Streit zwischen Ministerien, gar mit dem Kanzleramt, über Kompetenzen, ist schlecht beleumundet. Als „Ressortegoismus“ in der Bundesregierung wurde gegeißelt, dass die Verhandlungen der Ampelkoalition über eine „Nationale Sicherheitsstrategie“ samt einem Sicherheitsrat mit einem Sicherheitsberater an der Spitze mindestens vorläufig gescheitert sind. Auch Christoph Heusgen, früher Angela Merkels außenpolitischer Berater und nun Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, bedauerte das. Zwar habe in Merkels 16 Regierungsjahren ein solches Vorhaben nicht einmal auf der „Agenda“ gestanden, gestand er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein. Doch gebe es nun wegen Putins Überfall auf die Ukraine neue Herausforderungen. Das Auswärtige Amt aber befürchtete zu Recht, Zuständigkeiten an das Bundeskanzleramt zu verlieren.
Das zusätzliche Gremium der Regierung hätte die Schaffung neuer Planstellen nach sich gezogen. Die Grundüberlegung war, dass der Begriff Nationale Sicherheitsstrategie umfassend zu verstehen sei. Nicht bloß klassische Gesichtspunkte der Landesverteidigung seien zu berücksichtigen, sondern auch andere Fragestellungen: Internationale Konflikte, Entwicklungspolitik, Folgen der Migration und des globalen Handels, Bereiche der Umweltpolitik, der Klimawandel mit seinen Auswirkungen und auch die Cyberkriminalität. Mindestens. Alles Themen, die schon jetzt in den Ministerien bearbeitet werden und die im Kanzleramt „Spiegelreferate“ haben – mit dem Chef des Kanzleramtes an der Spitze. Ein nationaler Sicherheitsrat hätte eines Vorsitzenden bedurft, der natürlich von der Partei des Kanzlers zu stellen wäre, aber auch eines stellvertretenden Vorsitzenden, der dann mit Sicherheit der Partei des Außenministers angehört hätte.
Cyril Northcote Parkinson, britischer Wirtschaftshistoriker und Publizist, hätte seine Freude daran gehabt. Leicht wäre ein Apparat mit Dutzenden Beamtenstellen entstanden: Referatsleiter, Fachreferenten, Sekretariate, jeweils mit Stellvertretern und Stellvertreterinnen. Parkinson hätte eine Bestätigung der von ihm entwickelten „Parkinsonschen Gesetze“ gesehen: „Arbeit dehnt sich in genau dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht.“ Die Bürokratie wachse – und zwar unabhängig davon, ob es ein Mehr an Aufgaben gebe. Ausgangspunkt seiner Beobachtungen war die Entwicklung der britischen Admiralität. Zwischen 1914 und 1928 sank die Zahl der im Bau befindlichen Kriegsschiffe um 68 Prozent, während die Zahl der Mitarbeiter der Admiralität um fast 79 Prozent wuchs. Ein Grund: Jeder Angestellte wünscht, die Zahl der Untergebenen zu vergrößern. Angestellte neigten zudem dazu, sich gegenseitig Arbeit und Aufgaben zu verschaffen.
Schließlich ein Praxistest: Nach Recherchen der FAZ-Korrespondenten Reinhard Bingener und Markus Wehner gab es zu Merkels Zeiten in der Regierungszentrale Differenzen über die zweite deutsch-russische Gaspipeline – zwischen Heusgen (contra) und dem Leiter der Wirtschaftsabteilung Lars-Hendrik Röller (pro). Hätte ihr Konflikt im Nationalen Sicherheitsrat beigelegt werden müssen – und nicht im Kanzleramt oder im Kabinett? Und nicht zuletzt: Gewiss hätte die Opposition das Anwachsen des Beamtenapparates kritisiert. So gesehen sollte ein neues Theorem formuliert werden: Ressortegoismus hat auch seine guten Seiten.
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