Ich empfehle, sich der Laurelle, also der sieben Meter hohen, aus Gusseisen beschaffenen Skulptur vor dem Bad Godesberger Bahnhof schlendernd und nicht im Pulk zu nähern. So wie es uns der Weimarer Geheimrat im Prinzip ans Herz gelegt hat:

„…Ich blick’ in die Ferne,

Ich seh’ in der Näh’

Den Mond und die Sterne,

Den Wald und das Reh.“

Denn wir sind, so stehts ja zu Beginn des Türmerlieds: „Zum Sehen geboren.“

Den sehr sorgfältig ausgewählten Ehrengästen anlässlich der Laurelle-Enthüllung am Mittag des 26. Mai war das nicht möglich. Sie harrten auf ihren Plastikstühlchen aus, lauschten den Worten des CDU-Ratsherrn Jansen (warum ihm, dem ehemaligen Bürgermeister obgleich amtierende Bürgermeister Godesbergs anwesend waren); dann den Worten des Skulptur-Mäzens Smerling sowie dem Migrationsbeauftragten der Bundesregierung Stamp (warum, warum ausgerechnet ihm? Hat die Laurelle nur eine Duldung?) Es gab Tarramtam-tam und Lirum, Larum, Löffelstiehl. Ernüchtert hatten Bezirksvertreter kurz vor Beginn der Enthüllung dafür gesorgt, dass wenigstens ein Teil der von der Bürgerschaft gewählten Frauen und Männer Einladungen erhielten. Sonst wäre es wohl im Mai eine dem Merz recht verwandte Geschichte geworden.

Wer auf Höhe des Hansa-Hauses stehend in Richtung Skulptur schaut, der erblickt einen schon kolossalen Frauenkopf, der aber dennoch von dort aus so etwas wie die Illusion von Transparenz erzeugt. Mit jedem Meter, den ich der Skulptur näherkomme, wächst der Eindruck brutal Stofflichens; eines riesigen, schwarzen, eisernen, aus sieben aufeinander gesetzten Teilen gebildeten Kopf-Kolosses. Laurelle hat Augen und Mund geschlossen beziehungsweise verschlossen. Man sagt, sie blicke so in die Zukunft. Das kann ich nicht beurteilen.

Sie könnte ebenfalls traurig und in sich gekehrt über Gegenwart und Vergangenheit nachdenken. Oder schlafen. Vielleicht hört Laurelle nur gelangweilt zu! Wundert sich über die vielen nickenden, grüßenden älteren und alten Herren neben, vor und hinter sich; was belegt, dass ältere Männer mindestens so eitel sind wie ält … aber das lass ich jetzt mal. Bringt nüschte.

Vielleicht fragt die schöne und wohl junge Laurelle sich, warum nur so wenige junge Frauen und Männer sich eingefunden hatten, Menschen, die etwas herstellen, transportieren, verkaufen? Denen nach zu schauen ihr Spaß machen würde! Ist das die Gesellschaft in der ich die nächsten Jahre verbringen werde? Ist das alles? Gott bewahre! Ehrlicherweise muss ich sagen: Ja, das ist so, liebe Laurelle.

Alles weitere mit und um die Skulptur wird sich finden. Den ersten Hinweis der Wirkmächtigkeit, die in der Skulptur des Bildhauers Jaume Plensa liegen könnte, dürfte der 10. August bringen. An diesem 10. August feiert der heilige Laurentius, Lorenz landläufig genannt, seinen christlichen Jahrestag. Der landläufige Lorenz ist mit der Laurelle über den Ursprung des Namens und dessen Bedeutung verwandt: Die „Laurelianer“ stammten ursprünglich aus Laurentium, einer Stadt im römischen Latium. Die lokale Herkunft des Wortes wurde freilich durch den Laurus nobilis, den ordinären Lorbeerbaum verdrängt, dessen Zweige und Blätter bestimmten Leuten um den Kopf gewunden beziehungsweise auf selbigen gesetzt wurden, um die vor allen anderen auszuzeichnen. Der Lorenz war also der Bekränzte.

Nun ist es so: Wenn am 10. August in einer Sommernacht nach einem heißen Tag Sternschnuppen vom Himmel fielen, sagten die Leute in der West- oder Voreifel: „Dä Lorenz es am Krische.“ Heißt: Lorenz weint. Also am 10. August weiß man ungefähr, was mit der Laurelle auf sich hat. Ansonsten hilft nur: schlendern. Der Kultur zuliebe.

Über Klaus Vater / Gastautor:

Klaus Vater, geboren 1946 in Mechernich, Abitur in Euskirchen, Studium der Politikwissenschaft, arbeitete zunächst als Nachrichtenredakteur und war von 1990 bis 1999 Referent der SPD-Bundestagsfraktion. Später wurde er stellvertretender Sprecher der deutschen Bundesregierung. Vater war zuvor Pressesprecher des Bundesministeriums für Gesundheit unter Ulla Schmidt, Sprecher von Arbeitsminister Walter Riester, Agentur-, Tageszeitungs- und Vorwärts-Redakteur. Mehr über den Autor auf seiner Webseite.