In diesem Jahr werden bundesweit rund 60.000 Schöffinnen und Schöffen für die Amtszeit von 2024 bis 2028 gewählt. Im Normalfall ist dies kein besonders beachtetes Ereignis. Zumeist wird es nur in den Lokalzeitungen erwähnt, in denen zur Bewerbung aufgerufen wird. Diesmal ist es anders: Mitglieder rechtsextremer Parteien und Institutionen wie der AfD und der Freien Sachsen rufen dazu, sich als Schöffe zu bewerben. Da taucht die Frage auf, haben sie damit Erfolg, was bezwecken sie und wie reagiert der Staat auf rechtsextreme Bewerber/innen.

Deren Absichten sind eindeutig. Sie wollen zum Beispiel.„die Justiz korrigieren“ und verhindern, dass „grüne Richter“ Geflüchteten „wieder einmal einen kulturellen Strafrabatt geben“. Ohne politische Mehrheit wollen sie gesellschaftlichen Einfluss ausüben. Offenbar sehen die Rechten gute Chancen, ins Amt zu gelangen, weil es zu wenig Bewerber/innen gibt.

Im Verfahren zählt das Votum einer Schöffin oder eines Schöffen genau so viel wie das einer/ Berufsrichter/in. Entscheiden die Schöffen gemeinsam, so sind sie sogar in der Überzahl. Am Amtsgericht amtiert ein Hauptberuflicher zusammen mit zwei Ehrenamtlichen. Am Landgericht wird die Kammer aus drei hauptberuflichen Richter/innen und zwei Schöffinnen bzw. Schöffen gebildet, zur Festsetzung des Urteils ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich. Diese ist gegen die Schöffen nicht erreichbar.

Der Staat wirbt fleißig um neue Schöffinnen und Schöffen und macht sogar von der Möglichkeit Gebrauch, Bürger/innen aus dem Melderegister auszuwählen und aufzufordern. Als Schöffin oder Schöffe können sich alle deutschen Staatsbürger/innen bewerben, die zwischen 25 und 70 Jahre alt, nicht mit mehr als sechs Monaten Haft vorbestraft sind, nicht von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen sind und die deutsche Sprache gut sprechen und verstehen können. Sie sind zur Unparteilichkeit verpflichtet, dürfen nicht befangen sein und sich nicht beeinflussen lassen.

Und sie unterliegen einer besonderen Pflicht zur Verfassungstreue. Das Bundesverfassungsgericht hatte dies 2008 klar formuliert. Es ist streng darauf zu achten, „dass zum ehrenamtlichen Richter nur Personen ernannt werden dürfen, die nach ihrem Persönlichkeitsbild und ihrer fachlichen Befähigung – einschließlich ihrer Einstellung zu den Grundentscheidungen unserer Verfassung – die Gewähr dafür bieten, dass sie die ihnen von Verfassung und Gesetzes wegen obliegenden, durch Eid bekräftigten richterlichen Pflichten jederzeit uneingeschränkt erfüllen werden.“

Für eine Bewerbung als Schöffin oder Schöffe reicht die Vorlage eines ein- bis zweiseitigen Formulars, auf dem nur die Rubriken Vorstrafen, Insolvenzen und Deutschkenntnisse auszufüllen sind. Die Angabe einer Begründung für die Bewerbung ist freiwillig. Nach politischen Einstellungen wird nicht gefragt. Die Kommunalvertretung sichtet die Unterlagen, oftmals ohne großen Prüfungsaufwand, und erstellt daraus eine Vorschlagsliste, die doppelt so viele Personen enthalten muss wie benötigt werden. Die Liste soll eine ausgewogene Verteilung nach Geschlecht, Alter, Beruf, und sozialer Stellung bieten. Juristen und Geistliche können nicht Schöffe werden.

Diese Listen werden öffentlich ausgelegt, um den Bürger/innen Einsprüche zu ermöglichen. Gewählt wird dann vom Schöffenwahlausschuss, der sich aus einem Richter, einem Verwaltungsbeamten und sieben Delegierten der zuständigen kommunalen Vertretung zusammensetzt. Nach Ansicht von Fachleuten ist dieser Ausschuss zumeist nicht in der Lage, sich ein Bild über die Verfassungstreuer der Bewerber/innen zu machen. Manchmal entstehe der Eindruck, der Staat habe jeden genommen.

Schöffen sind Laien, haben aber das gleiche Stimmrecht wie Berufsrichter. Auch sie haben in den Gerichtsverhandlungen das Recht, Fragen zu stellen und nachzuhaken. Für ihre ehrenamtliche Tätigkeit erhalten sie eine Vergütung von 7 Euro je Stunde, dazu einen eventuellen Einkommensausfall. Ihr Arbeitgeber muss sie freistellen. Mehr als zwölf mal jährlich sollen sie nicht berufen werden. Unentschuldigtes Fehlen wird mit einem Ordnungsgeld geahndet.

Schöffen sind ein wichtiger Bestandteil der Demokratie. Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes besagt: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe …. der Rechtsprechung ausgeübt.“ Schöffinnen und Schöffen wirken also stellvertretend für das Volk. Sie sollen dafür sorgen, dass die Justiz lebensnah handelt. Die Annahme der Wahl zum Schöffen gilt also als Staatsbürgerpflicht.

Eine echte Gefahr für die Demokratie durch rechtsextreme Unterwanderung sehen die zuständigen Stellen indes (noch) nicht. Zudem können Schöffinnen und Schöffen, bei denen Zweifel an der Verfassungstreue aufkommen, auch wieder aus dem Amt entfernt werden. Dies reicht jedoch gewiss nicht, um Personen mit extremistischen Ansichten fern zu halten. Daher sind zunächst die Kommunalparlamente gefordert, strengere Maßstäbe anzulegen – ein bundesweiter Standard wäre hilfreich.

Bremen will die Bewerbungen vorab mithilfe ihrer öffentlichen Social-Media-Profile auf Auffälligkeiten überprüfen und im Zweifel den Verfassungsschutz befragen. Niedersachsen will künftig vorab von den Bewerber/innen das Einverständnis einholen, sich vom Verfassungsschutz überprüfen zu lassen. Diese Verfahren liegen in der Zuständigkeit der Länder, eine bundesweite Regelanfrage ist wohl nicht geplant.

Überlegungen, wegen der Gefahr einer extremistischen Unterwanderung die Zahl oder die Rechte von Schöff/innen einzuschränken, gibt es nicht. Das wäre auch nicht vertretbar. Immerhin ergehen Urteile im Namen des Volkes, und die Beteiligung von Schöffen an der Urteilsfindung ist gewollt. Erhebungen haben übrigens ergeben, dass Schöffinnen und Schöffen keineswegs zu Freisprüchen oder niedrigen Strafen tendieren als Berufsrichter/innen, sondern eher zu härteren Entscheidungen.

Die Bundesregierung plant eine gesetzliche Verschärfung der Zulassungsbedingungen, um Verfassungsfeinde abschrecken oder später wieder absetzen zu können. Wie vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben, soll künftig die Gewähr für den jederzeitigen Einsatz für die freiheitlich-demokratische Grundordnung gesetzlich gefordert werden, Beabsichtigt ist, die Gesetzesänderung noch vor Beginn der neuen Schöffen-Amtszeit in Kraft zu setzen. 3)

Wenn die rechtsextreme Einstellung einer Schöffin oder eines Schöffen erst nachträglich auffällt, kann ein/e Betroffene/r in klaren Fällen mittels Amtsenthebungsverfahren abgesetzt werden. Entscheidungen, an denen diese Person bis zu ihrer Enthebung beteiligt war, bleiben rechtskräftig. Bei einem solchen Verfahren muss allerdings die Meinungsfreiheit der Schöffen gewahrt bleiben. Dies kann eine Gratwanderung sein und zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führen. Nicht jede extreme Äußerung ist verfassungsfeindlich und kann eine Amtsenthebung rechtfertigen. Die Mitgliedschaft in einer zugelassenen Partei reicht nicht.

Keinesfalls darf der Eindruck entstehen, die unselige Praxis der Berufsverbote solle reaktiviert werden. Immerhin steht im Koalitionsvertrag: „Um die Integrität des Öffentlichen Dienstes sicherzustellen, werden wir dafür sorgen, dass Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem Dienst entfernt werden können.“ Allerdings ist es gerechtfertigt, an Schöffinnen und Schöffen besonders strenge Maßstäbe anzulegen. Immerhin nehmen sie eine besonders sensible und verantwortungsvolle Aufgabe wahr und werden auf ihr Amt vereidigt.

In einigen Bundesländern ist die Schöffenwahl bereits abgeschlossen. Rechtsextreme Erfolge hat es offenkundig kaum gegeben. Wahrscheinlich waren die Aufforderungen der Rechtsparteien erfolglos. Oder die Gemeinderäte und Schöffenwahlgremien haben genügend Durchblick und Fachkenntnis bewiesen, rechtsextreme Bewerbungen zu erkennen und auszusondern. Allerdings fordert der Bundesverband der ehrenamtlichen Richter von den Kommunen unverändert eine intensivere Prüfung der Bewerbungen und eine fachliche Schulung der damit befassten Personen.

Auch bei der Schöffenwahlrunde 2018 hatten u.a. NPD, Pegida und AfD ihre Anhänger/innen aufgefordert, sich zu bewerben. Eine Anfrage bei den Justizministerien der Länder ergab, dass es keine Belege dafür gäbe, dass dieser Aufruf erfolgreich gewesen sei. 2016 und 2017 hatte es jedoch Gerichtsverfahren gegen Schöffen unter Reichbürgerverdacht gegeben. Rechtsextreme Schöffinnen und Schöffen, aber auch Richter/innen und Staatsanwält/innen sind bislang offenbar ein Randphänomen, auch wenn Einzelfälle große Aufmerksamkeit erzielen.

Details zur geplanten Gesetzesänderung liegen noch nicht vor. So bleibt zu klären, wer die Einstellung der Schöffinnen und Schöffen vorab prüfen soll, und wann der Verfassungsschutz beteiligt werden kann. Auch andere Fragen müssen gestellt werden: Reichen während der Amtsführung einer Schöffin bzw. eines Schöffen die Wachsamkeit und das Urteilsvermögen der Richterschaft aus, Verfassungsfeinde zu erkennen und zu entfernen? Ist die Justiz auf dieses Problem hinreichend vorbereitet oder bedarf es dazu besonderer Fortbildungen?

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.