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Schweiger

Til Schweiger scheint nicht so doof zu sein, wie er mir immer erschien. Ich “kenne” ihn ja schon aus der “Lindenstrasse”, in der er einen pubertierenden breitschultrigen Jüngling spielte, der gerne (!) zur Bundeswehr ging. Dieses Image eines Hohlkopfes hat er dann bei mir nie verloren. Das ist garantiert ungerecht. Zwischenzeitlich wurde er Multimillionär, ist vielleicht der letzte Regisseur deutscher Kinofilme, die Millionen Rendite in die Kasse spülten. Ich habe keinen davon gesehen. Aber das wird im Folgenden noch eine Rolle spielen.

Schweiger hat nun angeblich das einzig Vernünftige gemacht: er hat sich aus Medien-Deutschland verpisst, und ist auf seinem Mallorca-Anwesen mutmasslich “nicht erreichbar”. Vielleicht bis er irgendeinem Presse-Bordell-Betreiber meistbietend ein Exklusiv-Interview verkaufen kann.

Die erste plausibel-kritische Darstellung der mal wieder aus durchsichtigen Motiven vom Spiegel aufgeblasenen Affäre habe ich bei Timo Rieg/telepolis gefunden: Til Schweiger: Sturz des Imperators – Verwertungsmaschinerie der Medien läuft auf vollen Touren. Schweiger werden Gewaltexzesse, Alkoholsucht und Mobbing vorgeworfen. Warum die Öffentlichkeit schlecht informiert ist.” Lassen Sie sich von diesem clickbaitenden Teaser nicht abschrecken – der Text ist besser als sein Aufmacher.

Die Constantin Film AG, die sich vermutlich heute noch ärgert, dass Schweiger viele Millionen mit seiner eigenen Produktionsfirma eingefahren hat, obwohl sie doch rechtmässig die Monopolistin des deutschen Kinofilms ist (und ihr Vorstandsmitglied und Schauspielerinnen-Sohn Oliver Berben rechtmässiger Produktionsauftragsmonopolist bei ARD-Degeto und ZDF-Enterprises), hat ihm mit einem FAZ-Interview (Paywall) von niemand geringerem als ihrem Vorstandsvorsitzenden Martin Moszkowicz, von dem ich bis dahin noch kein einziges Presseinterview gesehen habe, einen publizistischen Arschtritt mitgegeben. Wikipedia zufolge lebt der Herr mit Regisseurin Doris Dörrie zusammen, unter deren Regie der Schauspieler Schweiger schon gespielt hat, lukrativ mutmasslich für beide Seiten.

Um nicht missverstanden zu werden: ich hege weder Sympathie mit der Figur Schweiger, noch will ich ihn verteidigen, oder irgendwas “nicht so schlimm” finden. Ekelhaft ist mir die publizistische PR-Heuchelei des Business und der handelnden Konzerne drumherum. Denn spätestens seit Weinstein ist es Allgemeinwissen: vielleicht war und ist Schweiger besoffener als Andere, aber was er getan hat, ist Branchengewohnheit.

Darauf hebt auch treffend die von mir geschätzte Nora Tschirner ab, die von Moszkowicz ebenfalls einen Arschtritt bekam, und sich dagegen sogleich zur Wehr setzte. Mir sind nur Presseberichte über ihre Äusserungen zugänglich, weil ich keine asozialen Konzernnetzwerke besuche, in denen sie sich geäussert haben soll. Sie hat bei mir einen Stein im Brett, seit sie sich in der letzten Talkshow, die ich noch geguckt habe (“Roche & Böhmermann” von btf-Ehrenfeld), eloquent und durchdacht als Fördererin von “Perspective Daily” präsentierte. Später bekannte sie sich zu ihrer zeitweiligen (?) Depressionserkrankung. All das erweckt in mir den Eindruck: verdammt mutig! Oder exzellente PR-Beratung. Oder beides.

Unterm Strich: Misstrauen erregt, wer sich aus der Branche jetzt auffällig weisszuwachen versucht. Claudia Roth sollte tun, was sie angekündigt hat: Teppiche hochheben, Saubermachen, Ohrenlangziehen, Fördergelder emanzipatorisch konditionieren.

Noch eine Nachbemerkung zum telepolis-Text von Timo Rieg: der Autor berichtet von einem Privilegien-Deal zwischen der Constantin AG und der SZ. Mag sein, dass ihm das von der konkurrierenden FAZ gesteckt wurde, für die er gelegentlich schreibt. Wenn das stimmt, sollten sie in München, bei denen ich wg. Paywall sowieso nichts mehr lese, sich in die Ecke stellen und schämen. Das ist die Vorstellung von Journalismus, die den SWMH-Konzern, Besitzer der SZ, antreibt. Die haben ja sogar für “Stuttgart 21” geworben. Wie lange werden sie noch Klaus Ott aushalten, dem die “2. Stammstrecke” in München keine Ruhe lässt? Immer schön unzugänglich digital eingemauert.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Christian Wolf

    Wer einmal Till Schweiger persönlich kennen gelernt hat (als es noch gar nichts war) der hatte schon den Reflex: besser nicht!

    Sein Gespür für die Befriedigung eines plebiszitären Publikums hatte ich weit unterschätzt. Unvergessen das erstes Wort in seinem Tatort: „Fuck“ in Anlehnung, an einen, mit dem er sich messen wollte: Götz George, der den Tatort aus seinem Dornröschenschlaf mit „Scheisse“ erweckte.

    Gut, von Till Schweiger war im Tatort danach nicht viel mehr zu sehen, die Schimanskis werden bis heute wiederholt – das hat Gründe.

    Aber, dass seine Megalomanie so viele Früchte tragen konnte, darum beneide ich ihn.

    Leider bin ich nicht genial, stehe offen zu meinem Mittelmaß – aber mit noch weniger großen Erfolg zu haben, das ist beeindruckend. Zum Glück neige ich nicht zu Depressionen ..

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