Lasst uns über Reiche sprechen. Das dachte sich wohl auch das ZDF. Anfang des Jahres war die Doku „Die geheime Welt der Superreichen“ Diskussionsthema. Für Aufregung sorgte besonders die Enthüllung, dass eine hochrangige Beamtin aus dem Finanzministerium auf einer Konferenz Superreichen Tipps fürs Steuersparen gibt. So weit, so skandalös.
Dass Reichtum und Machtkonzentration ein Problem darstellen, dass (Hyper-) Reichtum ungerecht, unmoralisch und ja, auch demokratiegefährdend ist, darüber wird mittlerweile breit debattiert. Dass die Namen der superreichen Steuervermeider*innen und die Höhe ihres Vermögens bekannt werden, ist ein Fortschritt.
Dass es heutzutage nicht nur den Armuts-, sondern auch den Reichtumsbericht und seit einiger Zeit auch so etwas wie Elitenforschung gibt, ist ebenfalls begrüßenswert.
Empörung über Reiche, die kaum Steuern zahlen, gehört mittlerweile zum guten Ton. Bei der Skandalisierung muss jedoch aufgepasst werden, dass die Kritik an Eliten nicht in rechtes Fahrwasser abdriftet. Nach dem Motto: „Die da oben“ (womit häufig die Superreichen im Verbund mit allen traditionellen Parteien gemeint sind) und „Wir das Volk“, (wobei das „Wir“ über Ausschluss von und Abgrenzung gegenüber wie auch immer gearteten „Anderen“ hergestellt wird). Dass „die da oben“ von der Politik gepampert und hofiert werden, was etwa Steuervermeidung betrifft, stimmt jedoch.
Das zeigt sich allein daran, dass gemäßigt linke Maßnahmen wie eine Vermögenssteuer immer noch als politisch nicht durchsetzbar gelten. Und in Lateinamerika nimmt das Ganze aufgrund noch ungerechterer Steuersysteme noch groteskere Züge an.
Lasst uns also auch über Reiche in Lateinamerika sprechen. Und über Dynastien.
Wer sich mit lateinamerikanischer Politik befasst, stößt schnell darauf, dass bestimmte Nachnamen von Politiker*innen immer wieder auftauchen, seien es die Familien Battlle, Herrera und Lacalle in Uruguay, die Dynastien Matte, Kast oder Angelini in Chile oder der Barbalho-Clan im brasilianischen Bundesstaat Pará.
Familiendynastien spielen ein wichtige Rolle in der Herausbildung von Politikerpersönlichkeiten, die die Geschicke eines Landes leiten und Macht und Einfluss auf sich konzentrieren. Ihre Bedeutung lässt sich aus der kolonialen Vergangenheit beziehungsweise aus deren Nachwirkungen in der Zeit der Unabhängigkeit und der Konstituierung der neuen, unabhängig gewordenen Republiken ableiten. Die Zugehörigkeit zu einer traditionsreichen Politikerfamilie erweist sich als Vorteil bei der politischen Rekrutierung und garantiert Effizienz bei der Besetzung von Ämtern und Positionen. Und die Sprösslinge solcher Clans nehmen Politik quasi mit der Muttermilch zu sich. Manchmal werden innerhalb einer Dynastie politische Lagergrenzen überschritten, wie etwa bei der Familie Handal in El Salvador und Honduras oder der Familie Diez Canseco in Peru.
Der Wirkungskreis von Dynastien beschränkt sich nicht nur auf die Politik, meistens sind die Familienmitglieder in unternehmerische Aktivitäten im Land eingebunden und bauen diese noch höchst lukrativ aus, wie etwa der Ortega-Murillo-Clan in Nicaragua oder die Geldaristokratie in Chile eindrücklich zeigen. Die Geldaristokratie in Lateinamerika zeigt eine erstaunliche Kontinuität und Fähigkeit zur Reproduktion. Nur tiefgreifende, revolutionäre Umbrüche, wie etwa die cubanische Revolution 1959, können für Umbrüche in der Zusammensetzung der ökonomischen Eliten sorgen.
Im aktuellen Schwerpunkt untersuchen wir anhand ausgewählter Dynastien, wie die Eliten in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern historisch gewachsen sind und welche Faktoren ihre Stabilität begünstigen. Bei den Familiendynastien handelt es sich um einen überschaubaren Personenkreis. Unsere Autorin Karin Fischer schreibt zum Beispiel über die chilenische Geldaristokratie:
„Hinter den Drehtüren zwischen wirtschaftlicher und politischer Macht gedeihen informelle Netzwerke. Es ist weniger die schiere Menge an Geld als vielmehr die Art und Weise, wie es zustande kommt und welche Machtressourcen damit verbunden sind, was beunruhigt. In Chile zeigen Geschichte und Gegenwart, dass Reiche und ihr Reichtum die Gesellschaft spalten und Zukunft verhindern.“
Lasst uns also über Strukturen sprechen. Schließlich kann ein differenzierteres Verständnis von den Eliten dabei helfen, die Konzentration von politischer und ökonomischer Macht fundierter zu kritisieren. Jenseits von Politikverdrossenheit und einfachen Schwarz-Weiß-Schemata.
Dieser Beitrag ist das Editorial und eine Übernahme auch ila 474, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Links wurden nachträglich eingefügt. Drei weitere Beiträge werden hier in den nächsten Tagen folgen.
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