Die Erde drehte sich wie gewohnt und als der Tag im entfernten Australien begann, gingen die Computer aus. Langsam, aber kontinuierlich, Stunde um Stunde, Zeitzone um Zeitzone setzte sich das IT-Sterben rund um den Globus fort. Ursache war ein Versagen der Anti-Viren-Software der Firma Crowdstrike, die eigentlich ein Anti-Viren-Update liefern wollte, das aber fehlerhaft war. So wurden alle Computer des aktuellen Betriebssystems von Microsoft buchstäblich lahmgelegt bzw. entsprechend dem Firmennamen in den “Massenstreik” versetzt. Eine Lachnummer, wäre das Ergebnis nicht für Viele so teuer.

Alle fragen sich in Panik: Wie konnte das passieren? Die Präsidentin des Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik Plattner wiederholte ihre Warnungen, Computer seien generell international wie in Europa nicht sicher genug. Eine Hauptursache der Panne, die diesmal nicht auf russische oder chinesische Hacker zurückzuführen war, ist das Softwaremonopol der Firma Microsoft, die nach wie vor über 90% der im Westen verwendeten Betriebssysteme von Laptops, Desktops und Kleinservern – außerhalb der Apple-Welt – dominiert. Und die Staaten, die Politik, tun nichts dagegen, dass ein Unternehmen eine solche marktbeherrschande Position innehat und behält. Wo bei anderen Sparten längst die Kartellämter eingeschritten sind, glänzen die Regierungen und Verwaltungen durch Untätigkeit. Dieselbe Untätigkeit, mit der sie zulassen, dass die Algorithmen der allgegenwärtigen (a)sozialen Medien das Bewusstsein der Menschen mit jeder Menge rechtem Dreck, Verschwörungstheorien und rassistischer Hetze bis zur individuellen Beleidigung über das Internet fluten, damit Milliardengewinne einstreichen und die Demokratien weltweit zerrütten.

Naiver Wunderglaube an IT first

Erinnern Sie sich noch an den Wahlkampfslogen der FDP 2017? “Digital first – Nachdenken second.” Genau das  ist das falsche Rezept zum Umgang mit Digitalisierung. Vorgeschlagen von einer Partei, die einst für Bürgerrechte eintrat. Aber es ist exakt das Prinzip, nach dem die Computerisierung der Verwaltung und der Wirtschaft vorangetrieben wird. Bahnfahrer*innen wissen das. Der Digitalzwang geht inzwischen so weit, dass das 49-Euro-Ticket und die Bahncard nicht mehr auf physischen Karten verschickt werden, sondern auf Smartphones gespeichert werden müssen. Wer keins hat, ist dumm dran. Nur in Ausnahmefällen werden noch analoge Tickets ausgedruckt. Hinzu kommen eine eher wachsende Naivität im Umgang mit “smarten” Datensammlern, wie Hausgeräten und Energieversorgern, und eine gefährliche Sorglosigkeit im Umgang mit den eigenen personenbezogenen Daten. Paradox: sind es doch oft dieselben Leute, die sich über das Social Rating System der Chinesen als Freiheitsgefährdung mokieren, die hemmungslos ihre persönlichen Verhältnisse und Interessen auf Facebook, Instagram, Whatsapp oder TikTok preisgeben und in Kauf nehmen, dass Konzerne wie Google, Meta und Microsoft mehr über sie wissen, als sie selbst erinnern können. Der mangelnde Selbstschutz geht so weit, freiwillig Spione wie Siri, Alexa und andere im eigenen Haushalt zu dulden, die nachweislich Gespräche auch ohne entsprechenden Befehl aufzeichnen.

Redundanz aufgegeben

Das einfachste aus der analogen Welt stammende Sicherheitsprinzip der Redundanz – dass es ein zweites System gibt, wenn ein System ausfällt – kommt in der digitalen Welt praktisch nicht vor. Jedes Auto hat seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts ein “Zweikreis-Bremssystem”, d.h. wenn die Vorderräder nicht mehr bremsen, funktioniert die Bremse hinten noch. Flugzeuge und Raumschiffe sind meist drei- oder gar vierfach gesichert. In Wasser- oder Kraftwerken war das üblich – ist aber heute nicht mehr selbstverständlich. Kaum jemand hat auf dem PC ein zweites Betriebssystem, zum Beispiel Linux, mit dem er/sie beim Kollaps des einen auf die Daten zurückgreifen könnte. Nur wenige Freaks machen das so, obwohl es z.B. Linux Ubuntu kostenlos im Netz herunterzuladen gibt. Mehr Sicherheit? Eigentlich ganz einfach und kostenlos. Aber Nachdenken ist schon notwendig – sonst stirbt das Denken ab. Und KI, das vergessen die meisten, kann nicht selber denken, sondern nur Gespeichertes umsortieren und wieder ausspucken.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net