Die Europäische Union macht allen Populisten und Rechtsextremen zu diesem Weihnachtsfest ein besonderes Geschenk: Nun werden die Prinzipien der Mitmenschlichkeit, der Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen an den Grenzen des zweitreichsten Wirtschaftsraums des Planeten Erde beendet. Damit haben sich Orbans, Melonis und PiS-Politiker, aber auch andere Rechtspopulisten und Konservative in der EU ein zweifelhaftes Denkmal gesetzt. Das “christliche Abendland” hat seine ganz besondere Güte gegenüber Armut, Not und Verfolgung in Paragraphen gegossen und feiert sich nun als Regler der “irregulären Migration.”
Ursachen bleiben, ändern wird sich nichts
An den Fluchtursachen, der Religions- und Gewaltherrscherkriege in Mali, Niger und im gesamten Sahel, in dem die Erderwärmung die Wüsten ausbreitet, dem Konflikt im “failed State” Libyen, der eine direkte Folge des Krieges der NATO-Staaten gegen Ghaddafi ist, dessen Sklaven haltende und vergewaltigende Verbrecherbanden sich “Küstenwache” nennen dürfen und von der EU noch alimentiert werden – an alldem hat sich nichts und wird sich nichts ändern. Die EU hat stattdessen nicht nur zugesehen, wie die Errungenschaften des “arabischen Frühlings” durch das Erstarken eines autoritären, rassistischen Regimes seines Präsidenten hinweggefegt wurden. Sie hat auch noch versucht, ihn mit hunderten Millionen dazu zu “überreden” tausende von Flüchtlingen, die über seine Küste versuchen, das Mittelmeer zu überqueren, “zurückzunehmen”. Man stelle sich vor, Großbritannien würde Deutschland, Dänemark und den Niederlanden andienen, hunderttausende Flüchtlinge aus der Ukraine “zurückzunehmen”. Der Abschiebemechanismus, von dem die EU-Politiker*innen und auch der Bundeskanzler träumen, ist leider etwas komplizierter. Und wesentlich vielschichtiger, als Populisten und Rechte denken können.
Asylhaft an den EU-Grenzen
Die Unterhändler der deutschen Delegation konnten oder wollten sich nicht gegen das Ansinnen der anderen EU-Staaten durchsetzen, auch Frauen und Kinder und unbegleitete jugendliche Flüchtlinge in den Grenzgefängnissen zu inhaftieren. Dies ist ein weiterer Schritt, mit dem das “zivilisierte Europa” sein wahres Gesicht zeigt, das sich prinzipiell nicht von den Grenzlagern an der texanischen und neu-mexikanischen Mauer der USA nach Süden unterscheidet. Überhaupt ist eine Angleichung der BVerhältnisse zwischen der EU und den USA in dieser essentiellen Menschenrechtsfrage seit zwanzig Jahren festzustellen. Der reiche, zumeist weiß dominierte Kapitalismus duldet an seinen Südgrenzen korrupte Regime, die Armut erzeugen. Er züchtet mit einer prohibitiven Migrations- und Drogenpolitik hier und dort erst die Schlepper- und Schmuggelkriminalität, die seine Bürgerrechte und Freiheiten dann von innen aushöhlen. Diese Form der Unmenschlichkeit unterscheidet sich von Russland, China, den autokratischen Golfstaaten vor allem dadurch, dass sie wenigstens den Anschein der Rechtstaatlichkeit zu wahren versuchen.
Die Ursachen ausgeblendet und schöngeredet
Es sind die Macht- und Besitzverhältnisse zwischen den in der politischen und ökonomischen Krise befindlichen EU-Staaten einerseits, und den aufstrebenden BRICS-Staaten und ihren Beitrittskandidaten andererseits, sowie dem übrig bleibenden Lumpenproletariat von verlorenen Gesellschaften, die sich südlich der EU in teils fanatisierten Religionskriegen selbst zerstören oder von Mittelmächten und Terrorregimen wie dem Iran, Saudi-Arabiens, Katars instrumentalisieren lassen – etwa im Jemen, Libanon, Gaza, Kongo, Sudan und in vielen anderen Ländern des globalen Südens. Ganz ähnlich, aber mit anderen Erscheinungsformen die Situation südlich der USA. Dort geraten neben Mexico, Venezuela und Haiti, inzwischen selbst einst demokratisch gewandelte Staaten wie Brasilien und zuletzt Argentinien – unter die Räder zerstörerischer Populisten und gleiten in soziale Abgründe, in denen von einer Gewährleistung von Menschenrechten, sozialer Teilhabe oder Demokratie schon lange keine Rede mehr sein kann.
Delegitimation von Freiheit und Bürgerrechten
Die seit der Phase des Neoliberalismus im westlichen Kapitalismus gewachsene Zerrüttung des Zusammenhangs zwischen technischem und wissenschaftlichem Fortschritt, sozialer Gerechtigkeit, einerseits, Rechtstaatlichkeit und Demokratie andererseits, funktioniert auch in Deutschland und der EU nicht mehr, seit Unternehmen Subventionen nur noch kassieren, um erpresserisch zu behaupten, dass es “ohne” nicht gehe und sich anschließend einen Teufel um ihre gesellschaftliche Verantwortung scheren. So haben beispielsweise BMW, Volkswagen, Mercedes-Benz und Porsche im Zusammenhang mit dem Umstieg auf E-Mobilität Milliardensubventionen an Struktur- und Corona-Hilfen kassiert, um anschließend eine asoziale Produktionsstrategie zu entwickeln, indem sie E-Mobilität nur für Wohlhabende anbieten, weil teure Autos mehr Profite bringen. Diesem Vorbild folgen dann Verbraucher*innen, indem sie rücksichtslos die eigenen Interessen verfolgen und politisch, indem sie AfD wählen. Entsolidarisierung pur, die woanders Meloni, Trump, Le Pen und Wilders heisst.
Was hat das alles mit Asylpolitik zu tun?
Die soziale Deklassierung der Mittelschichten, die Zerrüttung der relativen Wohlstandgesellschaft der 70er, 80er und 90er Jahre in Europa ist der Nährboden von Chauvinismus, asozialer Einstellung gegenüber Fremden, Rassismus, Gewaltbereitschaft, und systematischer Hetze gegen Flüchtlinge und Eingewanderte, die von Rechtsextremen ausgeht, aber in den marginalisierten Schichten der Gesellschaft auf rege Zustimmung trifft. Vor allem das sich in seinem Wohlstand bedroht sehende Kleinbürgertum, Gewerbetreibende, Selbständige und auch inzwischen in ihren Arbeitsplätzen bedrohte Industriearbeiter*innen z.B. bei Ford, Opel und in der Chemieindustrie bilden den Nährboden für das Wählerpotenzial der AfD und sind empfindlich für Erklärungsmuster, die Zuwanderung als Bedrohung klassifizieren.
Kurz und klein
Ob die verschärfte EU- Asylpolitik geeignet ist, das Problem der verschärften Armuts- und Klimamigration zu lösen, ist mehr als zweifelhaft. Ob z.B. de facto verfolgte Schwule und Lesben aus dem Mahgreb-Staaten noch eine Chance auf Asyl in den Grenzgefängnissen haben werden, ist mehr als zweifelhaft. Das ist den etablierten Kräften wohl egal. Die EU-Institutionen haben “Handlungsfähigkeit” demonstriert – ob ihnen das bei der bevorstehenden Europawahl gegen die Populisten helfen wird, steht in den Sternen. Zu tief sind rassistische Ressentiments und Verschwörungstheorien im Zuge der “Corona”-Krise durch die asozialen Netzwerke in die Mitte der Gesellschaft eingesickert.
Schreibe einen Kommentar