Von der “Neuen Rheinischen Zeitung” vor 175 Jahren bis zu dem, was heute noch “Frankfurter Rundschau” genannt wird
Arno Widmann wird im August 77. Er muss in den gleichen Hörsälen gesessen haben, wie mein Freund und Mitautor Dieter Bott und etliche “Tatort”-Regisseure (die von den guten alten, die heute noch nicht mal wiederholt werden): bei Adorno. Seinen eigenen Ausführungen zufolge muss er sich in linksradikalen Sekten umgetan haben, bevor er es mit anständiger Arbeit versuchte. Widmann erinnert nun in einem launigen Text an eine alte hier in der Nähe gegründete Zeitung, in einem Medium, das sich heute noch “Frankfurter Rundschau” nennt: “Karl Marx und die Neue Rheinische Zeitung: Das Proletariat? Aber wo ist es? – Heute vor 175 Jahren erscheint in Köln die erste Ausgabe der Neuen Rheinischen Zeitung, mit der Karl Marx als Chefredakteur und Friedrich Engels die Welt verändern wollen.”
Ob rheinische Zeitungen sich an diesen Tag publizistisch erinnern, weiss ich nicht, weil ich sie nicht lese. Sie mauern sich allesamt selbst in Paywalls ein, weil sie uns da draussen fürchten. Ich habe von Marx weit weniger gelesen als Widmann, aber ich würde ihm, wäre er Zeitgenosse, zutrauen, sich darüber angemessen zu amüsieren. Es ist leicht, sich mit 175 Jahren Abstand über damalige Irrtümer lustig zu machen. Bemerkenswerter ist, was damalige kluge Köpfe schon wussten, Herrschende damals als “kriminell” verfolgten, und heute vorsichtshalber lieber vergessen wird. Manches bleibt …
Ironischerweise wird das Lesen von Widmanns Text nach wenigen Sekunden durch störende vom Verlagskonzern “Ippen-Gruppe” sähr gärne platzierte Popup-Werbung unterbrochen: von einem Lebensmittelshandels-Monopolisten – aus Köln! Eine Praxis, die mit den gedanklichen Mitteln des Journalisten Karl Marx, und zwar in allen ihren ökonomischen und gesellschaftspolitischen Facetten, voraussehbar war.
Ein Guter weniger: Thomas Rother
Zu meiner Schulzeit in den 70ern haben wir uns viel politisch gestritten. Aber in einem waren wir uns in der Schule einig: unsere Lokalpresse ist Müll (“Trash” war als Vokabel noch nicht üblich). Damals gab es noch Konkurrenz: in Gladbeck zwei, und Essen drei Lokalredaktionen. In der damaligen eintönigen Langeweile machten wir einfach einige Wochen eine eigene Lokalzeitung, die “Neue Gladbecker Zeitung” – ein tolles Abenteuer mit begeisterter Leser*innen-Resonanz (Internet gabs nicht). Heute ist alles “Funke-Mediengruppe”. Besser wurde es nicht.
Selbstverständlich gab es in jeder Redaktion – in der Regel nie auf dem Chefsessel – Ausnahmen, selten sogar Lichtgestalten. Ich erinnere mich, dass in Essen die NRZ (!!!, “Neue Ruhr-Zeitung”, damals Oppenberg, dann von der WAZ gefressen) die kleinste und tapferste/interessanteste Redaktion war. Wilhelm von Sternburg (später FR und Hessischer Rundfunk) begegnete mir dort erstmals. Die grosse und mächtigste WAZ dagegen war unerträglich. Sie stand unter dem Regime von Wulf Mämpel, der als Lokalchef von Gladbeck nach Essen hochbefördert wurde, und mich auf diese Weise leserbiografisch verfolgte.
Unter seinem Regime arbeitete u.a. ein Kollege Jochem Schumann (der Vorname ist kein Tippfehler, aber das verstehen die Suchmaschinen nicht), der nach meinem Eindruck aus der Distanz heimlich mit der damaligen DKP sympathisierte, was der Mämpel aber nicht wissen durfte. Und in der gleichen Redaktion arbeitete der 1955 aus der DDR abgehauene Thomas Rother, den wir alle sehr mochten, weil er anders als Mämpel kein eitler politischer Intrigant, sondern ein neugieriger und gebildeter Journalist war. Also selten.
Nun ist er mit 86 gestorben. Die WAZ Essen hat einen Nachruf von Martina Schürmann digital eingemauert. Ich hatte Rother aus den Augen verloren. Schade, da habe ich was verpasst. Der alte Mann wohnte laut Frau Schürmann in einer alten Werkshalle, die er sich zu einer Mischung aus Wohnung, Atelier und Museum umgebaut hat. Tja, so gut haben Journalisten mal verdient …
Zurück in die Gegenwart
Was das “Browser Ballett” so macht, bewerte ich persönlich als angemessene Medienkritik (“Dekonstruktion”, Kenntlichmachung). Aus Anlass ihres Transfers von der ARD ins ZDF, und ihrer Premiere im dortigen linearen Programm eine Vorabkritik von Harald Keller/FR: “Talk im Zeichen der Bombe – Die Satirereihe ‘Browser Ballett’ wechselt vom pointierten Sketch zur parodistischen Langform.”
Die Gag-Qualität schwankt, bisweilen stark. Wären Marx und Engels amüsiert? Ich weiss es nicht. Gibt es dafür Hinweise?
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