Wer ernsthaft meint, in der Ukraine werde derzeit für “unsere Freiheit” gekämpft und massenhaft gestorben, der*dem empfehle ich einen Blick nach Afrika. 2011 war es, als den deutschen Aussenminister Westerwelle ein Intelligenzblitz durchzuckte. Branko Marcetic/Responsible Statecraft/telepolis erinnert an diese tiefe Furchen durch den Kontinent ziehende Episode, ohne unseren Zwergstaat und seinen damaligen Aussenminister, der eine militärische Teilnahme ablehnte, überhaupt zu erwähnen: “Die Krise in Niger begann in Libyen – nach der Nato-Intervention – 2011 wurde Gaddafi in Libyen mit Nato-Hilfe gestürzt. Obama und Clinton wurden dafür gefeiert. Die Menschen der Sahelzone bezahlen seither die Rechnung – und beginnen zu rebellieren.”
Die seinerzeitigen Interventionsmächte verstanden mit Gaddafi keinen Spass, weil er ökonomisch potent genug war, ihre neokolonialistischen Strategien zu behindern, ihre Kosten also signifikant zu erhöhen. Dass Gaddafi über keine materialistische Analyse verfügte, sondern ein intellektuell rettungslos verirrter Idealist war – ich habe sein “Grünes Buch” seinerzeit mit Interesse gelesen – begünstigte ihre Pläne ihn plattzumachen.
Heute muss frau*mann ohne Übertreibung feststellen, dass diese Intervention den kompletten Kontinent nördlich der Regenwälder in eine einzige Hölle für Bewohner*innen und Migrant*inn*en verwandelt hat. Geostrateg*inn*en in Grossmachtkapitalen ist das selbstverständlich wurst. Sind ja nur Schwarze.
Merkwürdig nur, dass nach diesem statuierten Exempel keine Ruhe gegeben wird. Eher im Gegenteil. Am mildesten ist der Verlauf noch innerhalb des steinreichen Bongo-Clans von Gabun. Bernhard Schmid/Jungle World: “Hintergründe des Militärputsches gegen den Staatspräsidenten Ali Bongo in Gabun: Putsch gegen Ali Bongo – In Gabun hat das Militär den langjährigen autoritär regierenden Staatspräsidenten Ali Bongo gestürzt. Als Übergangspräsident fungiert der General Brice Clotaire Oligui Nguema.”
Jaynisha Patel vom Tony Blair Institute for Global Change analysiert im ipg-journal: “Nirgendwo in Afrika – Ohne Prigoschin hat Wagner seine Schlagkraft verloren. Eine große Chance für Afrika und den Westen, Sicherheit ohne die Söldner zu gewährleisten.” Die gut informierte Autorin schreibt selbst: “Afrikanische Führer, die sich auf die Wagner- und ähnliche Söldnergruppen verlassen haben (und solche, die eine solche Partnerschaft erwägen), müssen diesen Moment nutzen, um ihre Strategie neu zu überdenken.” Mein Tipp: auf diese Idee sind die schon selbst gekommen. Und auf dem outgesourcten Weltmarkt für Massenmord und -totschlag werden sich jede Menge alternativer Anbieter finden.
Ein Geheimnis bleibt – jedenfalls für mich – welche Lehren die Bundesregierung aus diesen Prozessen zieht. Denn – ich gehe ja davon aus, dass der Bundeskanzler das ipg-journal auch lesen lässt: Phillips Payson O’Brien: “Zerbricht die NATO? – Die US-Republikaner blicken zunehmend skeptisch auf die Unterstützung der Ukraine. Nach der Präsidentschaftswahl könnte Europa alleine dastehen.” Wohin wollen sich deutsche Atlantiker*innen dann schlagen?
Denn die “deutsch-französische Achse” ist längst zerbrochen, die Abbrucharbeten werden offensichtlich zielgerichtet und aggressiv fortgesetzt: siehe hier und hier (letzterer Link verschwindet in einigen Tagen in einem Paywall-Archiv). Bei den im militärisch-industriellen Komplex üblichen Extraprofiten wird noch jeder CEO humorlos. Freunde gibt es in dieser Branche nicht, aber jede Menge organisierte Kriminalität.
Geht die Führung (? wer mag das sein?) der Ampel-Regierung also davon aus, dass sie, wenn “es” so weit ist, sowieso nicht mehr im Amt ist? Das zumindest könnte ein realistisches Kalkül sein.
Es gibt sogar in der CDU noch Politiker (allerdings ohne Einfluss) die die Zusammenhänge zwischen Krisen in Europa und Afrika klar benennen.
Gestern, also Samstag den 9.9., hatte ich meine WDR-Allergie soweit überwunden, dass ich beim Europamagazin in WDR5 gelandet war.
Dort wurde der ehemalige Schauspieler und CDU-MdB Charles Huber interviewt. Der Mann hat einen sehr klaren Blick auf die Ursachen (und Verursacher) der Krisen in Afrika und scheut sich nicht die Mitverantwortung Europas klar zu benennen, er erklärt auch welche destruktiven Folgen eine Fortsetzung der bisherigen Politik auch für Europa haben werde. Ich frage mich nur, was macht man mit dieser Haltung in der CDU?
17 Minuten zu hören:
https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-denk-ich-an-europa/audio-charles-m-huber-europa-muss-beziehung-zu-afrika-verbessern-100.html
@extradienst wurde die Freiheit nicht am #Hindukusch verteidigt?