigen zu den Merkel-Äußerungen gibt, beweist lediglich, dass die deutschen Eliten in Politik und Medien nicht wissen, wie sie mit dieser Situation umgehen sollen. Also schweigt man darüber so, wie man über den unsäglichen Terrorakt auf die Nord-Stream-Pipelines schweigt.
Nehmen wir mal an, Frau Merkel hätte sich – inzwischen politisch im Ruhestand – nunmehr zur Wahrheit entschieden.
Dann impliziert das, dass sie über Jahre die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland belogen hat und ihr damaliger SPD-Koalitionspartner mit von der Partie war (Anm.: Das ergibt sich aus Merkel-Reden, aus dem deutschen Koalitionsvertrag 2017-2021 und aus dem deutschen Verhalten in der UNO).
Sie, die Physikerin, die die Fakten angeblich so schätzt, schuf dann als Kanzlerin eine Realität alternativer Fakten. Vor allem aber folgte sie nicht der Friedenspflicht. Statt Frieden zu suchen, betrieb sie Kriegsvorbereitung.
Welchen Wert haben dann noch die Aussagen von Merkel zu Minsk im Kontext von Debatten des Bundestages, des Deutsch-Ukrainischen-Forums oder auf der Münchner Sicherheitskonferenz? Die einer eloquenten Lügnerin?
Hier ist eine Auswahl:
Merkel, 9. September 2015, Deutscher Bundestag
„Wir haben uns in den letzten Monaten immer und immer wieder dafür eingesetzt, dass die Krise in der Ukraine auf diplomatischem Weg gelöst werden kann. Das Ziel dabei ist, dass die territoriale Integrität der Ukraine wiederhergestellt werden kann. Das Maßnahmenpaket von Minsk wurde im Februar beschlossen. Es ist nach wie vor Richtschnur auf diesem Weg. Wir haben seit Anfang September nach vielen Rückschlägen einen immer noch fragilen, aber etwas verbesserten Waffenstillstand. Aber wir wissen, wir sind längst nicht am Ziel.
Ich darf Ihnen sagen, dass die Bundesregierung, der Bundesaußenminister und auch ich, gemeinsam immer und immer wieder – auch im Normandie-Format – zusammen mit dem französischen Außenminister und dem französischen Präsidenten darüber wachen werden und Anstrengungen unternehmen werden, um diesen Prozess voranzubringen, der jetzt auch in eine entscheidende politische Phase gekommen ist, was Verfassungsänderungen anbelangt, was die Frage von Lokalwahlen anbelangt. Wir sind da längst nicht über den Berg. Aber wir werden in unseren Bemühungen nicht nachlassen, weil wir nur diesen diplomatischen Weg sehen, und den zu gehen müssen wir immer und immer wieder versuchen.“
Merkel, Deutscher Bundestag, 23. November 2016, Berlin
“Wir haben im Zusammenhang mit der Krim und der Ukraine den Bruch des Völkerrechts und die Verletzung der territorialen Integrität eines Landes zu konstatieren. Leider sind unsere Gespräche über die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen noch nicht so weit gediehen, wie ich mir das wünschen würde.”
Merkel, Deutsch-ukrainisches Wirtschaftsforum, 29. 11. 2018, Berlin
„Ich werde das Thema auch gegenüber dem russischen Präsidenten beim G20-Gipfel ansprechen. Wir werden dafür sorgen. Wir haben trotzdem die Bitte, auch auf ukrainischer Seite klug zu sein, denn wir wissen, dass wir die Dinge ja auch nur vernünftig und nur im Gespräch miteinander lösen können, weil es keine militärischen Lösungen all dieser Auseinandersetzungen gibt. Das muss auch gesagt werden. Deutschland und Frankreich sind also auch weiterhin bereit, im Rahmen des Normandie-Formats zu arbeiten, auch wenn die Erfolge leider sehr gering sind.“
Merkel, Münchner Sicherheitskonferenz 23.2. 2019
“2014 erfolgte im März die Annexion der Krim – ein klar völkerrechtswidriges Verhalten – und anschließend – Petro Poroschenko ist hier – der Angriff auf die Ostukraine; ein mühselig ausgehandelter Waffenstillstand, sozusagen fragil, stabil gehalten durch das Minsker Abkommen, mit dem Deutschland und Frankreich gemeinsam mit Russland und der Ukraine versuchen, den Konflikt zu lösen. Allerdings müssen wir sagen: Von einer Lösung sind wir weit entfernt; wir müssen unbedingt weiterarbeiten.”
Der Europäische Rat hat den Minsk-Abkommen ebenfalls zugestimmt und mehrfach deren Umsetzung eingefordert. Auch daran war Merkel beteiligt.
War das alles nur gelogen? Hohe Kunst der diplomatischen Täuschung?
Wenn ja, dann haben die deutsche Bundeskanzlerin und die von ihr geführte Koalition (SPD) buchstäblich die ganze Welt betrogen, alle in der UNO versammelten Nationen. Und wie ist das mit Frankreich: Hat Macron von Hollande die Lüge geerbt?
Wie war das mit der Wahl Selenskyjs? War dessen Friedenswillen im Wahlkampf auch nur Show, sein ursprünglicher Versuch, Minsk umzusetzen, nur Teil eines Schattenspiels? Waren es möglicherweise nicht nur die ukrainischen extremen Nationalisten, die ihm in den Arm fielen?
Wenn die neue Merkel-Geschichte stimmt, wurde auch in Deutschland niemand als mündig begriffen. Dann waren wir nur närrische Kinder, die zu ihrem und der Ukraine Besten nicht in die hohe Kunst der diplomatischen Täuschung eingeweiht werden durften.
Dann sollte jeder in Deutschland und darüber hinaus nur glauben, dass die Merkel-Koalition einen festen Willen zu einer diplomatisch zu erreichenden Konfliktlösung in der Ukraine hatte, die einen Krieg verhindern sollte.
Von den USA ist bekannt, dass sie, wie etwa im Fall des Irak zur Erreichung ihrer politischen Ziele, die Unwahrheit sagte, um den Krieg führen zu können. Merkel beansprucht nun in einer – und darin sind sich alle einig – zentralen Frage von Krieg und Frieden in Europa, sich ähnlich verhalten zu haben. Sie log (um eines höheren Zieles willen) und hatte also ein neues deutsches Selbstverständnis, eins, das sich über alle diplomatischen Normen und Gepflogenheiten stellte: Nicht Vertrauensbildung und ehrliches Ringen um eine diplomatische Lösung waren das Ziel. Es ging niemals um Frieden.
Merkels neue Wahrheit
Wann bemerkte die Kanzlerin, dass Russland zu Frieden unfähig ist, wenn doch gar kein ernsthafter Versuch der Friedensstiftung mit den Minsk-Abkommen unternommen wurde?
Merkels neue Wahrheit steht in Widerspruch zum Friedensgebot des Grundgesetzes, zu dem sich die von ihr geführte Koalition ausdrücklich bekannte. Sie hätte stattdessen der Kriegsvorbereitung Vorschub geleistet.
Das ginge, sollte es so gewesen sein, weit über das hinaus, was die rot-grüne Koalition in der Frage des Kosovo-Krieges praktizierte, um ihre Beteiligung an diesem Krieg zu legitimieren.
Merkels damaliger Außenminister ist heutiger Bundespräsident. Die SPD führt heute die Koalition an. Sie alle wären Teil der Scharade gewesen, die Frau Merkel neulich „enthüllte“: Ein Abkommen, das den Weg zum Frieden weisen sollte, der nie gesucht wurde? Was sollte dann Scholz` Besuch in Moskau, wo er versprach, die Ukraine würde nun das Minsker Abkommen erfüllen?
Wie wollen wir Deutsche damit umgehen, dass eine ganze Welt das Wort einer deutschen Bundeskanzlerin/ eines deutschen Außenministers für bare Münze nahm, und wir – als Teil dieser Welt – nun damit leben sollen, dass nichts so gemeint war, wie es einst immer wieder deklamiert wurde?
Wenn wir nicht herausfinden wollen, WIE ES WIRKLICH WAR, dann wird nicht nur das Vertrauen in die Politik in unserem Land zerbrechen.
Merkel hat die deutsche Außenpolitik regelrecht eingemauert: Niemand kann mehr sicher wissen, ob irgendeine politische Erklärung von Deutschland stimmt, denn niemand der gegenwärtigen Koalition hat sich in irgendeiner Weise zu Merkel geäußert oder gar distanziert. Man hat alles durchgehen lassen, so als wäre man Teil einer Seilschaft, die schweigt, nichts gehört haben will, alles mitgemacht hat und nie Fragen stellte – von Begriffen wie Anstand, Ehre und Seriösität ganz zu schweigen.
Es braucht viele Jahre, Vertrauen zu schaffen
Wir werden keinen Weg zur Verständigung mit allen jenen finden, die bisher annahmen, Deutschlands Stimme in der Welt wäre verlässlich, und die nun annehmen müssen, dass zwischen gesagt und gemeint Welten klaffen.
Es braucht so viele Jahre, international Vertrauen zu schaffen. Merkel hat mit wenigen Sätzen alles kaputtgeschlagen. Sie hat sich und alle zu Lügnern gestempelt, aber auch die Lüge um die Begründung zum Ende von Nord Stream 2 enttarnt.
Schließlich aber bliebe immer noch die Alternative, dass alles, was nun als Wahrheit angesehen werden soll, weil die ehemalige Bundeskanzlerin sie dazu postulierte, auch nur eine Lüge ist, und Hollande ihr beisprang, um auf diese Weise seine politische Haut zu retten in dieser neuen Zeit, in der Russland aus Europa politisch verstoßen wurde, während die gleichen Leute, die sich daran beteiligen, unentwegt behaupten, sie wären die Retter Europas und verhandlungsbereit, wenn nur der böse Russe nicht so stur und aggressiv wäre.
Was ist Wahrheit, was Lüge?
Was ist von den folgenden Aussagen von Merkel zu Nord Stream 2 2019 auf der Münchner Sicherheitskonferenz zu halten?
„Dann gibt es einen vierten Punkt: die wirtschaftliche Kooperation. Darüber gibt es – Beispiel Nord Stream 2 – jetzt eine Vielzahl von Diskussionen. Ich verstehe Petro Poroschenko, der hier sitzt und sagt: Die Ukraine ist Transitland für russisches Erdgas und möchte es bleiben. Ich habe ihm immer und immer wieder versichert, dafür jede Unterstützung zu geben und Verhandlungen dafür zu führen; und das werden wir – Wahlkampf hin oder her – auch weiterhin tun. Ein russisches Gasmolekül bleibt ein russisches Gasmolekül – egal, ob es über die Ukraine kommt oder ob es über die Ostsee kommt. Das heißt, die Frage, wie abhängig wir von russischem Gas sind, kann durch die Frage, durch welche Pipeline es fließt, nicht geklärt werden. Auch da sage ich: Ich bin bereit. Niemand will einseitig und völlig einseitig von Russland abhängig werden. Aber wenn wir schon im Kalten Krieg russisches Gas bekommen haben – als ich noch auf der DDR-Seite saß und wir dort sowieso russisches Gas bekommen haben, aber als auch die alte Bundesrepublik in hohem Umfang russisches Gas eingeführt hat –, dann weiß ich nicht, warum die Zeiten heute so viel schlechter sein sollen, dass wir nicht sagen: Russland bleibt ein Partner.
Ich sage einmal – auch wieder, das ist ja gar nicht einfach, in Anwesenheit von Präsident Poroschenko aus meiner Perspektive auf der linken Seite und des chinesischen Vertreters auf der rechten Seite –: Wollen wir Russland nur noch in die Abhängigkeit oder in die Erdgasabnahme von China bringen? Ist das unser europäisches Interesse? Das finde ich auch nicht. Wir wollen auch ein bisschen an den Handelsbeziehungen teilhaben. Also müssen wir darüber offen reden.“
Es führt zur Frage, ob der NATO-Generalsekretär 2015, auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die Wahrheit sagte, oder log.
„Cooperation, however, can only be based on trust and respect. Respect for rules and agreements. And respect for borders. But Russia has isolated itself. By its own actions. And its own choices. Russia bears the responsibility for the dangerous situation in which we find ourselves. Nobody forced Russia to annex Crimea. And nobody is forcing Russia to destabilise Ukraine.
So we call on Russia to change course. To treat its neighbours as sovereign states. To come back into compliance with the commitments it has made. And to contribute to a peaceful solution in Ukraine, based on the Minsk agreements. That is why the efforts of Chancellor Merkel and President Hollande are so important. And that is why NATO fully supports the broad efforts to find a political solution. This is urgent. And it is critical.“
Übersetzung:
„Die Zusammenarbeit (Anm. gemeint war Russland) kann jedoch nur auf Vertrauen und Respekt basieren. Einhaltung von Regeln und Vereinbarungen. Und Achtung der Grenzen. Aber Russland hat sich isoliert. Durch eigene Taten. Und seine eigenen Entscheidungen. Russland trägt die Verantwortung für die gefährliche Situation, in der wir uns befinden.
Niemand hat Russland gezwungen, die Krim zu annektieren. Und niemand zwingt Russland, die Ukraine zu destabilisieren. Deshalb fordern wir Russland auf, den Kurs zu ändern. Seine Nachbarn als souveräne Staaten zu behandeln. Und zu einer friedlichen Lösung in der Ukraine, basierend auf den Minsk-Abkommen, beizutragen. Deshalb sind die Bemühungen von Kanzlerin Merkel und Präsident Holland so bedeutend. Deshalb unterstützt die NATO die breiten Anstrengungen, eine politische Lösung zu finden. Es ist dringlich. Und es ist kritisch.“
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sich die NATO oder der NATO-Generalsekretär in irgendeiner Weise für die Politik gegenüber Russland entschuldigt hätten. Sie wurde abgebucht, und ein neuer Sprechzettel aus der Tasche gezogen.
Pfad in den Krieg
Das Einzige, was man nach Merkels Äußerungen im Dezember nunmehr mit Sicherheit sagen kann, ist, dass sie ihrem Amt nicht gewachsen war. Entweder log sie über Jahre, oder sie log jetzt.
In jedem Fall führt es zu einem politischen Scherbenhaufen.
Merkel hat so viel dafür getan, Bundeskanzlerin zu werden und dafür, wie ich lange respektvoll dachte, auch die notwendigen Machtambitionen mitgebracht, um zu führen. Das ist nun hinfällig.
Denn wohin führte sie unser Land oder gar Europa, wenn ihre neue Geschichtsinterpretation stimmt? Sie führte es nicht auf einen Weg zum Frieden, sondern auf den Pfad in den Krieg. Ins Extrem getrieben, hat Merkel – so wie so viele westliche Äußerungen der vergangenen Monate – die russische Kriegsbegründung nachgeliefert und Russlands Krieg nachträglich legitimiert.
Der jüngste Europäische Rat vom Dezember verzichtete jedenfalls darauf, zu wiederholen, der russische Krieg gegen die Ukraine wäre „unprovoziert“ gewesen. Stattdessen beschuldigten die EU-Staats- und Regierungschefs nun Putin, nicht verhandlungsbereit zu sein und solidarisierten sich mit der Zelenskyj-Position (Rückgabe aller inzwischen an Russland gefallenen Territorien sowie regime change in Russland).
Wer hat die russisch-ukrainischen Verhandlungen im Frühling 2022 unterminiert?
Definitiv nicht Russland.
Wer war nicht bereit, über die russischen Vorschläge zu Sicherheitsgarantien vom Dezember 2021 zu verhandeln?
Definitiv nicht Russland.
Wer hat, laut Merkel Dezember 2022, die Minsk-Abkommen nie ernst gemeint?
Definitiv nicht Russland.
Aber da ist immer noch dieser furchtbare Krieg in der Ukraine. Wie soll der nun beendet werden? Indem Russland, das nun (allzu gerne) verstanden hat, dass es belogen wurde über Jahre, den Schwanz einzieht? Mit der militärischen Niederlage Russlands? Oder mit Verhandlungen?
Mit wem soll oder kann Russland verhandeln?
Mit denen, die logen und betrogen (wie Merkel im Dezember suggerierte)?
Verhandlungen erfordern, dass wenigsten ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen existiert.
Kühl über Jahre gelogen? Wer kann uns noch trauen?
Das hat Merkel nun auch kaputtgemacht, jedenfalls so lange, solange wir zulassen, dass nicht klar ist, was Wahrheit und was Lüge ist, wer wann wie desinformierte und warum.
Ich würde gerne weiter annehmen wollen, dass Merkel als eine der Geburtshelferinnen von Minsk politisch ihr Möglichstes versuchte, um Frieden in Europa zu wahren.
Ich finde es immer noch albtraumhaft, mir vorzustellen, Merkel und ihre Koalition hätten nur kühl über Jahre gelogen. Dann wären sie, dann wäre unser Land Teil einer bewussten Kriegsvorbereitung in Europa gewesen.
Am schlimmsten aber finde ich, dass ohne Klarheit über die deutsche Rolle in den letzten Jahren in Bezug auf Russland und die Ukraine wir keine Stimme mehr haben können, wie es mit uns und in Europa weitergehen soll, mit Russland, mit der Ukraine, nicht im Krieg, nicht im permanenten Konflikt, sondern in einem Frieden, der hält.
Aber wer soll und kann uns noch trauen? Wenn wir schon selber nicht mehr wissen wollen, was wahr ist und was nicht.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem Blog der Autorin, mit ihrer freundlichen Genehmigung. Einige Zwischenüberschriften (fett) wurden nachträglich eingefügt.
vielleicht passend dazu ein sehr sehr lesenswertes Interview mit Emmanuel Todd in der
https://weltwoche.ch/story/in-diesem-krieg-geht-es-um-deutschland/
teaser: Weltwoche: Wer ist für die Sabotage von Nord Stream verantwortlich?
Todd: Natürlich die Amerikaner. Aber das ist völlig unwichtig. Es ist normal. Wichtig ist die Frage: Wie kann eine Gesellschaft glauben, dass es die Russen gewesen sein könnten? Wir haben es hier mit einer Umkehrung der möglichen Realität zu tun. Das ist viel schlimmer. Das Studium einer solchen Gesellschaft ist faszinierend. Darüber schreibe ich jetzt ein Buch.
Todd:Allerdings wünschte ich mir, dass die Deutschen begreifen würden: Die Seite des Guten, auf der sie stehen möchten, ist diesmal nicht jene der Vereinigten Staaten. Das Gute bedeutet: diesen Krieg beenden.
Okay paywall aber eine kurze Registrierung für 5 Freiartikel (smilie) oder mail an mich, ich habs als .odt