Niedergehende Imperien sind eine Gefahr für die Welt – auch für den europäischen Fussball (der Herren)

Meine These: wenn dieses England bei dieser EM, diesem angeblichen “Märchen”, das Finale oder auch nur das Halbfinale erreicht, dann ist der europäische Spitzenfussball (der Herren) zerstört. Offenbar habe ich sogar der bisher besten Turnierleistung dieses Trümmerteams am Sonntag vor einer Woche in Gelsenkirchen (1:0 gegen Serbien, und eine ganze zweite Halbzeit um serbische Gegentreffer gebettelt) persönlich beigewohnt.

Zweifellos haben sie in Jude Bellingham einen Ausnahmekönner in ihren Reihen. Der hat aber seine wichtigsten Entwicklungsschritte im Alter 17-20 in Dortmund und danach in Madrid gemacht. Der englische Fussball (der Herren) hat sich dagegen schon seit den 90ern vor den widerlichsten und verbrecherischsten Feudalcliquen in den Staub geworfen und aufkaufen lassen. “Wieso?”, kann das Empire fragen – “wir waren doch als Kolonialherren schon immer mindestens genauso verbrecherisch und widerlich”. Auch wieder wahr.

Andererseits hat Kleinbritannien auch eine Menge nachahmenswerter Kulturleistungen vollbracht. Das Wetter, Fish&Chips, schaumloses Bier und davon viel, der NHS (als er noch funktionierte), die Eisenbahn (als sie noch funktionierte, und die überall im Empire) – wenig konkurrenzfähig dagegen die Autos (ausser Rolls-Royce), was auch wieder irgendwie sympathisch ist. Den besten britischen Fussball, den ich je gesehen habe, hat mit Arsène Wenger ein Franzose auf die Insel gebracht. Unter seiner Regentschaft als Fussballlehrer wurden solche Zaubertore erzielt – obwohl: der Torschütze war ein Holländer mit Flugangst, die Vorlage gab ebenfalls ein Franzose. A propós Holländer: das 2:3 heute gegen Österreich – das war Fussball, wie er gern gesehen wird.

Langer Rede kurzer Sinn: bitte, bitte weniger englischer Fussball, wenn es eine gute EM werden soll. Britische Krimis oder Streamingserien – davon gerne mehr.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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