Beueler-Extradienst

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Von Haltung und Demut

Die deutsche Außenministerin ist nach China gereist und hat sich sofort auf ihre bekannt Art und weise beliebt gemacht: Nassforsch und – die Berliner Presse nennt das “ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen”, laut hat sie ihre Gastgeber öffentlich angegriffen, ihnen Menschenrechtsverletzungen – natürlich nach unseren Maßstäben – vorgeworfen und sich rundum im Recht gefühlt. Sie kommt ja “aus dem Völkerrecht.” Erreicht hat sie damit für die von Repressionen oder Drohungen Betroffenen – Uiguren, Hongkongchinesen, Taiwanesen – gar nichts. Eingefangen hat sie sich einen diplomatischen Eklat “was China als letztes braucht, sind Lehrmeister aus dem Westen”. Und auch in der Frage des Verhältnisses zu Russland gab es keinen Zentimeter Bewegung. Was also bleibt von diesem Besuch außer Reisespesen und Verschärfung des diplomatischen Klimas?

Vielleicht liegt es daran, dass ich zu einer Generation gehöre, die noch davon ausgegangen ist, dass die beiden Systeme – westlicher Kapitalismus und östlicher Realsozialismus – auf unabsehbare Zeit im Widerstreit zueinander stehen würden und sich substanziell daran, außer über Krieg und gegenseitige Selbstvernichtung wenig bewegen würde. Es sei denn es gelänge durch kleine Schritte der Kooperation und Verständigung Löcher in den “eisernen Vorhang” zu stanzen. Und natürlich zu verhindern, dass sich die Menschheit gegenseitig atomar selbst vernichtet. Diese Selbstbeschränkung bei der Bereitschaft zur Großmäuligkeit scheint die “Generation Baerbock” nicht zu kennen.

Umdeuten der Realität ist en vogue

Gemeinsames Handeln und kooperatives Wirtschaften waren und sind dabei eine gute Basis. “Wandel durch Annäherung” war und ist die im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg in Europa von vielen rechten Politikern und Journalisten diffamierte und kritisierte Form der Außenpolitik.  Die dahinter stehende, meist unausgesprochene Haltung lautet: wären erst Willy Brandt und später Gerhard Schröder bzw. Angela Merkel der UdSSR und später Russland und Putin nicht so freundlich entgegengekommen und hätten “alles durchgehen” lassen, wie die Krimbesetzung 2014, wäre der Ukrainekrieg nicht passiert. Was natürlich historisch blühender Unsinn ist. Trotzdem hat Friedrich Merz aus Anlass der Auszeichnung Angela Merkels mit dem Bundesverdienstkreuz gestern an dieser Legende mitgestrickt.

Am deutschen Wesen…

So scheint diese Weltsicht, die ja auch ein Teil der Berliner Journalist*innen prägt, zunehmend auf Rhetorik und Haltung der Außenministerin abzufärben. Hinzu kommt ein Hang zum arroganten und besserwisserischen Auftreten, wo ein Blick in die Geschichte und eine etwas selbstkritischere Einschätzung der eigenen Rolle und Perzeption durch andere angemessen wären. Ich selbst habe eine solche Erfahrung als Mitglied einer Landtagsdelegation  aus NRW zum Thema Drogen- und Kriminalpolitik in den USA machen müssen. Als Bürgerrechtler, Linksliberaler  und Fraktionsvorsitzender der Grünen glaubte ich mich moralisch und politisch verpflichtet, bei einem Besuch des Senats von Massachusetts in Boston in der Diskussion mit den dortigen Kollegen auch das Thema Todesstrafe ansprechen zu müssen. Einen Menschen zu töten, der ein wie auch immer schreckliches Verbrechen begangen habe, würden wir Europäer ablehnen – aus humanitären und ethischen Gründen – schließlich könne niemand im Falle eines Fehlurteils das genommene Leben zurückgeben.

…soll die Welt genesen?

Die Reaktion war für mich erstaunlich, befremdlich. Die mir, wie ich dachte, politisch nahestehenden “liberalen” Demokraten, die sich in der Tradition der Kennedys verstanden, reagierten irritiert bis gar nicht, betonten, dass die Todesstrafe für sie kein Problem, sie nicht grundsätzlich dagegen seien. Ihre Chairperson verwies mich an die christlich-fundamentalistischen Republikaner, die als radikale Lebensschützer und Abtreibungsgegner als einzige im Parlament auch gegen die Todesstrafe seien. Ihr Vorsitzender erklärte mir, dem Atheisten und Mitglied der antiklerikalen “Humanistischen Union” dann, dass nur “Gott” das Recht habe, Leben zu nehmen, was neben Abtreibungen natürlich auch für die Todesstrafe gelte. Schon während dieser Diskussion dämmerte mir, dass ich mit meiner nassforschen Meinungsäußerung  einer sehr grundsätzlichen Fehleinschätzung des Verständnisses von Menschenrechten aufgesessen war. Und dies 1997 bei einem befreundeten Partnerland, dem Ursprungsland einer der demokratischsten Verfassungen der Geschichte.

Nachhilfe in Diplomatie

Hatte ich diesen Besuch im Parlament einigermaßen verunsichert überstanden, folgte dann eine Lektion in diplomatischer Nachhilfe. Bei einer passenden Gelegenheit nahm mich unsere hervorragende und erfahrene Dolmetscherin beiseite, die jahrelang für Kongress und UNO tätig war. “Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen” klärte sie mich unter vier Augen auf, dass ich in mehrere Fettnäpfchen zugleich und hintereinander getreten sei. Das beginne bei meiner Rolle als Sprecher einer in den USA zu diesem Zeitpunkt als grüner Graswurzelbewegung wahrgenommener Partei – auch wenn wir in NRW regierten, wir würden als Exoten wahrgenommen. Kern ihrer ernsthaften Kritik war aber ein ganz anderer: Meine vorgebrachte Menschenrechtsrhetorik würde in den USA angesichts der Verbrechen der Nazis (!) und unserer kolonialen Geschichte als bestenfalls skurril, auf jeden Fall aber historisch nicht sehr glaubwürdig wahrgenommen. Ich hätte – bei aller Sympathie, die sie für meine Positionen bekunde – ein riesengroßes diplomatisches Eigentor geschossen. Ich war betroffen, bin aber bis heute dankbar für diese offenen Worte, die mich gelehrt haben, in Situationen der Konfrontation mit dem Fremden etwas mehr Sensibilität, Selbstkritik, ja,deutlich mehr Demut zu üben.

Unterschiedliche Standpunkte als real wahrnehmen

Ich habe dadurch mehr gelernt, als mir viele Jahre Begegnungen mit sozialistischen Organisationen im Jugendverband durch Ostkontakte im “kalten Krieg” vermittelt haben. Dort habe ich mit als erstes feststellen können, dass die internationale Erklärung der Menschenrechte natürlich nicht nur eine, sondern unterschiedliche Interpretationen zulässt – aber dazu gehört die Bereitschaft, genau zuzuhören.  Denn so schloss sich die Frage an, was zu tun ist, wenn man feststellt, dass die Gegenseite einen Text oder eine Resolution völlig anders interpretiert. Ich habe wie viele andere die Erfahrung gemacht, dass es zwar in der Sache kein Zurückweichen geben kann, dass aber oft hilfreich ist, die Grundlagen, die “Basics” zu erörtern, um gegensätzliche Standpunkte wenn nicht ausräumen, dann zumindest verstehen und einordnen zu können. Der reine Austausch von Positionen – und nichts anderes hat Baerbock in China gemacht – bringt keine Seite weiter und schadet jeder Kooperation. Vor allen Dingen, wenn er öffentlich erfolgt. Denn ein weiterer Grundsatz erfolgreicher Diplomatie ist, dem Anderen niemals öffentlich das Gesicht zu rauben oder ihn bloßzustellen. Auch hierin performt die deutsche Chefdiplomatin kontinuierlich suboptimal.

Die Geschichte holt jede/n ein

Besonders im Verhältnis zu China, aber auch bezüglich des Verhältnisses zu den BRICS-Staaten muss die Haltung der Aussenministerin besorgen, die keinerlei historisches Bewusstsein oder auch nur den Hauch einer Reflexion darüber erkennen lässt. Was im Verhältnis zu Israel selbstverständlich ist, scheint im Falle Chinas und Südafrikas vergessen oder verdrängt zu sein. Wer den Kriminalroman Henning Mankells “Der Chinese” gelesen hat, wird wissen, was ich meine. Hinter der Formulierung des chinesischen Außenministers, “China brauche keinen Lehrmeister aus dem Westen” steckt viel mehr, als die Reaktion auf das arrogante und selbstgerechte Auftreten der deutschen Außenministerin in Beijing.

Deutsch-Chinesische Geschichte sehen

Es ist auch in China unsere ureigene Vergangenheit, die koloniale Geschichte, die uns nachhängt. Schließlich haben 1901 deutsche, japanische, britische, französische, italienische, amerikanische, österreich-ungarische und russische Kolonialtruppen den “Boxeraufstand” niedergeschlugen und Gräueltaten begangen. Die zeitgenössischen britischen und amerikanischen Beobachter kritisierten vor allem die deutschen, russischen und japanischen Truppen für ihre Rücksichtslosigkeit und ihre Bereitschaft, Chinesen jeden Alters und jeder Herkunft willkürlich hinzurichten und zum Teil ganze Dörfer niederzubrennen. Die Geschichte ist facettenreich und widersprüchlich. So wurde die Tongji-Universität in Shanghai 1907 von der deutschen kaiserlichen Regierung als Medizinhochschule gegründet, 1912 durch Ingenieurwesen erweitert. Sie wird bis heute von Siemens, der Volkswagen-Stiftung und dem Bundesbildungsministerium für Bildung und Forschung gefördert.

Mit allem nichts zu tun?

Gerade angesichts dieser Vergangenheit erscheint mir das ahistorische und von jeder Selbstkritik freie Auftreten Annalena Baerbocks in China eher ein Anlass zum Fremdschämen, als eine diplomatische Initiative, um in der Sache mehr für die Wahrung der Menschenrechte zu erreichen. Wir haben eine gemeinsame Geschichte mit China, so wie wir eine gemeinsame Geschichte mit Frankreich oder Russland haben. Das wird in diesen Tagen zu häufig vergessen. Und es verhindert, dass Vertrauen jenseits der offiziellen Linien und Grenzen und Konflikte aufgebaut wird. Das erfordert die Fähigkeit zuzuhören, die Fähigkeit, den eigenen Standpunkt nicht als absolut zu betrachten, und die Gegenseite anzuerkennen und – bei aller Kontoverse und unter Wahrung der eigenen Sicherheitsbedürfnisse – einen echten, ergebnisoffenen  Dialog zu führen.  Dafür bedürfte es einer respektvollen Haltung und eines gesunden Stücks Demut und Fähigkeit zur Selbstkritik. Diese Tugenden scheinen aber nicht zu den Stärken der Bundesaußenministerin zu gehören.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

5 Kommentare

  1. Martin Böttger

    Dazu ergänzend Florian Havemann/Berliner Zeitung: “Der unfertige Gedanke 21: Erträumte und reale Souveränität – Alles ändert sich für einen Staat, gewinnt er an Souveränität, büßt er sie ein. Triumph, Katastrophe, oder man gewöhnt sich dran – das Denken setzt aus, die Propaganda beginnt.”
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/ertraeumte-und-reale-souveraenitaet-essay-von-florian-havemann-li.337578

  2. Helmut Lorscheid

    Was mich bei dieser nicht äußerst zänkischen Person frage: Wer bezahlt die? Ich halte sie nicht für besonders klug – aber solchen Unfug macht niemand umsonst. Das kann ich mir nicht vorstellen. Frau Baerbock muss für ihr Handeln, welches ja im Ergebnis einzig im im Interesse der USA liegt, von irgend wem bezahlt werden. Was ich nicht bestehe ist, dass die SPD diesen gefährlichen Unsinn mitträgt. Und dass das eigene Haus ihr keine Fallen stellt. Hunderte erfahrene Diplomaten können doch nicht alle plötzlich strunz dumm geworden sein.

    • Roland Appel

      Wer sie bezahlt, lieber Helmut: Wir! Du und ich Titel Personal des AA Epl. 05 Titel 512, darin drei Staatssekretäre mit Besoldungsgruppe B11, darüber dann die Ministerin.

    • Helmut Lorscheid

      Roland, dass diese denkneutrale Person unser Geld bekommt, daran zweifele ich nicht. Ich sehe aber wirklich keinen Grund zur Annahme, dass unser Geld alles sei, was sie bekommt. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen , dass – wer solch eine dumme und gleichzeitig mörderische Politik betreibt, das kostenlos macht.

  3. rudolf schwinn

    In Hochachtung für Roland Appel, seine erarbeitete Haltung und die reflektierten Texte im “Extra-Dienst”, mit denen er dieser Ausdruck verleiht.
    Was kann man mehr, als Frau Baerbock zu wünschen, das Leben wird ihr noch Begegnungen von der Art schenken, wie sie Herrn Appel als jungem Mann zu Gute gekommen sind. Die Art, wie sie bisher ihr Amt versieht, fördert aber den Zweifel, ob sie einen Reifungsprozess, wie ihn Herr Appel erinnert, auf sich nehmen könnte. Dabei wäre diese Leistung aber sichtlich Voraussetzung, ihres Amtes verantwortungsbewusst zu walten. In Schmerz füge ich hinzu: Vielleicht hätte ihr die wissende und erfahrene Antje Vollmer helfen können…
    Herzlicher Gruss nach Beuel,
    rudolf schwinn.

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