Der Rechtsextremismus der Mitte (7.) – Die Landtagswahlen als Richtungswahl
Wenn Politiker betrunken sind, so lautet die menschliche Erfahrung, reden sie Unsinn. Gerhard Schröder zum Beispiel in der Wahlnachlese 2005 zu Angela Merkel, als er ihr vor laufenden Kameras voraussagte, sie werde nie Bundeskanzlerin – 16 Jahre später wissen wir alle mehr. Friedrich Merz war vermutlich nicht betrunken, als er behauptete, Flüchtlinge würden sich auf Kosten des deutschen Staates bzw. der Sozialkassen “die Zähne richten lassen”. Die wahre Frechheit dieser Behauptung erschließt sich nur, wenn man die katastrophale medizinische Versorgung von Rentner*innen und Sozialhilfeempfänger*innen kennt. Während etwa Beamte als Beihilfeberechtigte ein Anrecht auf mindstens zehn Zahnimplantate haben, medizinisch begründet mehr, und privat Versicherte sowieso – auch Bleaching, Prothesen und helle Zähne – man beachte das Gebiss von Friedrich Merz – zeigt, dass Mundhygiene, Zahnersatz und gutes Aussehen (und Funktion) schichtengebunden sind. Wer AOK-Mitglied ist und keine Privatkohle mobilisieren kann, steht unten auf der der sozialen Zahnhierarchie. Das weiss auch Friedrich Merz und moblisiert Sozialneid und Vorurteile jenseits jeglicher Fakten. Denn weder können Asylbewerber – mit Ausnahme akuter medizinischer Notfälle – schnelle Termine zur Behandlung erlangen, noch erfahren sie Behandlungen, die die einfachen Stufen der Kassenleistungen übersteigt.
Der demokratischen CDU peinlich
Inwischen haben sich Daniel Günther (S-H), Hendrik Wüst (NRW) und Boris Rhein (Hessen) von Merz deutlich distanziert. Herbert Reul, Innenminister in NRW, hat sich im Interview mit dem “Kölner Stadtanzeiger” bemüht, jede persönliche Verbindung zu Merz und seiner Politik zu vermeiden. Die Sozialausschüsse der CDU beginnen sich zu regen und mahnen, soziale Gruppen nicht gegeneinander auszuspielen. Was Armin Laschet meint, vor seiner Zeit als Ministerpräsident in NRW dort Integrationsminister im Kabinett Rüttgers, kann man nur ahnen. Klar jedoch ist, dass selbst dem sozialen Flügel der CDU langsam klar zu werden scheint, dass Merz und sein Stellvertreter Frei mit ihren rassistischen Äußerungen und Forderungen das Geschäft der AfD und der Rechtsextremisten im Land betreiben. Denn Laschet, Günther und Wüst eint, dass sie die primitiven und spalterischen Vergleiche von Merz nicht teilen.
Die Wahlergebnisse werden Merz’ Ambitionen beenden, die Söders nicht
Die Landtagswahlergebnisse des kommenden Wochenendes werden deshalb über die Kanzlerkandidaturen von letztlich zwei Aspiranten auf die Kanzlerkandidatur eine Vorentscheidung bringen: Die von Merz und auch ein bisschen die Söders. Es ist kein Zufall, dass sich Angela Merkel am vergangenen Wochenende nach langer Zeit des Schweigens zur Frage der Rhetorik in Flüchtlingsfragen geäußert hat. Für Söder wird die Bayernwahl nach aller Voraussicht glimpflich verlaufen. Zwar kann Aiwanger möglicherweise stimmenmäßig auf 15% zulegen, was die CSU auf ein historischen Tief von 36% schwächen wird, aber es wird reichen. Nicht zuletzt weil die SPD bei lausigen 9% liegt, und die Grünen mit ebenfalls stabilen 15% keine Alternative sind. Ist Söder Ministerpräsident, wird er auch im Rennen um die nächste Kanzlerkandidatur der CDU bleiben.
Für Merz wird die Luft dünn
AfD nicht halbiert, sondern verdoppelt, nicht wirklich sprechfähig mit der Ampel und offensichtlich ein Mann von vorgestern: Merz ist in den 90er Jahren stehen geblieben und handelt politisch inadäquat. Sein eingeschlagener Kurs, die Grünen zum Feindbild zu erklären, treibt die CDU unrettbar in die Richtung von Klimaleugnern und Populisten. Nicht nur die Sozialausschüsse der CDU, sondern auch Mitte-Leute wie Herbert Reul, die sich derzeit lieber die Zunge abbeissen, als offen Spaltung in die Partei zu tragen, halten seinen Kurs für grundfalsch.
Sozialdemokraten als DER Unsicherheitsfaktor
Seit der Wahl in Berlin, wo eine SPD trotz Regierungsmehrheit die Koalition mit Grünen und Linken aufgekündigt und mit der CDU ins Bett gesprungen ist, muss die Wählerin bei knappen Ergebnissen mit allem rechnen. In Hessen entscheidet sich mehr, als die Landesregierung. Eine SPD bei 17% im ehemals sozialdemokratischen Stammland neben NRW ist für Nancy Faeser eigentlich ein Desaster. Ebenso starke Grüne mit 17% nach Umfragen könnten auch weiter mit der CDU koalieren. Aber aus diesen knappen Zahlen – jeweils geht es um 49%, nach Landtagsssitzen vermutlich eine denkbar knappe Regierungsmehrheit – könnte sich auch ergeben, dass die SPD es vorzieht, lieber kleiner Partner in einer Regierung mit der CDU zu sein, als dieses Feld den Grünen zu überlassen. Umweltpolitisch wie in Berlin ein Desaster, aber niemand kann wissen, ob Faeser nicht eine fünfjährige Vize-Ministerpräsidentschaft einem knapp 2-jährigen Job als Bundesinnenministerin vorzieht. Jede Stimme für die Grünen in Hessen ist deshalb eine Stimme gegen die GroKo und gegen den Klimawandel. Das ist sorgfältig zu bedenken.
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