Wenn hunderttausend Menschen gegen Rechtsextremismus demonstrieren, wenn endlose Schlangen von Bauern auf Traktoren für den Erhalt ihrer Subventionen kämpfen, wenn junge Leute von der ‘letzten Generation’ Straßen blockieren, um mehr Klimaschutz zu erzwingen – dann taucht die Frage nach der Versammlungsfreiheit auf.
Nach Art. 8 Abs.1 des Grundgesetzes haben „alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“ Und Art. 5 garantiert die Meinungsfreiheit. Diese Grundrechte waren selbstverständlich, als das Grundgesetz geschrieben wurde. Sie ermöglichen es den Bürgerinnen und Bürgern, sich aktiv am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess zu beteiligen.
Versammlungs-, Meinungs-, Presse-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit wurden bei der Abfassung des Grundgesetzes als unverzichtbar für die politische Beteiligung in einer lebendigen Demokratie angesehen. Laut Aussage des Bundesverfassungsgerichts sind sie wichtige Grundpfeiler eines demokratisch-liberalen Rechtsstaates. Schon frühzeitig klassifizierte es 1958 die Meinungsfreiheit als Grundrecht und Grundlage jeder Freiheit.
In Art. 8 Abs. 2 GG heißt es dann weiter: „Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.“ Dementsprechend gibt es seit 1954 das Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz). Es greift deutlich in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ein und erklärt dies auch in seinem § 20: „Das Grundrecht des Art. 8 GG wird durch diese Bestimmungen eingeschränkt.“ Das Gesetz untersagt Personen die Organisation von Versammlungen oder die Mitwirkung daran, denen die Grundrechte aberkannt wurden oder die Ziele einer verfassungswidrigen Partei fördern, ebenso wie den wegen Verfassungswidrigkeit verbotenen Parteien sowie Vereinen, die gemäß Art. 9 GG verboten sind.
Versammlungen unter freiem Himmel müssen vom Veranstalter 48 Stunden vor Bekanntgabe angemeldet werden. Die unterschiedliche Handhabung der Anmeldepflicht von Versammlungen im Freien und in geschlossenen Räumen liegt darin begründet, dass im Freien eine unbegrenzte bzw. unerwartet hohe Zahl an Teilnehmenden höhere Anforderungen an die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit für Teilnehmende und Zuschauende stellt, und dass geeignete Verkehrsregelungen zu treffen sind.
Die Anmeldepflicht gilt gemäß Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht für sogenannte „Spontan-Demonstrationen“. Darunter sind Versammlungen zu verstehen, die sich aus aktuellem Anlass ohne vorherige Organisation bilden. Sie dürfen daher auch nicht wegen fehlender Anmeldung aufgelöst werden.
Das Versammlungsgesetz hat 33 Paragrafen und eine Vielzahl von Unterpunkten. Das Tragen von Waffen und von Schutzkleidung sowie von Uniformen zur Werbung für eine politische Gesinnung wird untersagt. Für Jugendorganisationen gibt es davon Ausnahmen. Es geht um die zulässigen Begründungen für Versammlungsverbote, um den Ausschluss von Teilnehmern (Presse muss zugelassen bleiben), um die Ausübung des Hausrechts, um ehrenamtliche Ordner und deren Kennzeichnung und um die Anfertigung und Verwendung von Film- und Tonaufnahmen.
Eine Auflösung von Versammlungen darf nur erfolgen, wenn einer der im Gesetz konkret genannten Gründe vorliegt. Verboten sind Versammlungen an historisch herausragenden Gedenkstätten an die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und im Bannkreis der Parlamente. Davon ausgenommen sind Gottesdienste unter freiem Himmel, Prozessionen, Volksfeste und vergleichbare Anlässe. Für solche Veranstaltungen gelten auch die Vorschriften über Vermummungen und andere Aufmachungen nicht, die die Feststellung der Identität verhindern.
Die Rechte der Polizei bei angemeldeten Versammlungen sind abschließend geregelt. Sie kann z.B. anordnen, wo die Menschen demonstrieren dürfen, sie kann Störenfriede aus der Versammlung ausschließen, und sie kann im Grenzfall eine Versammlung auch verbieten bzw. auflösen.
Einschränkungen der Versammlungsfreiheit sind jedoch nur zulässig, wenn die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Das heißt: Erstens muss die Begrenzung verhältnismäßig sein, also einen legitimen Zweck verfolgen. Zweitens muss sie erforderlich sein, also von mehreren geeigneten Mitteln das am wenigsten belastende. Drittens muss sie zumutbar sein, also in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen. Die Entscheidung liegt bei den Behörden, notfalls bei den Gerichten. 1)
Allein elf Paragrafen des Versammlungsgesetzes widmen sich den Geld- oder Freiheitsstrafen, die bei Verstößen verhängt werden. Geldstrafen können bis zu 30.000 DM für Demonstrationen in einem Bannkreis bzw. bis zu 180 Tagessätzen für die Verletzung von Auflagen oder bis zu drei Jahren Haft für den Versuch, eine genehmigte Versammlung gewaltsam zu verhindern oder zu sprengen. Bei Verstößen verwendete Gegenstände können eingezogen werden.
Der Umfang und die Regelungsdichte des Versammlungsgesetzes zeigen einerseits, welch große Bedeutung der Versammlungsfreiheit zugemessen wird, und andererseits die Skepsis, mit der der Staat Kundgebungs- und Demonstrationsaktivitäten betrachtet und behandelt. Die Versammlungsfreiheit hat eben eine fundamentale gesellschaftliche Funktion.
Seit 2006 haben die Bundesländer das Recht, eigene Versammlungsgesetze zu beschließen. Davon haben bislang sieben Länder Gebrauch gemacht. Für Protest haben vor allem die Gesetzesverschärfungen in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bayern gesorgt. In Hessen verabschiedete die Koalition aus CDU und Grünen (!) im März 2023 einen Text, der – anders als die Bundesregelung – bereits bei Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit vorsieht und u.a. ein „Militanz- und Einschüchterungsverbot“ enthält. Es ist jedes Auftreten untersagt, „das Gewaltbereitschaft vermittelt und einschüchternd wirkt.“
In Nordrhein-Westfalen gab es einen Entwurf mit weitgreifenden Vorschlägen. Zum Beispiel sollte der Versammlungsleiter belangt werden können, wenn Versammlungen anders ablaufen als angemeldet. Namen und Adressen von Ordnern sollten bei Bedarf an die Polizei gegeben werden. Daher gab es vielfältige Kritik und Proteste. Der Koalitionspartner FDP distanzierte sich von dem Entwurf. Es folgte eine Reihe von Überarbeitungen und Streichungen. Geblieben ist u.a., dass die Veranstalter verpflichtet sind, eng mit der Polizei zusammenzuarbeiten, Blockaden und Vermummungen sind verboten. Anfang 2022 trat das Gesetz in Kraft. Eine Verfassungsbeschwerde ist noch nicht entschieden.
Am weitesten hat sich Bayern 2008 vorgewagt. Dort gilt eine Demonstration wohl weniger als Ort der Meinungsfreiheit denn als Gelegenheit, durch Filmaufnahmen Daten zu gewinnen, von jeder Einzelperson auszuwerten und zu speichern und so potentielle Täter/innen zu erfassen. Zudem wurden die Bedingungen der Anmeldung verschärft; sie muss durch zwei Personen erfolgen, unabhängig davon, ob klein oder groß, ob drinnen oder draußen, also womöglich schon – so die Süddeutsche Zeitung – für einen politischen Stammtisch. Und die Teilnehmenden dürfen kein „einschüchterndes Erscheinungsbild“ erzeugen.
Gegen diese und andere Bestimmungen wurde von 13 Parteien und Verbänden Verfassungsbeschwerde eingereicht, das Bundesverfassungsgericht setzte Anfang 2009 eine Reihe von Vorschriften des Gesetzes außer Kraft. Laut Gericht war das Gesetz unbestimmt und einschüchternd, es sei nicht versammlungsfreundlich, sondern eher behördenfreundlich. Es verhindere damit, dass die Bürger/innen ihre Versammlungs- und Meinungsfreiheit unbefangen nutzen. Bayern nahm daraufhin einige Gesetzesanpassungen vor, zu einer Hauptverhandlung vor dem BVerfG kam es nicht.
Menschen können sich aus verschiedenen Gründen treffen, z.B. zum gemeinsamen Sport oder zum Feiern. Versammlungen im Sinne des Gesetzes sind Treffen, zumeist politischer Art, die der Meinungsäußerung dienen sollen. Das Bundesverfassungsgericht definiert sie als „eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.“ Konzerte, Fußballspiele oder Volksfeste sind keine solchen Versammlungen, weil die Menschen dort nur Zuschauer sind.
Die Versammlungsfreiheit ist eine Ergänzung der repräsentativ-parlamentarischen Politik durch Wahlen und Parteien. Demonstrationen streben an, gesellschaftlichen Einfluss zu nehmen und eine Meinungsänderung in der Gesellschaft zu bewirken. Die Teilnehmenden müssen sich jedoch zu ihrer Haltung bekennen – daher gilt ein Vermummungsverbot. Über die Art und Weise, wie und wo sie sich äußern wollen, entscheiden die Bürger/innen selbst. Das Versammlungsrecht schützt auch Kundgebungen an Orten, die im Privateigentum stehen, sofern sie für das allgemeine Publikum zugänglich sind. So hat das Bundesverfassungsgericht 2011 zum Frankfurter Flughafen entschieden.
Das Recht, sich zu versammeln und zu artikulieren, steht allen zu, unabhängig davon, was gesagt und gefordert wird. Nötig sind Toleranz, Vielfalt und Respekt. Daher müssen auch immer wieder Aufmärsche von Extremisten genehmigt werden, auch wenn das vielen Menschen unerträglich erscheint und inhaltlich brisant ist. 2009 stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass es auf den Inhalt einer Versammlung nicht ankommt. Die politische Ausrichtung entscheidet nicht darüber, ob man sich versammeln darf. Natürlich gelten immer die gesetzlich genannten Grenzen.
Eine Grundbedingung der Versammlungsfreiheit ist ein friedlicher Ablauf. Werden volksverhetzende Parolen gerufen oder gar Straftaten geplant oder vorgenommen, so gilt die Freiheit nicht mehr. Eine Demonstration ist kein Schutz fürs Krawalle oder fürs Plündern. Demonstrationen und Demonstrierende mögen unbequem sein: Staus, laute Reden, Sprechchöre, Musik, Plakate, Müll. Solange es nicht unerträglich wird, muss die Versammlungsfreiheit akzeptiert werden.
Wie beim Versammlungsrecht mit dem Internet umzugehen ist, ist noch nicht entschieden. Immerhin ist auch dies ein öffentlicher Raum. Laut herrschender Meinung fallen Versammlungen im Internet jedoch nicht unter den Rechtsschutz von Art. 8 GG, obwohl dieser eine solche Einengung nicht enthält.
Auch ausländische Politiker/innen dürfen auf Versammlungen und Kundgebungen auftreten und reden, sofern sie keine beleidigende oder aufstachelnde Propaganda betreiben oder die öffentliche Ordnung gefährden. Bürokratische oder politische Erwägungen dürfen die Versammlungs- und Meinungsfreiheit nicht einschränken. Die Bekämpfung des politischen Extremismus ist keine Aufgabe des Versammlungsrechts.
Auch für EU-Bürger/innen gilt die Versammlungsfreiheit. Ob und inwieweit auch Nicht-EU-Ausländer/innen diese genießen dürfen, ist unklar. Das nordrhein-westfälische Versammlungsgesetz gewährt “jeder Person das Recht zu friedlichen Versammlungen, unabhängig von der Staatsangehörigkeit”. Generelle Versammlungsverbote für Nicht-EU-Ausländer seien – so die Landesregierung – eine falsche Reaktion und zudem „rechtlich unzulässig“ und praktisch „nicht realisierbar”. Entscheidend sei “die Friedlichkeit der Versammlungen, nicht die Staatsangehörigkeit ihrer Teilnehmerinnen und Teilnehmer”.
Ein neues Streitobjekt ist der Umgang mit pro-palästinensischen Demonstrationen. In manchen Städten werden solche Versammlungen verboten, die dagegen angerufenen Gerichte haben die Verbote manchmal bestätigt und manchmal nicht. Einheitliche Kriterien gibt es offenbar nicht. Ein präventives Verbot einer Versammlung darf jedoch nur das letzte Mittel sein. Das Bundesverfassungsgericht wurde mit dieser Thematik noch nicht befasst. Es könnte sein, dass es wieder einmal ein Signal für die Wahrung der Versammlungsfreiheit senden muss.
Dieses Grundrecht soll nämlich vor allem Minderheiten schützen. Es dient denjenigen, die sich jenseits von Parlament und Medien in demokratischen Debatten äußern wollen. Durch ihre Kundgebungen können dann auch Positionen, die nicht dem Mainstream entsprechen, gesellschaftliche Aufmerksamkeit erreichen. Demonstrationen müssen nicht ausgewogen sein, sie dürfen durchaus provokante Meinungen vertreten. Solange dort nicht zu Straftaten aufgerufen wird, Volksverhetzung betrieben wird oder Straftaten gebilligt werden, müssen auch Palästinenser ihr Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit wahrnehmen dürfen.
In der Bundesrepublik hat es eine Vielzahl bedeutsamer Massenkundgebungen gegeben. Manche haben direkt etwas bewirkt (oder verhindert), andere haben zumindest die Haltung und Meinung der Gesellschaft beeinflusst. Manche werden uns noch gut in Erinnerung sein, andere wurden vielleicht schon vergessen. Hier einige markante Ereignisse, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
Seit 1960 finden die Ostermärsche als jährliche regelmäßige Demonstration der Friedensbewegung statt.
In den 70er Jahren erstarkte die Frauenbewegung mit den Protestthemen § 218 StGB, Diskriminierung in Gesellschaft und Beruf sowie Gewalt gegen Frauen. Aktuell ist „One Billion Rising“ aktiv, eine globale Initiative gegen Gewalt an Frauen. Am 14. Februar 2024 waren weltweit eine Milliarde Frauen dazu eingeladen, auf die Straße zu gehen, zu tanzen, sich zu erheben und das Ende der Gewalt zu fordern.
1965 begannen die Studentenproteste, vor allem gegen überholte Hochschulstrukturen, die große Koalition, den Vietnamkrieg und den noch immer latenten NS-Geist. In den USA kamen bis zu 250.000 Personen zu Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg.
1977 werden Pläne bekannt, in Gorleben eine Wiederaufarbeitungsanlage für Atombrennstäbe und ein atomares Endlager zu bauen. Dagegen gibt es vehemente Proteste, teilweise mit 100.000 Personen. Vor allem die Bauern bekämpfen die Pläne. Das Endlager wird 1995 fertig.
1979 richtete sich der Protest gegen den NATO-Nachrüstungsbeschluss. An einer Demonstration in Bonn beteiligten sich 350.000 Menschen. Auch in anderen Staaten wurde demonstriert. Dennoch wurden die Atomraketen 1983 aufgestellt. Aufgrund eines Abrüstungsvertrags zwischen den USA und der Sowjetuion wurden sie 1987 wieder abgebaut.
1985 bis 1989 gab es überaus heftige Demonstrationen bei Auseinandersetzungen um den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage für atomare Brennstäbe in Wackersdorf. Zeitweise waren die Proteste und die Polizeieinsätze sehr gewalttätig. 1989 wurden die Baupläne aufgegeben.
1992 gab es eine Reihe von Demonstrationen gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus.
1993 protestierten 120.000 Betroffene gegen die geplanten Zechenschließungen.
2003 demonstrierten 500.000 Personen gegen den Irakkrieg und mehr als 500.000 gegen die Agenda 2010.
Seit 2010 gab es rund 600 Demonstrationen gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21. Eine Volksabstimmung ging zugunsten des Baus aus.
2019 vereinigten sich bei Fridays for Future 300.000 Schüler/innen, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren.
Regelmäßig streiken und demonstrieren die Gewerkschaften zur Durchsetzung von Tarifforderungen. Das Streikrecht wird aus Art. 19 Abs. 3 abgeleitet.
Ein Test für die Versammlungsfreiheit war die Demonstration gegen den Bau des Atomkraftwerks Brokdorf. Rund 100.000 Menschen protestierten dort 1981. Der Landrat hatte die Demonstration untersagt, das Verwaltungsgericht hatte das Verbot aufgehoben, und das Oberverwaltungsgericht hatte es wieder in Kraft gesetzt. 1985 hob das Bundesverfassungsgericht das Verbot nachträglich auf und untersagte die bis dahin übliche restriktive Genehmigungs- und Verhinderungspraxis. Friedliche Demonstranten müssten ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ausüben können, auch wenn sich gewaltbereite Personen darunter mischten.
Die Versammlungsfreiheit wird nicht nur im deutschen Grundgesetz, sondern auch in zahlreichen internationalen Vertragswerken geschützt. Dies gilt z.B. für die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, für die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (wo vor allem gewerkschaftliche Rechte betont werden) und für den Internationalen Pakt der UN über bürgerliche und politische Rechte. Auch in der (nicht in Kraft getretenen) Paulskirchenverfassung von 1848 und in der Weimarer Verfassung von 1919 war das Recht auf Versammlungsfreiheit enthalten.
Manche durchgreifenden Änderungen auf dieser Welt sind durch Einsicht, gesellschaftliche Entwicklungen oder durch Gewalt erfolgt. Viele jedoch waren Wirkungen von Kundgebungen, Demonstrationen, Aufständen, Boykotts oder vergleichbaren Widerstandsaktionen. Deshalb hat das Versammlungsrecht einen hohen internationalen Stellenwert.
Die Französische Revolution von 1789 bis 1799 gehört zu den folgenreichsten Ereignissen der neuzeitlichen Geschichte. Sie begann mit dem Sturm auf das Staatsgefängnis (Bastille), wo sich die Bürger/innen bewaffneten. Es war ein Aufstand der einfachen Leute mit dem Ziel der Abschaffung der Monarchie und des feudal-absolutistischen Ständestaats. Ihre Ziele waren die Umsetzung grundlegender Werte und Ideen der Aufklärung, insbesondere der Menschenrechte. Ab 1792 setzten sich indes Gruppierungen durch, die eine Republik mit radikaldemokratischen Zügen, Revolutionsregierung und Terror schufen.
In Indien demonstrieren und kämpfen die Menschen ab 1947 für die Unabhängigkeit von Großbritannien. Federführend ist Mahatma Gandhi, der sich für gewaltlosen Widerstand einsetzt. 1968 wird Indien unabhängig.
In China protestierten 1989 mehr als 100.000 Menschen, vor allem Studierende, für Reformen und besetzten einen zentralen Platz in Peking. Der Protest wurde mit Waffengewalt niedergeschlagen.
Exkurs: Stuttgart
Ein aktueller Ansatz von Behörden, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu unterlaufen, stammt aus Stuttgart. Dort verbot die Stadt im Juli 2023 Blockadeaktionen der Klimabewegung, bei denen sich Aktivist/innen auf die Straße klebten. Damit wird der Gehalt der Versammlungsfreiheit verkannt und dem Gutdünken von Behörden untergeordnet.
Zudem wird schon der Zweck verfehlt. Die Blockierer nehmen bewusst Gesetzesverstöße in Kauf und werden sich wohl kaum durch eine kommunale Verfügung davon abhalten lassen. Um eingreifen und eine Blockade auflösen zu können, bedarf es also nicht noch eines zusätzlichen Verbots. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass Sitzblockaden nach Art. 8 GG und dem Versammlungsgesetz zu behandeln sind.
Die Stuttgarter Verwaltung gibt offen zu, die Proteste der „letzten Generation“ aus dem Schutz des Grundgesetzes herauslösen zu wollen. Wenn dieses Verfahren Schule macht, ließen sich prinzipiell prophylaktisch sämtliche Versammlungen in Städten verbieten. Oder – noch abwegiger – die Verwaltung wählt wie in Stuttgart nur eine bestimmte Art von Versammlungen aus, die ihr besonders ärgerlich erscheinen, und verbietet genau diese.
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