Dass das Treffen der G-20-Außenminister*innen in Indien eine Lösung oder einen Fortschritt in der Frage des Krieges in der Ukraine hätte bringen können, hat niemand erwartet. Zu weit lagen die Standpunkte schon im Vorfeld der Konferenz auseinander. Aber zwei Fakten waren doch im Sinne einer Dialogmöglichkeit evident: Der russische Außenminister Lawrow, obwohl bekannt als Scharfmacher und Sprachrohr Putins nahm an der Konferenz teil und hörte sich – im Gegensatz zu früheren Konferenzen – auch die Statements an, die er sicher so nicht hören wollte.

Eine gemeinsame Schlusserklärung kam erwartungsgemäß nicht zustande. Politische Bewegung brachte das alles nicht – trotz gewisser Bemühungen des Gastlandes Indien. Trotzdem hat US-Außenminister Blinken die Gelegenheit wahrgenommen, ein Vier-Augen-Gespräch mit seinem Kollegen Lawrow zu führen. Dass dabei Annäherungen erzielt wurden, erwartete ebenfalls niemand, aber die Tatsache, dass gesprochen wird, ist ein Zeichen, dass beide Seiten ein Interesse haben, den Gesprächsfaden nicht völlig abreissen zu lassen. Die deutsche Aussenministerin hätte die gleiche Chance gehabt, auch wenn sie Lawrow aus seiner Sicht nur Unangenehmes zu sagen gehabt hätte und sich umgekehrt hätte anhören müssen. Doch anstatt diese Möglichkeit zu nutzen und damit zu zeigen, dass man nicht nur übereinander, sondern auch miteinander redet, auch wenn eine Verständigung nahezu unmöglich erscheint, zog es Annalena Baerbock vor, ihr Statement vor der Tür abzugeben.

Diplomatie findet nicht vor den Türen statt

Die oberste Diplomatin der Bundesrepublik hat also um ein weiteres Mal die Arbeit verweigert. Wer spricht oder es zumindest versucht, kann danach immer noch erklären, dass es leider zu keinem Ergebnis geführt habe. Aber wer es gar nicht versucht, verweigert die Arbeit, für die sie eingestellt worden ist. Baerbocks Auftritt in Indien war eine Demonstration der Gesprächsunfähigkeit. Womit wollte sie Putin, Lawrow, Russland, überraschen? Meinte sie damit ernsthaft, die russische Opposition, die Länder auf der Konferenz, die es bisher vermieden haben, Russland für seinen Einmarsch klar zu verurteilen, zu wecken, zu überzeugen oder zu  beeindrucken? Glaubt sie wirklich, durch solche Fensterreden fürs heimische Publikum den politischen oder moralischen Druck auf diese Staaten zu erhöhen? Diplomatie erfordert Reden, nicht öffentlich, sondern auf Konferenzen, oder auch vertraulich in Nebenzimmern. Und wenn das alles klemmt und nicht vorwärts geht, dann erwarten doch die heimischen Zuschauer*innen zumindest eine sachliche Einordnung der Lage und Erläuterung, warum alles nicht voran geht. Das kann anstrengend, nervend oder höchst unangenehm sein. Stattdessen bevorzugt die Aussenministerin naßforsche Tagesschau-Auftritte und Simulationen von kämpferischer Haltung draußen vor dem Konferenzsaal.

Wehner: “Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen.”

Das SPD-Urgestein Herbert Wehner hat CDU-Abgeordneten, die den Plenarsaal verliessen, zugerufen: “Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen.” Das gilt um so mehr für das diplomatische Parkett. Und feministische Außenpolitik ist diese Art verbales Gemackere schon gar nicht.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net