Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock schreibt zum Tode von Henry Kissinger: “In Deutschland geboren, von den Nazis vertrieben, zum US-Außenminister ernannt und mit dem Friedensnobelpreis geehrt: Mit Henry Kissinger ist eine Jahrhundertgestalt der internationalen Politik von uns gegangen.” Schon peinlich, dass gerade Baerbock, die sich für menschenrechtliche, gar feministische Außenpolitik aufplustert, einem realpolitischen Macchiavellisten derartig verklärt.
Henry Kissingers Wirken ist ruhmreich, soweit er seinen Präsidenten Nixon – der keine Skrupel hatte, das Hauptquartier der Demokraten im Wahlkampf 1972 überfallen zu lassen, was in der “Watergate-Affäre” zu seinem Sturz führte – mit legalen und auch illegalen Mitteln unterstützte, und untrennbar verbunden mit der Inthronisierung von Diktatoren und Gewaltherrschern wie Pinochet in Chile und Suharto in Indonesien. In seiner Regierungszeit unterstützten die USA den vietnamesischen Ex-Ministerpräsidenten und Hitler-Fan Ngujen Cao Ky und halfen ihm zur Emigration in die USA.
Ganz Chile wurde zur Todeszone
Kissinger gab die Befehle zur Unterstützung des Putsches gegen den demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten von Chile, Salvador Allende. Ohne die USA und die Unterstützung Kissingers hätte Augusto Pinochet, Chef des Generalstabs der chilenischen Armee, es wahrscheinlich niemals gewagt, gegen den Politiker Allende zu putschen. Aber mit der Rückendeckung der USA wurde es für Pinochet zum Spaziergang. Hunderttausende politisch verfolgte, gefolterte und ungezählte ermordete Gegner der rechtsextremen Junta waren die Folge. Nicht zu vergessen die erwachsenen und vor allem jugendlichen Folter- und Mißbrauchsopfer der “Colonia Dignidad” des aus Troisdorf bei Bonn stammenden Faschisten und Pädokriminellen Paul Schäfer.
Meine persönliche Betroffenheit
Ich habe einen sehr persönlichen Zugang zu den Auswirkungen dieses Putsches und lege ihn deshalb offen, denn ich kann nicht unbeteiligt über dieses Kapitel der Geschichte schreiben. 1972/73, als Allende ermordet wurde, war eine Klassenkameradin meines Gynasiums in Esslingen für ein Jahr als Austauschschülerin in Chile. Sie erlebte den damaligen frenetischen Hass auf Allende unter den wohlhabenden “Bürgern” mit rechtem, sehr oft deutschem familiären Hintergund, der bis in die Nazizeit zurückreichte, in ihrer Gastfamilie. Viele ehemalige Nazis waren nach 1945 nach Chile geflüchtet und hatten dort, nicht zuletzt weil zahlreiche ausgewanderte Deutsche seit Anfang des Jahrhunderts dort lebten, humanitäre Aufnahme gefunden.
Die Unidad Popular im Widerstand gegen Pinochet
1979 wurde ich Bundesvorstandsmitglied der Deutschen Jungdemokraten, der damaligen der FDP nahestehenden Jugendorganisation. Wir unterstützten den Widerstand der demokratischen Jugend gegen Piniochet. Die wichtigste Widerstandsorganisation in Chile war die “Unidad Popular”(UP), ein Bündnis aller demokratischer Organisationen, deren Kern die Christdemokraten Chiles waren – die linken und sozialistischen Kräfte wirkten mit, waren aber weitgehend marginalisiert und durch Verhaftungen und Folterungen ihrer Mitglieder geschwächt. Im gleichen Jahr lud die UP uns ein, eine heikle Reise ins unterdrückte Land zu unternehmen. Die Reise unternahm unser damaliger Bundesvorsitzender Christoph Strässer, der später Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung wurde. Die Reise war gefährlich und abenteuerlich, trotz Absprachen mit dem Auswärtigen Amt und “Schutz” der deutschen Botschaft entging Strässer nur knapp der illegalen Festnahme und schlimmerem durch Terrortrupps des Pinochet-Regimes.
Kissingers Ruf als Vermittler ist janusköpfig
Zweifellos hat sich Henry Kissinger einen legandären Ruf als Vermittler und Brückenbauer erworben. Er bereitete die überraschende Reise Richard Nixons nach China vor, der in damals bahnbrechender Weise mit dem Vorsitzenden der KP, Mao Tse Dong zusammentraf. Die Geheimverhandlungen Kissingers mit Le Duc Tho, dem vietnamesischen Unterhändler, führten zu einem Friedensvertrag, allerdings nicht zu einem dauerhaften Waffenstillstand. Denn noch während der Verhandlungen ließ der US-Präsident auf Rat Kissingers in einer Geheimaktion völkerrechtswidrig Kambodscha bombardieren, das nicht offiziell in den Vietnamkrieg involviert war. Den an beide Unterhändler verliehenen Friedensnobelpreis lehnte Le Duc Tho ab. Bei der Beendigung des Jom-Kippur-Krieges 1973, der Vorbereitung des ABM-Vertrages zur Begrenzung von strategischen Nuklearwaffen zwischen den USA und der UdSSR und in vielen anderen Fragen hat sich Kissinger zweifellos als Realpolitiker Verdienste erworben. Seine allgegenwärtige “Pendeldiplomatie” war später Vorbild für die Außenpolitik Hans-.Dietrich Genschers. Aber trotz seiner Erfolge bleiben auch Skrupellosigkeit bei der Unterstützung von Diktatoren und Folterern – wenn es den Interessen der USA diente, unvergessen, und dürfen nicht unter den Teppich der Geschichte gekehrt werden.
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