Durch Zufall geriet ich dieser Tage an mein Schlusswort des Vorjahres. Ich erschrak, weil ich es fast umstandslos wiederholen könnte. In meinem Freund*inn*enkreis hat es sich eingebürgert, sich ein “besseres” neues Jahr zu wünschen. Das ist wohl schon seit dem ersten Coronajahr 2020 so. Dann las ich heute morgen das im Kicker: “Über ihre Gegenwart und Zukunft, die DFB-Elf und das gesellschaftliche Klima – Schmidt und Streich im Interview: ‘Wir müssen den Hetzern rigoros die Stirn bieten’ – Außergewöhnlich sind nicht nur die langen Amtszeiten von Frank Schmidt (49) und Christian Streich (58). Ein Gespräch, weit über das Trainerdasein hinaus.”

Zur Metaebene dieses Interviews ist zu ergänzen, dass das Medium “Kicker”, oftmals brav dem Mainstream des verkommenen Fussballbusiness folgend, hier die richtigen Antennen hatte. Die Herren Schmidt und Streich sind zweifellos die, die unter fachlich gebildeten Fans den höchsten Respekt geniessen, weil bei ihnen Tore weniger durch Geld als durch fachlich qualifizierte Arbeit geschossen werden.

Teambuilding oder Neoliberalismus?

In diesem Interview geben die beiden Nachhilfeunterricht in Sachen Teambuilding. Das ist eine Fähigkeit, die in der neoliberalen Ökonomie noch mehr ausgerottet wird, als Lesen, Schreiben und Rechnen. Schauen Sie sich nur an, was die demokratischen Parteien treiben …

Eine weitere Nachhilfe ist, dass, wer sich im Teamsport von den “Mechanismen des Geschäfts” der Medien- und Aufmerksamkeitsökonomie leiten lässt, schon verloren hat. Und das tun im Fussball die allermeisten. Darum haben die Organisationen und Konzerne des Fussballs so viel Respekt bei den Fans verloren. Und so ist es – kein Zufall – ja längst auch den demokratischen Parteien ergangen. Dass sich der Bundeskanzler ausgerechnet vom Revolver des Springerkonzerns die Gummistiefel anreichen lässt, um die weichen Deiche Niedersachsens persönlich zu inspizieren, lässt darum für die Zukunft dieses Landes und seine politische Führung nichts Gutes ahnen.

Ich will Ihnen zur Illustration noch zwei aktuelle Beispiele zeigen, die die politische Relevanz des Dargelegten belegen. Lesen hilft. Und Interesse für andere Länder bildet.

Das Erdogan-Regime ist emsig um alternative imperiale Achsenbildung bemüht. Die kemalistischen Ultrafans in Istanbul amüsiert das dagegen nicht. Und eh sie sich versehen, agieren sie direkt an der Front gegen den Verkauf des Sports an die feudalen Despoten.

Was auf unser Land zukommt, wenn es so regiert wird, wie es die Mehrheit der Wenigen, die noch planen an Wahlen teilzunehmen, wollen, das können wir bereits in Schweden studieren. Ein Land, von dem, mangels ernsthaftem Interesse, hierzulande immer noch längst veraltete sozialromantische Klischees existieren.

Die Mehrheit derjenigen, die nicht mehr wissen, warum sie überhaupt – und wenn doch, wen? – an Wahlen teilnehmen sollen, interessiert dagegen gemäss den “Mechanismen des Geschäfts” der Aufmerksamkeitsökonomie die Entscheidungsträger*innen in Medien und Politik nicht – ein teuflischer sich selbst verstärkender Zirkel. Haben Sie sich etwa nie über sich selbst erschreckt, wenn Sie mit dem “Wahl-O-Mat” gespielt und die Option “alle Parteien” angeklickt haben?

Tut mir leid, dass dabei keine Freude aufkommt. Geniessen Sie heute die Drogen, die Sie sich beschafft haben – ich hoffe für Sie, dass Sie auf Qualität geachtet haben. Und wenn Ihnen für das heutige Tagesprogramm nichts sinnvolles einfällt – meiden Sie Brücken, Flussufer etc.! – dann bleibt immer noch das 3sat-Programm.

Ein frohes besseres neues Jahr!

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net