Vor 40 Jahren schrieben die Wähler in der westdeutschen Bundesrepublik Geschichte. Bei der Bundestagswahl am 6. März 1983 überwand die Partei „Die Grünen“ die Fünf-Prozent-Hürde.
Es war eine Premiere vielfältiger Art. Erstmals wurde die Grünen in den Bundestag gewählt. Erstmals seit 1949, dem Gründungsjahr der Bundesrepublik, kam eine Partei neu in das Parlament in Bonn. Das stabil erscheinende Drei-Parteien-System, das sich in den Jahrzehnten davor herausgebildet hatte, war Vergangenheit. Schneller als erwartet? Bei der Bundestagswahl 1980 hatten CDU/CSU, SPD und FDP noch 98 Prozent der abgegebenen Stimmen der Wähler auf sich vereinigt. Die Grünen waren bei 1,5 Prozent hängen geblieben. Auf alle „Sonstigen“ zusammen waren 0,5 Prozent entfallen. Auch 1983 wurde es knapp für die Grünen: 5,6 Prozent der Stimmen reichten gerade so eben. Entsprechend gedämpft war ihre Stimmung an jenem Wahlabend, bei dem es angesichts von Hochrechnungen zeitweise so aussah, als hätten sie es wieder nicht geschafft. Dabei feierten die Grünen den Abend an historischer Stätte. Nicht in ihrer Parteizentrale, auch nicht im Regierungsviertel, sondern weit südlich: In der Stadthalle von Bad Godesberg, dort, wo die SPD 1959 ihr „Godesberger Programm“ verabschiedet und den Grundstein für ihre Regierungsfähigkeit im Bund gelegt hatte.
28 Abgeordnete stellten die Grünen. In ihren Fraktionssitzungen konnten weitere 28 Mitglieder gleichberechtigt mitreden und mitstimmen. Die hießen Nachrücker. Zur Mitte der Legislaturperiode sollten – gemäß der Beschlusslage, aber „freiwillig“ – die Abgeordneten ihre Mandate niederlegen und Platz für die zweite Garnitur machen. Unter den zehn jüngsten der 520 Abgeordneten des Bundestages waren sechs Grüne. Von den 51 weiblichen Abgeordneten des Parlaments gehörten zehn der kleinsten Fraktion an.
Die Neuen in Bonn waren nicht nur nicht umworben. Sie waren auch nicht willkommen. Helmut Kohl hielt sie für Krawallbrüder. In der CSU plädierten manche dafür, das Bundesamt für Verfassungsschutz sollte sich mit ihnen befassen. Sozialdemokraten schimpften, weil die Grünen ihren Wahlkampf nicht bloß gegen die Unionsparteien, sondern genauso heftig gegen die SPD geführt hatten. Laut ihrer Ikone Petra Kelly waren sie als Antiparteienpartei angetreten – gegen die „Altparteien“. Den Platz in der Mitte des Bundestages hatten sie sich zu erkämpfen. CDU/CSU und FDP wollten sie nach linksaußen setzen. Die SPD-Fraktion aber wollte niemanden links von sich sitzen haben. So kamen sie in die Mitte – direkt gegenüber dem Rednerpult und zwischen den beiden großen Volksparteien. Wie ein Symbol als Stachel im Fleische. Sitzungssäle und Büros nahe dem Plenarsaal, wie sie die anderen Fraktionen hatten, bekamen sie nicht. Die Grünen wurden ins ein paar hundert Meter entfernte Hochhaus am Tulpenfeld quasi ausgelagert, was sich allerdings ungewollt als Vorteil erwies: Schräg gegenüber hatte die Mehrzahl der Bonner Journalisten ihre Büros. Für die waren die Sitzungen der Bundesfraktion der Grünen öffentlich. Auch solche, die im heftigen Streit endeten. Ob nun kritisch oder wohlwollend – für Publizität war jedenfalls gesorgt. Es konnte beobachtet werden, wie sich in einer Gruppe von Neulingen eine Hierarchie herausbildete: Marieluise Beck, Joschka Fischer, Otto Schily, Hans-Christian Ströbele und Antje Vollmer gehörten dazu.
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