Beim Gedenken an die Bücherverbrennungen der Nazis fehlte was
Am 12. Mai wurde vielerorts an die Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten vor 90 Jahren erinnert. Auch in Bonn war das so. In der Abendberichterstattung fand sich die Veranstaltung wieder, tags darauf in den Zeitungen. Das war es. Wird das diesem Tag und dessen Folgen auch nur halbwegs gerecht?
In Bonn erinnerte die Oberbürgermeisterin an den Tag vor 90 Jahren, die ASta-Vorsitzende und die Sprecherin des Parlaments der in Bonn Studierenden redeten, andere zitierten. Nach Schätzung der lokalen Zeitung, des Bonner General-Anzeiger waren etwa 150 Menschen anwesend. Nach meiner Beobachtung waren darunter viele jüngere.
In Claus-Dieter Krohns und Patrick von zur Mühlens grundlegendem Werk „Rückkehr und Aufbau“, Marburg 1997, findet man den Hinweis, dass geschätzt 500 000 Menschen aus deutschsprachigen Gegenden und Ländern ab 1933 ins Exil gingen. Die allermeisten waren Jüdinnen und Juden. Es war ein ungeheurer Verlust, an den viel zu selten gedacht wird: Ärzte und Ärztinnen, Wissenschaftler und Forscherinnen, Rechtsanwälte, Journalisten, Verleger, Schauspieler und Schauspielerinnen, Unternehmer, Handeltreibende, Schriftsteller und Dichterinnen. Einige Namen: Lion Feuchtwanger war in den USA, als die Nazis 1933 an die Macht kamen. Er blieb in den Staaten. Der Philosoph Theodor Lessing ging. Die in Köln geborene Dichterin Hilde Domin, geborene Löwenstein, ging weitsichtig bereits 1932 ins Exil. Sie kehrte 1961 nach Deutschland zurück, lebte in Heidelberg. 2012 wurde ihr Grabstätte geschändet.
Im Rheinland waren jüdische Familien vieltausendfach fest in die dörflichen und städtischen Gesellschaften eingebunden. Die Kinder waren befreundet. In meinem Heimatort in der Voreifel wurden 1934 zwischen 20 und 30 jüdische Familien gezählt. Sie gehörten, wie man sagte, dazu. Die Bücherverbrennungen hoben freilich bereits laufende Hetze auf eine neue Stufe. Hetze und Diffamierungskampagnen betrieben die lokalen NSDAP-Gliederungen und die NS-Medien. Das zeigte Wirkung. Verbindungen lockerten und lösten sich. Die Bonner Verhältnisse sind gut nachzulesen in der Dissertation Sandra Dentlers: “Volksgemeinschaft in Bonn: die Bonner Gesellschaft und die Judenverfolgung von 1933 bis 1942“ (Dissertation 2017 LMU).
Wir heutige haben kaum einen Begriff von Emigration. Eine entfernte Vorstellung vielleicht. Während meiner Arbeitsjahre in Berlin ließ ich mir die verbliebenen Haare auf der Brückenstraße von einem Friseur aus dem irakischen Teil Kurdistans schneiden. Im Orient Art Barbershop. Der Chef des Ladens sagte im Verlauf eines Gesprächs, dass er nach Deutschland ausgewandert sei, weil seine Kinder in Sicherheit leben sollten. Ohne Angst. Im Übrigen gebe es nur wenig Schreckliches, was er auf seiner monatelangen Reise nach Deutschland nicht erlebt habe.
Marita Kraus schreibt in ihrem Buch „Heimkehr in ein fremdes Land – Geschichte der Remigration nach 1945“ (becksche reihe, München 2001): „Lebensgeschichtlich war die Emigration ein dramatischer Einschnitt. Zerbrochene Biographien wurden im Exil neu zusammengesetzt, anders ausgerichtet, umdefiniert.“ Die Bücherverbrennungen leiteten tausendfach und mehr Heimatverlust aus, die Erkenntnis, dass die im braun werdenden Deutschland Herrschenden Juden aus den Gegenwart tilgen wollte
Die Bücherverbrennungen waren nichts Spontanes. Sie waren durchorganisierte und choreographierte Exzesse; Teil der Politik der Isolierung durch Nazis und bereits Vorbereitung auf spätere Vernichtung. Sie eröffneten den inneren Krieg gegen „die Juden“. Wir beschäftigen uns mitunter sprachlich etwas irritierend mit solchen Ereignissen. So begann der Bonner General-Anzeiger seinen Bericht über die Veranstaltung zur Bücherverbrennung am folgenden 11. Mai mit den Worten: „Vor genau 90 Jahren kam es in zahlreichen deutschen Städten zu öffentlichen Bücherverbrennungen, so auch in Bonn.“ Die irritierende Wendung findet man auch hier: „Als 1933 die Nazis die Macht ergriffen, kam es auch in Bonn zur ,Gleichschaltung’ – ohne nennenswerten Widerstand”. Gleichschaltung steht da in distanzierenden Gänsefüßchen.
In Berichten über alles Mögliche wird diese Wendung genutzt. Es kam zum Zusammenstoß; es kam zum Platzregen. Am vergangenen Freitag wurde morgens im WDR 5 über ein Gewaltverbrechen in der Nähe Düsseldorfs berichtet: Die Polizei habe gewaltsam eine Wohnungstür geöffnet und dann „kam es zu einer Explosion“. Immer wieder: kam es …. Durch wen oder was begangen, angestoßen, verursacht wurde – das bleibt ungesagt. Vorkommnisse kommen vor, das ist wahr, aber sie kommen nicht zu.
Die Bücherverbrennung hat einen weiteren Aspekt, über den wenig gesprochen wird. Die Nazis haben mit ihren Aktionen dem lesenden Publikum, dem der Linken zuneigenden Teil, den liberal- bürgerlichen Leserinnen und Lesern, christlichen und insgesamt auch denen, die ein ambivalentes Verhältnis zur Ordnung in der Demokratie hatten, das „Lebenselixier“ genommen. Das waren eben Bücher neben den Zeitungen und Zeitschriften. Wer und was wurde gelesen? Jakob Wassermanns Der Fall Maurizius, Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz, viel gelesen wurden Vicki Baums Romane, Jack London, Upton Sinclair, Hermann Hesse und viele andere.
Heute kann man die ungeheure Bedeutung eines Pubertäts- und Desillusionierungs-Romans wie Josef sucht die Freiheit von Hermann Kesten nicht mehr nachvollziehen. Kesten erhielt allein wegen dieses 1928 erschienenen Erstlingswerks den Kleist Preis. Oder Remarques Im Westen nichts Neues. Zuckmayer ist heute fast völlig vergessen, damals waren Das Weiberdorf oder Der Hauptmann von Köpenick die Renner überhaupt.
Die Bücher waren übrigens während der zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre durchaus Gegenstand spannender Kontroversen. Man stritt über den Buchpreis, beklagte in den Feuilletons die marktschreierische Platzierung von Büchern. Dem neuen, den Remarques und Döblins wird die die angeblich viel werthaltigere klassische Literatur entgegen gehalten.
Die Bücherverbrennungen wirkten schließlich lange nach – auch in der „daheim“ verbliebenen Literatur und später. Manche Frauen und Männer gingen in die innere Emigration. Erich Kästner gehörte dazu und Ernst Wiechert. Wer heute einen Roman Heinz Küppers aus Euskirchen liest, etwa Simplicius 45 aus dem Jahr 1963, kann empfinden, wie sehr das Fehlen einer humanistischen Literatur damalige Jugendliche prägte.
All das und noch mehr sollte auf Gedenkveranstaltungen mitschwingen. Tat es aber leider nicht. Vielleicht beim nächsten Mal.
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