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Was würde Willy zu Dohnanyi sagen?

Spannende Duplizität der Ereignisse. Der frühere Bundesminister und vormalige erster Bürgermeister Hamburgs, Klaus von Dohnanyi, will die Außen- und Russlandpolitik der Parteigründerin Sahra Wagenknecht unterstützen. Denn die wolle ja mit Russland verhandeln. Seine alte Partei, die SPD habe mit ihrer Kriegspolitik ihre eigene Friedenspolitik verraten. Also auch die Friedenspolitik Willy Brandts. Denn sie unterstütze einen US-amerikanisch inszenierten Stellvertreter Krieg in der Ukraine. Seine Auffassung müsse die SPD aushalten. Berichtet darüber wurde am 19. Juli.

Dohnanyi hatte Jahre zuvor auf eine Frage mit dem Satz geantwortet, es sei für ihn eine Ehre „Putin-Versteher“ genannt zu werden. Das war kurz vor dem Überfall der Russischen Föderation auf die Ukraine.

Am 21. Juli wurde der Philosoph Professor Volker Gerhardt 80 Jahre alt. Er hat 2023 eine fundamentale Geschichte zur Philosophie der Demokratie vorgelegt. In dieser bei Beck erschienenen Geschichte stellt er Putins Krieg gegen die Ukraine in einen demokratiegeschichtlichen Zusammenhang: Der Mann im Kreml führe Krieg gegen unser in der Zeit gewachsenes demokratisches Denken. (Individuum und Menschheit, C.H.Beck). Ein Leben, das sich rundet auf der Grundlage von Empathie und Verstehen, von Recht und Verantwortung, Gemeinsinn und Bildung ist demnach unter Putins Bedingungen nicht möglich; was am 22. Juli die FAZ auf ihrer Medienseite in einem aufschlussreichen Bericht erhärtete. Bis in die Schulen hinein werde in den besetzten ukrainischen Gebieten eine Umerziehung zugunsten Putins System betrieben.

Von Dohnanyi ist seit 67 Jahren in der SPD, Gerhardt seit 54 Jahren, seit längerem Mitglied der Grundwertekommission seiner Partei. Von Dohnanyi wird von manchen als „Urgestein“ in der oder der SPD bezeichnet, Gerhardt hingegen nicht. Warum das so ist, ist nicht wirklich zu erklären. Wahrscheinlich passt „Urgestein“ nicht zur Vorstellung vom deutschen Professor in deutschen Journalisten-Köpfen. Der Begriff „Urgestein“ für jemanden ist übrigens blödsinnig. In der Geologie ist das Wort heute ungebräuchlich, völlig veraltet und von der Wissenschaft bei Seite gelegt. In der SPD das Wort „Urgestein” auf jemanden anzuwenden, das ist so, also habe der bereits zu Zeiten von August Bebel mit Politik hantiert. Und der ist bekanntermaßen am 13. August 1913 verstorben. Wo also wären Brandt und dessen Friedenspolitik in diesem medialen Spielchen um Treue und Verrat, Vergessen, Nichtwissen und Gewissheit zu finden?

Wir wissen nicht, was Brandt heute sagen und wen er unterstützen würde. Nach meiner Überzeugung würde er der Parteigründerin Wagenknecht jedenfalls nicht die Hand reichen. Vielleicht hätte er sich die ehemalige Kommunistin im Gespräch mit Herrn Lanz oder Frau Illner angeguckt, um sich zu sagen: Mit der nicht, lieber Klaus von Dohnanyi, da gehst Du schön alleine hin.

Brandt hat in der Frage der Nachrüstung während der achtziger Jahre auf der Seite der Gegner gestanden. Das ist wahr. Er schrieb in seinen Erinnerungen, er habe „große Bedenken“ gehabt, „dass in unserer Zeit ein deutscher Regierungschef zu hoch greife, wenn er sich in einer strategischen Ost-West Frage die Führung zutraue“. Aber Brandt hat sich geirrt. Die Nachrüstung mit dem NATO-Doppelbeschluss hat das Ende des Kalten Krieges eingeläutet. Damals standen sich zwei hochgerüstete politisch völlig konträr verfasste, ideologisch unversöhnliche und ökonomisch antagonistische Systeme gegenüber. In den beiden verfeindeten deutschen Staaten traten sich rund 20 Jahre lang aufaddiert – zwei Millionen Soldaten gegenseitig auf die Füße. Und die SPD trat einen Schritt zurück, als sich während der achtziger Jahren Dissidenten-, Freiheitsbewegungen sich daran machten, den Sowjetimperialismus zu unterminieren. Leider hat sie das getan.

Es gab damals ja gute Gründe, die Finger von neuen Waffen zu lassen, aber wohl noch bessere Gründe, zu rüsten, um die Gegenseite nicht eine Sekunde im Unklaren zu lassen, dass man es ernst meine. Ich habe im zeitlichen und geopolitischen Zusammenhang der Jahre damals bis heute nicht begriffen, warum der Einmarsch in Afghanistan und die teilweise Besetzung des Landes durch die Rote Armee die Linke im Westen kaum zu Kritik herausforderte.

Die beschriebene Systemkonkurrenz gibt es nicht mehr. Weil es sie heute nicht mehr gibt, ist es völlig daneben, die Situation in und um die Ukraine heute mit der während der Kubakrise 1962 zu vergleichen. Der Vergleich wurde von Sarah Wagenknecht in der Debatte platziert.

Das teuflisch Systemische von früher ist weg, das Sowjet-Imperium mit weltumspannenden politischen und militärischen Interessen hat sich aufgelöst. Oder doch nicht? Von Leuten wie von Dohnanyi und Wagenknecht sowie anderen wird die Auffassung vertreten, dass Russland so behandelt werden müsse, als sei es noch das alte angeblich rote Imperium. Daher habe Russland auch zu entscheiden, was im Vor- und im Hinterhof Russlands erlaubt sei. Was könnte Brandt dazu meinen?

Brandt hat sich in den Jahren nach seinem Rücktritt vor allem um die soziale und ökonomische Verbesserung in Ländern des heute so genannten „globalen Südens“ gekümmert. Die Ergebnisse dieser Arbeit und seine Empfehlungen sind leider fast völlig vergessen. Sie tauchen heute am ehesten noch in einem Papier der erwähnten Grundwerte-Kommission mit dem Titel „Was heißt und was folgt aus der Zeitenwende“ auf. Die Kommission erinnert in diesem Papier auch an Brandts Worte gegen Ende dessen Lebenswegs: „Es bleibt richtig, was Willy Brandt in seinem politischen Testament geschrieben hat: ‘Wer Unrecht lange geschehen lässt, bahnt dem nächsten den Weg.’“

Ob er heute als sehr, sehr alter Herr Herrn von Dohnanyi zu seinem Vertrauen in die Politik der Sahra Wagenknecht gratulieren würde …? Ich glaube das nicht. Vielleicht hätte er Gerhardts Buch und nachdenklich seine eigenen Worte gelesen.

Über Klaus Vater / Gastautor:

Klaus Vater, geboren 1946 in Mechernich, Abitur in Euskirchen, Studium der Politikwissenschaft, arbeitete zunächst als Nachrichtenredakteur und war von 1990 bis 1999 Referent der SPD-Bundestagsfraktion. Später wurde er stellvertretender Sprecher der deutschen Bundesregierung. Vater war zuvor Pressesprecher des Bundesministeriums für Gesundheit unter Ulla Schmidt, Sprecher von Arbeitsminister Walter Riester, Agentur-, Tageszeitungs- und Vorwärts-Redakteur. Mehr über den Autor auf seiner Webseite.

2 Kommentare

  1. Gerd Pütz

    Ein Glück, dass es in unserem Land noch genügend Schwadroneure gibt, die zur Verteidigung unserer westlichen Werte bereit sind.

  2. Helmut Lorscheid

    Ich habe als von Dohnanyi in Rheinland-Pfalz als SPD-Spitzenkandidat für den Ministerpräsidenten kandidierte ihn weiterhin als Staatsminister im AA in die Pflicht genommen, weil er erklärte, wenn er verliere, würde er im AA bleiben, also nicht als Oppositonsführer nach Mainz gehen. Wir haben ihn wegen der von ihm mit zu verantworteten Rüstungs- und Atomexporte nach Südafrika kritisiert und wegen des Atom- und Panzergeschäfte mit der argentinischen Militärdiktatur. .Das ich mal v. Dohnanyi zustimmen würde, hätte ich nie gedacht. Wie man so bescheuert sein kann, für weitere Atomwaffen in Deutschland zu votieren, weiß ich nicht. Bei Baerbook ist es einfach, sie vertritt keine deutsche, sondern fast ausschiesslich US-.amerikanische Interessen. Eigentlich können sich die USA ihren Botschafter sparen, sie haben doch die deutsche Außenministerin. Schließlich wurde sie ja auch von US-Institutionen gefördert. Sie zeigt sich dankbar gegenüber ihren Führungspersonen. Lieber einen sehr sehr sehr alten Politiker zustimmen, der was vernünftiges sagt als einer sehr, sehr, sehr dummen Außenpolitik folgen.l

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