Wenn die brünftigen Stiere ausrasten, schlagen sich ihre Züchter in die Büsche

Was Weinstein trieb, wussten sie “alle”. Seine Kollegen trieben es ähnlich. Es fand sich nur niemand, es zu beweisen. Als es nicht mehr zu vermeiden war, liessen sie ihn fallen, gaben ihn als Opfer hin, auf das sie alle ihre Sünden abluden. So machte es die “Constantin Film AG” mit Til Schweiger, nachdem der sich gerade erst als Filmproduzent unter ihr Dach begeben hatte. Und so macht es jetzt die “Universal Music Group (UMG)” mit dem andern Till, Herrn Lindemann, der auf den Bühnen dieser Welt eine Konstruktion namens “Rammstein” repräsentiert. Der Gatte unserer Oberbürgermeisterin heisst übrigens auch Till (Winkelmann), ist total sympathisch und ein guter Freund. Also keine Vorurteile!

In den letzten Tagen habe ich mit wachsendem Missbehagen beobachtet, dass in diesem Blog, wie überall in der deutschen Welt, die Begriffe “AfD”, “Rammstein” und “Lindemann” zusätzliche Klicks erwirtschaften. Darum funktionieren “die” Medien so, wie sie funktionieren. Da ich hier nichts erwirtschafte, bin ich daran massiv desinteressiert. Als Kompromiss will ich Ihnen hier noch ein bisschen Trockenbrot vorsetzen.

Natürlich ist es nachvollziehbar, dass die Opfer dieser brünftigen Stiere ein massives Vergeltungsbedürfnis haben. Ob sie es nun selbst in die Hand nehmen, oder einen Rechtsstaat damit beauftragen: meine Sympathie haben sie. Und meinen Respekt für ihren Mut öffentlich aufzutreten und sich zu wehren.

Das Problem als solches ist damit nicht gelöst. Es sind keine Einzelfälle. Es ist ein System, das diese deformierten Charaktere hervorbringt und fördert. Carolina Schwarz/taz fängt zwar gedanklich richtig an, landet dann aber in einer tiefen Grube: was bitte soll denn wohl “wir als Gesellschaft” sein? Es handelt sich gerade in diesem Fall, darum auch die Bemühung von Staatsanwaltschaften und Gerichten, um unüberbrückbare Widersprüche, die dringend ihrer Austragung bedürfen. Im optimalen Fall wandern Verbrecher in den Knast und werden einer strengen Resozialisierung (hoffentlich) zugeführt. Noch besser wäre freilich, das System, das sie gross gemacht hat, zu demontieren und zu ersetzen. Das wäre dann Politik.

Lesen Sie noch mal über die Macht der Universal Music Group. “Weltmarktanteil” 2019 angeblich “32%”. Das ist gewaltig. Und die haben nichts gewusst? Haben das nicht gewollt? Wer von denen so lügt, müsste auf der Stelle verhaftet werden.

Bei telepolis diskutieren sie gerade die Qualität von Wikipedia. Deren Einträge sind in der Tat nicht perfekt, und beständiger Gegenstand von Editwars. Der Vergleich mit Brockhaus ist Blödsinn – dieses fette deutsche Lexikon war immer rechts, und das absichtlich. Das hatte Otto Köhler schon 1974 im Dritten des WDR nachgewiesen (als es noch spannend und sehenswert war, selbstverständlich ohne heutige Mediathekverfügbarkeit). Warum Philipp Fess dem Ehepaarunternehmen mit dem schwindelnden Titel “Liberale Moderne” so viel Aufmerksamkeit widmet? Ich entschuldige es damit, dass auch eine ausgewachsene Aussenministerin diesem missionarischen Orden ihr Ohr und ihren Verstand leiht.

Dass Wikipedia aber die Aktionärsstruktur von Universal, eine Standardinformation, nicht anbietet – das Warum müssen Sie da mal selber fragen, wenn Sie Zeit haben. Gesundgestossen an diesem Konglomerat hat sich ein in Deutschland kaum bekannter, in Frankreich aber umso prominenterer Oligarch: Vincent Bolloré. Den müssen Sie sich als eine spezifisch französische Mischung aus Mathias Döpfner, Silvio Berlusconi und Rupert Murdoch vorstellen. In Frankreich kann kein Präsident gegen ihn regieren; es versucht auch keiner.

Ein Fall für Maximilien de Robespierre? Rechtsstaat wäre mir lieber. Aber wo isser?

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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