Frankreich: Mit Unterstützung der Gewerkschaften haben sich illegal Beschäftigte auf den Olympiabaustellen ein Bleiberecht und Arbeitsverträge erstreikt
Es war ein historischer Sieg. Im letzten Oktober streikten in der Pariser Region rund 800 arbeitende Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung, nach einer Woche wurde ihr Status legalisiert. Ein Jahr lang hatte die Gewerkschaft CGT die Aktion vorbereitet. Viel Überzeugungsarbeit war nötig gewesen, damit Migranten ihre Angst vor einer Abschiebung überwinden und an einen Erfolg glauben konnten. Entscheidend war jedoch ein besonderer Umstand: Im Sommer wird der Pariser Großraum mit den olympischen Spielen zum Schaufenster der Welt. Und zum Prestige-Event gehört der Bau von 70 Objekten mit einem Etat von 4,5 Milliarden Euro.
Jeden Tag stirbt ein Baustellenarbeiter
Eines davon ist die „Adidas Arena“, laut Pariser Senat eine „ökologisch wie sozial musterhafte Baustelle“. Entsprechend groß war die Überraschung, als diese am Morgen des 17. Oktobers von 200 „papierlosen“ Ausländern besetzt wurde, die dort illegal beschäftigt waren. Unterstützung kam von der Gewerkschaft CNT-SO und Solidaritätsgruppen, anwesend waren auch internationale Medienvertreter. Um den Skandal zu entschärfen, konnten der öffentliche Auftraggeber sowie der für Olympiaprojekte zuständige Bauriese Bouygues nicht anders, als den Forderungen der Streikenden prompt nachzugeben.
Diese nutzten ihre Stärke, um Bleiberecht und Arbeitsvertrag auch für diejenigen zugesichert zu bekommen, die gerade vor Zeitarbeitsfirmen an von der CGT unterstützten Streikposten standen.
In Frankreich arbeiten rund 700.000 Ausländer ohne legalen Status. Sie kommen unter anderem aus Mali, Senegal, Algerien. Sie schicken ihre kargen Löhne in die Heimat, arbeiten in der Gastronomie, der Logistik, als Reinigungskräfte und für Lieferdienste. Und auf Baustellen. Ihre grob gefälschten Ausweise schaut kein Bauleiter genau an. Sie sind dazu da, die dreckigsten und gefährlichsten Jobs zu besetzen. Müssen Maschinen bedienen, ohne dafür ausgebildet zu werden. Manche lernen die Bedienung über YouTube-Anleitungen.
Wenn die Zeit drängt, müssen sie 10, 11 Stunden ohne Pause schuften. Kein Wunder also, dass die Zahl der Arbeitsunfälle alarmierend ist: Auf französischen Baustellen stirbt jeden Wochentag ein Arbeiter! Die sehr häufigen Verletzungen und Verstümmelungen werden nur selten gemeldet.
Obwohl sie Abgaben und manchmal gar Steuern zahlen, haben illegal Beschäftigte Angst, ihre Rechte geltend zu machen, Angst, fristlos entlassen und abgeschoben zu werden. Angestellt sind sie oft von einer Vielzahl türkischer Subunternehmen, die sich – sobald ein Problem auftaucht – in Luft auflösen.
Wie ist das möglich? Nach einem kafkaesken Gesetz aus dem Jahr 2012 muss man in Frankreich eine Arbeit haben, um eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, diese jedoch bereits haben, um Arbeiten zu dürfen. Konkret heißt das: Wer nachweisen kann, dass er lange genug illegal beschäftigt war, darf die Legalisierung seines Status beantragen.
Die überausgebeutete Arbeiterschaft
Allerdings stellen sich dann manche Ämter mit bürokratischer Sturheit quer. Vor allem müssen die Arbeitgeber willig sein, das entsprechende Formular zu unterschreiben. Die institutionelle Heuchelei dient dazu, eine durch Willkür und Erpressung überausgebeutete Arbeiterschaft unsichtbar zu machen.
Der Kampf der Beschäftigten auf den Olympiabaustellen hat diese versteckte Normalität öffentlich gemacht. Ein Einlenken der Regierung ist dennoch nicht zu erwarten. Ganz im Gegenteil, im Dezember wurde wieder ein Migrationsgesetz verabschiedet, das die Lage für die Papierlosen noch schlimmer macht. Der illegale Aufenthalt wird zur Straftat, selbst der Zugang zu Notunterkünften wird Illegalen verboten. Für die, die in Berufen mit Personalmangel arbeiten, werden vorübergehend Aufenthaltstitel eingeschränkt vergeben. Und selbst reguläre Migrantinnen und Migranten sollen Sozialleistungen später als bisher erhalten.
Im Fernsehen schimpfen Populistinnen und Populisten gegen die illegalen Ausländer, „die nur deswegen hierherkommen, um von unseren Sozialleistungen zu profitieren.“ Um den Aufstieg der Rechten zu bremsen, setzt der französische Präsident Emmanuel Macron eben deren Forderungen nun durch. Und abends nach einem harten Arbeitstag besuchen die Ungeschützten einen Integrationskurs. Dort wird ihnen gelehrt, was Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit bedeuten.
Inzwischen sind die meisten Olympiabaustellen abgeschlossen, Zeit für Bernard Thibault eine erste Bilanz zu ziehen. Der frühere CGT-Generalsekretär überwacht heute die Einhaltung der von Gewerkschaften, Unternehmen und öffentlichen Auftraggebern vereinbarten „Sozialcharta“. Die Organisation der Spiele hat bisher 164 Arbeitsunfälle gefordert, 25 davon schwere. „Es sind zu viele“, sagte Thibault unlängst der Zeitung Le Monde, „aber gemessen an der Zahl der geleisteten Arbeitsstunden gab es hier viermal weniger Unfälle als auf französischen Baustellen üblich“. Es ist anzunehmen, dass daran der Kampf der Migranten nicht unbeteiligt war.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von ver.di-publik, mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
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