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Politik für Reiche

Vor kurzem war in einem Fernsehbericht zu hören, dass die Mehrzahl aller Bundestagsentscheidungen zugunsten der reichen Deutschen getroffen würde. Das macht neugierig. Ist das tatsächlich so, oder ist es eine Fake-Meldung? Vielleicht eine Wahlkampfparole ? 

Im Entwurf des 7. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung vom Januar 2024 (so etwa gibt es tatsächlich!) steht dazu erwartungsgemäß nichts. Immerhin erfahren wir dort, dass das politische Interesse der Bezieher/innen hoher Einkommen im Laufe der letzten Jahrzehnte zwischen 50 und 65% lag, das der Personen mit geringem Einkommen jedoch nur zwischen 23 und 33%. Das deutet auf einen unterschiedlichen Einfluss auf die Politikgestaltung hin.

Im Internet findet man zum Thema „Bundestag, Politik für Reiche“ jedoch relevante Nachrichten aus den Jahren 2016 und 2017. Die Quellen scheinen seriös zu sein: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Business Insider und Lobby Control. Die Beiträge befassen sich mit dem Thema, wie wirksam Deutschlands Reiche die Politik beeinflussen. Ziemlich offenherzig und wohl auch erstmalig wurde von der Regierung eingestanden, dass Politikbeeinflussung wirksamer ist, wenn sie von Menschen mit höherem Einkommen unterstützt wird. Gleichzeitig wird dokumentiert, dass die Regierung diese Erkenntnisse nicht publik machen will. Ein Kommentator nannte das Verhalten der Bundesregierung ‘Realitätsverweigerung’.

Anlass war die Vorlage des aktuellen Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung im Dezember 2016. Im Entwurf, der von Arbeitsministerin Andrea Nahles vorgelegt worden war, standen einige ehrliche Sätze, die im Kanzleramt nicht willkommen waren und deshalb in der Endfassung nicht mehr auftauchten. Irgendjemand hat das herausgefunden und dafür gesorgt, dass bekannt wurde, welche Informationen die Bundesregierung der Öffentlichkeit vorenthalten will.

Eine Überraschung bzw. ein Alleingang von Andrea Nahles waren die unbequemen Wahrheiten allerdings nicht. Sie hatte schon lange vorher angekündigt, erstmals den Einfluss von Eliten und Vermögenden auf politische Entscheidungen untersuchen zu lassen. Deswegen hatte ihr Ministerium bei einem Politikwissenschaftler eine Studie über ‘Fragen von gesellschaftlicher Macht durch Reichtum’ in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse sollten in den Armuts- und Reichtumsbericht einfließen.

Im Entwurf des Berichts standen daher Sätze wie: „Die Wahrscheinlichkeit für eine Politikveränderung ist wesentlich höher, wenn diese von einer großen Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen unterstützt wird.“ Und: „Personen mit geringerem Einkommen verzichten auf politische Partizipation, weil sie Erfahrungen machen, dass sich die Politik in ihren Entscheidungen weniger an ihnen orientiert.“ Beide Sätze fehlen in der beschlossenen Fassung. 

Noch pointierter war ein dritter gelöschter Satz: „In Deutschland beteiligen sich Bürger mit unterschiedlichem Einkommen nicht nur in sehr unterschiedlichem Maße an der Politik, sondern es besteht auch eine klare Schieflage in den politischen Entscheidungen zu Lasten der Armen. Damit droht ein sich verstärkender Teufelskreis aus ungleicher Beteiligung und ungleicher Responsivität.“ Das Kapitel über den Einfluss von Interessengruppen und Lobbyarbeit wurde komplett gestrichen. Daher fehlt auch der Satz, dass „Lobbyismus und politische Kontakte eine Ursache der ungleichen Berücksichtigung politischer Interessen seien.“

Der Bericht wurde entschärft, die Wahrheit über den Einfluss der Reichen auf Bundestagsentscheidungen wurde vertuscht. Doch die Politik wurde erwischt. Zwar steht in den gelöschten Textstellen nicht wörtlich, dass die Mehrzahl aller Bundestagsentscheidungen zugunsten der reichen Deutschen erfolgt. Jedoch besagt die Formulierung, dass „eine klare Schieflage in den politischen Entscheidungen zu Lasten der Armen besteht“, tendenziell dasselbe.

Gedacht haben wir uns das eigentlich schon immer. Viele Entscheidungen der Vergangenheit haben uns in dieser Ansicht bestärkt. Die offenen und verdeckten Einflussnahmen durch Lobbyismus, Parteispenden, Verbände und Stiftungen, privilegierte Kontakte und Informationen, Nebentätigkeiten, personelle Verflechtungen usw. sind bekannt. Im Berichtsentwurf hieß es noch: „So können Partikularinteressen von Eliten und Unternehmen in modernen Demokratien einen übergroßen Einfluss gewinnen:“ Geblieben ist der Satz nicht.

Dank der Tatsache, dass die Zensur der unliebsamen Teile der Studie bekannt wurde, haben wir die Ungerechtigkeit nun schwarz auf weiß, von höchster Stelle und seitens der Ministerin erfreulich selbstkritisch formuliert. Zwar sind die Daten und Zitate sieben Jahre alt, doch wäre es eine Sensation, wenn es heute anders wäre. Reichtum schafft eben Einfluss. Vermögende können auf viele Kanäle zurückgreifen, um sich Gehör zu verschaffen. Das Thema ‘soziale Ungleichheit’ wird immer mehr zu einem Demokratieproblem. Ein Zusammenhang mit der wachsenden Politik- und Demokratieverdrossenheit liegt nahe.

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.

Ein Kommentar

  1. Rainer Bohnet

    Es ist für mich sonnenklar, dass Reiche mehr Einfluss auf politische Entscheidungen ausüben als Arme. Ein Beispiel ist die Kampagne “Vorfahrt Vernunft” von IHK, Einzelhandelsverband, City-Marketing und Handwerkskammer gegen die Verkehrswende in Bonn. Für diese Kampagne haben die Verbände rund 100.000 EUR zur Verfügung gestellt. So viel Geld hat kein Bonner Umweltverband auf dem Konto.

    Im Bundestag fehlen z.B. Arbeitslose und Alleinerziehende. An den Entscheidungen des Bundestages kann man das zum Teil deutlich ablesen.

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