Schon lange beklage ich die Forschungslücke, mindestens ihre öffentliche Wahrnehmung, wie sich die technologischen “Fortschritte” menschlicher Kommunikation auf politisches Denken und Handeln auswirken. Und als hätte er davon gehört – wir hatten uns in der Tat vor wenigen Wochen persönlich getroffen – hat sich der fleissige Kollege Andreas von Westphalen/telepolis des Themas angenommen, wie immer sehr informativ: Soziale Medien: Verdrahtete Versuchskaninchen – Generation Z – US-Sanitätsinspekteur fordert Warnhinweis für soziale Medien. Er ist nicht der Einzige, der vom Risiko für Einsamkeit, Angstzustände und Depressionen überzeugt ist.” Die Sache hat zwei schlimme Schlagseiten, die nicht am Autor, sondern an der Wirklichkeit der Sache liegen.

Ich hasse den Begriff “Generation” als Erklärung sozialer und politischer Zusammenhänge. Das hasse ich schon, seit ich selbst Jugendlicher war, und die Erwachsenenwelt über die “heutige Jugend” lamentierte – ein Unsinn, der schon bei Sokrates und Jahrtausende vor ihm grassierte. Ich war nicht, wie andere Jugendliche – deswegen wurde ich Borussia Mönchengladbach-Fan, und nicht RWE (wie Friedrich Küppersbusch) oder S04 (wie Manni Breuckmann, und alle andern auf meinem Schulhof, den auch Manuel Neuer kennt). Mit 16 wurde ich Jungdemokrat und einen Monat später FDP-Mitglied – auch darin sind mir nur zwei aus meiner Klasse gefolgt.

Scherz beiseite. Seit knapp 200 Jahren (mindestens) weiss die Menschheit, wenn sie es wissen will, von den Klassengegensätzen und -unterschieden. Es gibt nur wenige Bereiche, in denen sie augenfälliger sind, als im deutschen Bildungs- und Schulwesen. Es gibt wenige, sehr wenige Familien und Schulen, in denen Medienkompetenz erlernbar ist. In der übergrossen Mehrheit der Familien und Schulen bringen die Kinder den Eltern und Lehrer*innen bei, wie Medien funktionieren. Weil sie es besser wissen.

Unter diesen Umständen sind die Beschränkungsvorschriften, die sich von Westphalen zitierte Wissenschaftler*innen für Kinder und Jugendliche ausgedacht haben, an Lächerlichkeit kaum zu übertreffen. Wie soll das funktionieren, wenn Eltern und Lehrer*innen doch selbst entweder ahnungslos oder süchtig und abhängig sind? Notorische Raucher*innen oder Alkoholiker*innen besitzen doch auch keine Autorität, aus ihren Kindern Abstinenzler*innen zu machen – und wenn, dann als lebende Abschreckung.

Andreas’ Überblick ist ein Anfang als Bericht über bestehende Forschung, und insofern aufschlussreich. Doch was die asozialen Medien mit der Welt der Erwachsenen schon längst angestellt haben, bleibt leider im Dunkeln.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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