Die Deichtorhallen in Hamburg zeigen eine hier kaum bekannte zeitgenössische Kunst jenseits des Transatlantiks, doch die dahinter stehende Stiftung aus dem Emirat Schardscha ist widersprüchlich
Ein ovales Holzboot, verwittert von der See, gehalten von einem rostigen Anker. Vor über zehn Jahren hatte die Familie des libanesischen Künstlers Rayyane Tabet den Kahn zufällig an der Nordküste ihrer Heimat entdeckt. Es war genau das Boot, das Tabets Vater fast dreißig Jahre zuvor gemietet hatte, um vor dem Bürgerkrieg im Libanon nach Zypern zu fliehen. Als „bewegliches Denkmal“ hängt es nun von der Decke der Hamburger Deichtorhallen.
Tabets Installation „Cyprus“ kommt der Idee der aktuellen Ausstellung „In the Heart of Another Country“ noch am nächsten: Das Schwanken der Hoffnung auf eine sichere Bleibe, die mit Exil und Diaspora stets verbundene Lebensgefahr sind sofort präsent.
Ansonsten darf man das Thema nicht zu wörtlich nehmen. Ein Großteil der 61 Künstler:innen verbindet damit, dass sie die meiste Zeit ihres Lebens im Ausland verbracht haben. Als Galionsfigur fungiert die libanesisch-amerikanische Künstlerin Etel Adnan. 1925 in Beirut geboren, lebte sie lange in Kalifornien und Paris. Ihren Titel hat die Ausstellung von Adnans 2004 erschienenem Poem „In the Heart of the Heart of Another Country“, in dem sie ihr Wandern zwischen den Welten reflektiert.
In einer Zeit forcierter Migration legt die Schau den Finger in die Wunde eines global drängenden Problems. Noch dazu mit 150 hochkarätigen, in Deutschland fast nie gezeigten Werken. Doch warum mussten die Deichtorhallen dafür auf die Kunstsammlung der Sharjah Foundation zurückgreifen?
Die Kooperation offenbart ein kunststrategisches Dilemma. Bei fast jedem Versuch, „unsere hauptsächliche Blickrichtung von Europa nach Nordamerika und zurück zu erweitern“, wie es Dirk Luckow, dem Chef der Deichtorhallen vorschwebte, geraten Ausstellungsmacher:innen an widersprüchliche Partner.
Das Emirat Schardscha am Persischen Golf mag sich mit seiner 1993 gegründeten Kunstbiennale, deren 15. Jubiläumsausgabe heute, am 7. Februar eröffnet, inzwischen einen Ruf als veritable Art-Location erarbeitet haben. Die Lage der Menschenrechte bleibt in dem besonders konservativen Teilstaat der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) mehr als prekär. Dies gilt insbesondere für Frauen und die LGTB+-Community. In Schardscha gelten die Scharia und die Todesstrafe, auch wenn letztere kaum vollzogen wird.
Ende 2021 hatten die Vereinigten Arabischen Emirate im Rahmen einer Liberalisierungsinitiative die obligatorische Zensur für Kinofilme abgeschafft. Zudem hatten sie das Verbot des Zusammenlebens unverheirateter Paare aufgehoben. Ganz aufgehoben wurde die Zensur aber nicht. Das demonstriert der Fall Ahmed Mansoor. In Abu Dhabi, also auch in den VAE, sitzt der emiratische Menschenrechtsblogger seit 2017 wegen angeblich staatsgefährdender Tweets in Haft. Die VAE führen auch weiter Krieg gegen den Jemen und sind in dem Land für eine humanitäre Katastrophe mitverantwortlich.
Verschafft ein deutsches Museum der absoluten Minimonarchie am Persischen Golf über den Umweg der Kunst hier etwa die Credibility, die sie politisch zu Recht nicht erhält?
Hoor Al Qasimi hat eine viel klügere Form entwickelt, dem Emirat Schardscha durch zeitgenössische Kunst ein gutes Image zu geben
Eine so offensichtliche Form des Artwashing wie das Emirat Katar betreibt man in Schardscha nicht. Hoor Al Qasimi ist die Tochter des regierenden Emirs Sultan bin Mohammed und Chefin der Schardschaer Kunststiftung. Sie versucht nicht wie ihre Katarer Kollegin Al Mayassa, das kleine Land zwischen Saudi-Arabien und dem Iran mit gigantischen Museumspalästen und spektakulären Public Art Projects gleichsam unangreifbar zu machen – und gibt dafür eine Milliarde Gas- und Petrodollars im Jahr aus.
Die 1980 geborene Hoor, Absolventin der Londoner Kunsthochschule Slade und der Royal Academy of Arts, hat eine viel klügere Form entwickelt, dem Emirat Schardscha durch zeitgenössische Kunst ein gutes Image zu geben. Statt auf glitzernde Kunstspektakel oder teure internationale Stars wie Isa Genzken oder Damien Hirst in Katar setzt Hoor auf kritische Künstler:innen. Etwa auf Hassan Sharif. Der 2016 Verstorbene war ein Pionier der Konzeptkunst in den Emiraten. Hoor baut ihre Sammlung langsam und gehaltvoll auf. Als Tochter einer arabischen Elitefamilie unternimmt sie das freilich aus einer privilegierten Position heraus.
Rund 1.300 Werke seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts umfasst sie inzwischen. Der Mythos, der Schardschas Sammlung einer kritischen Kunst vorauseilt, führt dazu, dass selbst ein freiheitsliebender Künstler wie Halil Altındere aus Istanbul, der seit Jahren gegen die Autokratie des dortigen Präsidenten ficht, gern darin vertreten ist. Oder Abu Lawrence Hamdam, der für seine Kunst sehr genau auf die Menschenrechte blicken will, jedoch in Schardscha offenbar nicht.
Die heute 43-jährige Hoor hat es mit ihrer Sammlungspolitik bis an die Spitze der International Biennial Association (IBA) geschafft. Auch bei den Berliner Kunst Werken (KW) wirkt sie im Verein.
Aus einem Dilemma kommt auch sie nicht heraus: Je heller der kritische Kunststern Schardschas unter ihrer Ägide leuchtet, desto deutlicher fallen auch die demokratischen Defizite des Emirats auf. Vor einer guten Dekade fielen politischer und ästhetischer Absolutismus gar direkt in eins: 2011 feuerte Emir Sultan, Schardschas „Ruler“, Jack Persekian, den damaligen Chef der Kunstbiennale, weil er eine anstößige Arbeit des algerischen Künstlers Mustapha Benfodil gezeigt hatte. Persekian reagierte auf eine internationale Beschwerdepetition mit untertäniger Selbstkritik: „Das war sehr dumm von mir.“
Trotzdem hat Hoor Al Qasimi den Spielraum der Sharjah Foundation in den letzten Jahren erweitern können. Seit 2015 ist sie durch ein Dekret ihres Herrschers staatsunabhängig. Den Großteil ihres Budgets erhält sie nach eigenen Angaben aber weiterhin vom Staat. Eine genaue Summe will sie nicht nennen.
Mit dem ägyptischen Kunsthistoriker Omar Kholeif, der auch die Hamburger Ausstellung kuratierte, berief Hoor Al Qasimi im Sommer 2019 einen offen schwulen Sammlungsleiter und Chefkurator, bislang ohne offene Kritik der Schardschaer Konservativen hervorzurufen.
So sehr die Zusammenarbeit zwischen den Deichtorhallen und der Sharjah Foundation nun Fragen aufwirft, instrumentalisiert hat die emiratische Stiftung die Hamburger offenbar nicht. Die Initiative zu der Schau soll sogar von Direktor Luckow ausgegangen sein. Er will sie auch vollständig selbst finanziert haben. Die genaue Höhe der Kosten will er jedoch nicht preisgeben. Als Hauptsponsor listen die Hallen die Investbank mit Sitz in Schardscha, aber auch die Hamburger Kulturbehörde auf.
Von all den politischen Hintergründen erfahren die Besucher der Schau an der Elbe nichts. Und will man sie weiter außer Acht lassen, so kann sich in der Ausstellung eine weitestgehend unbekannte Kunstgeschichte jenseits der transatlantischen Moderne eröffnen.
Wer hat hierzulande schon von Ibrahim Massouda gehört? Der 1925 als Sohn jüdischer Eltern in Ägypten geborene Künstler gehörte zu den Mitbegründern der Kairoer „Gruppe für moderne Kunst“ und gilt als wichtiger Vertreter des ägyptischen Surrealismus.
Seine Spuren verlieren sich, er soll bereits mit vierzig Jahren verstorben sein. Die engelsgleiche, an Marc Chagall erinnernde Flügelgestalt über einer dunkelbraunen Stadt auf einem Gemälde aus den 1950er Jahren scheint in ein ewiges Exil zu streben.
„In the Heart of Another Country“: Deichtorhallen Hamburg, bis 12. März. Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag. Links wurden nachträglich eingefügt.
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