Eigentlich hatte ich einen bundesweiten, wenn nicht gar weltweiten Aufschrei erwartet, als die USA ankündigten, Streubomben an die Ukraine zu liefern. Doch selbst die deutschen Grünen sind still geblieben. Zwar durfte Anton Hofreiter MdB eine ablehnende Erklärung abgeben, doch von den Minister/innen und den Bundesvorstandsmitgliedern hörte ich nichts. Das neue Motto heißt offenbar „Weggucken, wegducken“. Schon oftmals haben sich Regierungsgrüne nicht an das gehalten, was sie in der Opposition und im Wahlkampf versprochen hatten. Aber Streubomben?

Bundespräsident und Bundesregierung haben inzwischen Verständnis für die amerikanische Haltung geäußert. Die SPD rang sich zu einem schwammigen Jein durch, nur einer ihrer Außenpolitiker übte Kritik. Ein CDU-Außenpolitiker hielt Kritik an der Lieferung nicht für gerechtfertigt. Auch die FDP zeigt Verständnis für das Anliegen der Ukraine.

Deutschland ist allerdings einer der 120 Vertragsstaaten des Übereinkommens über Streumunition vom 1. August 2010, auch unter Oslo-Konvention bekannt. Sie verbietet den Einsatz, die Entwicklung, die Herstellung, den Erwerb, die Lagerung, den Transport, die Zurückbehaltung und die Weitergabe von Streumunition. Die USA, Russland und die Ukraine haben das Abkommen nicht unterzeichnet.

Offenbar ist Völkerrecht dehnbar, wenn es der große Partner wünscht. Da fallen mir gleich noch ein weitere Dehnbarkeiten ein. So ist Deutschland seit 1987 Vertragsstaat der Anti-Folterkonvention. Wenn es von den USA gewünscht wird, kann man das vielleicht ein bisschen locker handhaben. Bekanntlich sind die USA zwar Mitglied der Antifolter-Konvention, entwickeln jedoch manchmal ganz eigenwillige Interpretationen.

Wenn es dem angestrebten Sieg der Ukraine dient, dürften auch Ausnahmen vom Verbot biologischer Waffen von 1975 und vom Chemiewaffenverbot von 1997 zu rechtfertigen sein. Russland macht es ja genau so. Das Verbot von Personenminen wird ohnehin aufgeweicht, wenn Streumunition zur Verwendung kommt.

Die Konvention gegen Völkermord von 1951 ist allein deswegen wenig hilfreich, weil die Völkerrechtler darüber uneinig sind, was ein Völkermord ist. Und die Genfer Konvention, die im Kriegsfall den Schutz von Zivilisten vorschreibt, steht seit Jahrzehnten nur auf dem Papier.

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.