Viel Wind um Nichts – und Windstille, wo es ernst wird

mit Update 1.9.

Es gab mal einen Bundeskanzler (Kohl), der hat liberale Medien in Deutschland gefürchtet. Irgendwann hatte er begriffen, dass es besser für ihn ist, nicht mit ihnen zu sprechen. Aus den Talkshows, die damals noch anders hiessen, hielten ihn seine klugen Berater*innen fern. Seine Nachfolgerin wechselte die Strategie. Sie wickelte diese Medien um den Finger, und die merkten nichts. Sie machte es nämlich nicht mit “weiblichem Charme”, der ihr kampagnenartig abgesprochen wurde, sondern mit Intelligenz. Damit war für die Alphamännerjournalisten natürlich nicht zu rechnen. Die Bildsprache der heutigen Bundesregierung, z.B. hier und hier, lässt befürchten, dass dieses Land und seine Medien schon einmal weiter waren.

Nun kräuseln sich diese einstmals führenden Medien Schleifchen auf ihrem Bauchnabel über ein Foto des Interviewdarstellers (Eigenbeschreibung) Harald Schmidt. Den haben sie Zeit – inkl. das Medium dieses Namens –  meines Lebens immer überschätzt. Wochenlang regen sie sich über ein sekundenlanges Insert der WDR vor den nächtlichen Wiederholungen seiner 80er-Jahre-Show “Schmidteinander” auf. Hätten sie nur einmal ein paar Minuten nach dem Insert weitergeschaut, hätten sie bemerkt, dass der Kerl schon als Jungstar absolut substanzfrei war. Im WDR war flurbekannt, dass er nur von seinem Alter Ego Herbert Feuerstein vor vollständiger Leere gerettet wurde. Folgerichtig hat er als selbstständiger Unternehmer seiner Late-Night-Shows (Sat1/ARD) eine Gagfabrik betrieben und beschäftigt. Aus ihr sind einige heute bekannte Nasen hervorgegangen, die sich nun auf ähnliche Art und Weise zu bereichern versuchen – und weil sie noch im Geschäft sind – sich nun eilig von diesem Rubiales der Interviewdarsteller distanzieren. Und andere, die früher mal links waren, meinen ihn nun gegen diesen Strom verteidigen zu müssen. Arm.

What is the news? Nichts. Da ist nichts. Es ist so billig, dass es wehtut. Jedenfalls Menschen meines Alters (66), die schon andere Zeiten erlebt haben.

Es gibt eine Alternative

Silke Hellwig/Weserkurier (verkaufte Auflage 107.000) sprach mit Günter Verheugen: ‘Das Gemetzel muss beendet werden’ – Krieg in der Ukraine: Günter Verheugen über Friedensverhandlungen und die Debatte in Deutschland”.

Ob die Aussenministerin das liest? Entscheiden Sie selbst, was Sie interessiert. Update: immerhin, der Kollege Neuber/telepolis hat es auch gelesen. Dass dieses Thema mit diesem Inhalt in einem bundesweit wenig beachteten Lokalblatt läuft, sagt viel über die Lage der demokratischen Öffentlichkeit. In der diskutiert der vielgefragte Albrecht von Lucke/Blätter nun voller Verzweiflung: “Wagenknecht oder AfD-Verbot: Die letzte Chance?”

Ich kann sie ihm noch vergrössern. Er geht von einer falschen Voraussetzung aus: “Noch sind die Parteien unbedingt in der Lage, die AfD durch bessere Arbeit zu verkleinern.” Sind sie nicht. Darum ist die Lage ja so, wie sie ist. Und darum wird so abstrus diskutiert, wie Lucke ja immerhin in wesentlichen Teilen (noch) begreift.

Es greift im demokratischen Spektrum eine immer grössere Bereitschaft um sich, die Mehrheit der politischen Absentismus pflegenden Bevölkerung komplett zu ignorieren. Die Höhe der Wahlbeteiligung spielt formal und politisch keine Rolle, für nichts. Es gibt keinen Anreiz für die politische Klasse und die selbstreferentiellen Leitmedien, sich um sie zu kümmern. Sie wählen nichts, sie kaufen nichts. Ihnen AfD-Wähler*innen zuzuschlagen, ist absolut schmerzfrei. Es geht nicht um Gemeinwohl und Gemeinwesen – sondern ganz neoliberal ums “ISCH”. Meine Rolle im System muss ich spielen so gut es geht, sonst falle ich vom Karussell, ich wäre unbeachtet und wertlos, das Leben im real existierenden Kapitalismus käme für mich zum Stillstand.

Was, wenn sie rausfinden, wie gesund das ist?

Update 1.9.

Beachten Sie zur aussenpolitischen Sackgasse Berlins auch den aktuellen Text von Petra Erler: Rückblick März 2022: Wer kein schnelles Kriegsende in der Ukraine wollte – Der Ukraine-Krieg, Telefondiplomatie und Wirtschaftskrieg, Männergespräche zwischen Scholz und Macron über Putin und die Warschaurede von Biden “

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net