Das Spionagegesetz bedroht die Pressefreiheit, nicht der Deal.

„Ich habe als Journalist gearbeitet und habe meine Quelle ermutigt, Informationen zu liefern die als geheim galten, um diese Informationen zu veröffentlichen. Ich glaube, dass das First Amendment diese Handlung schützt, aber ich akzeptiere, wie geschrieben, dass es eine Verletzung des Spionagegesetzes darstellt.“ Mit diesen Worten erklärte Julian Assange im US-Bundesgericht in Saipan sein erzwungenes Geständnis. Schuldig als Journalist, für Dinge, die alle investigativen Journalist*innen tun.

Nun ist er also verurteilt und gleichzeitig ein freier Mann. Dass dies so kam, ist ein  Sieg für Assanges Unterstützer, aber eine Schande für die Regierungen der Länder, die sonst die Meinungsfreiheit propagieren, und für die Journalisten und Herausgeber der großen Medien, die keinen Druck für die Einstellung der Anklage ausgeübt hatten. Ganz im Gegensatz zu dem Fall von Evan Gershkovicz, der sein Wall Street Journal, alle Kollegen und die US-Regierung hinter sich hatte.

Julians  Urteil scheint den Medien aber Angst zu machen. Das ist selbst verschuldet. Sie haben – außer einem offenen Brief an die US-Regierung vor zwei Jahren – für Assange keinen Finger gerührt. Das könnte sich rächen. Denn der Umgang der USA und Großbritanniens mit der Welt berühmtesten Herausgeber lädt andere Länder ein, es nachzumachen.

Nach fünf quälenden Jahren in Abschiebehaft in einer winzigen Zelle im Londoner  Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh hatte der WikiLeaksgründer einen sogenannten „Plea Deal“ mit dem US-Justizministerium unterzeichnet.

Die Haftbedingungen müssen so schlimm gewesen sein, dass Mitgefangene in Belmarsh, angeblich alles Schwerkriminelle, sich mehrfach nachweislich für bessere Haftbedingungen für Julian eingesetzt haben. Es hat einige Selbstmorde in den letzten Jahren in diesem Gefängnis gegeben, darunter ein Mann, mit dem Julian sich hatte anfreunden können, berichtet seine Frau Stella in einem Interview mit Tucker Carlson. 

Es war und bleibt eine politische Verfolgung, die seitens der USA – sowohl der Republikaner wie der Demokraten – mit äußerster Härte geführt wurde, um ein Exempel zu statuieren und Nachahmer abzuschrecken.

Nach einem kurzen „Schuldeingeständnis“ sollte Julian Assange im Gerichtssaal in Saipan in eigenen Worten seine „Tat“ beschreiben.

Hier ist meine Übersetzung des entsprechenden Teiles der Gerichtsverhandlung vom 26. Juni 2024 im Bezirksgericht Saipan.

„Richterin Manglona: „Bitte beschreiben Sie mir jetzt in Ihren eigenen Worten, was Sie getan haben, was das angeklagte Verbrechen betrifft.“

Julian Assange: „Ich habe als Journalist gearbeitet und habe meine Quelle ermutigt, Informationen zu liefern, die als geheim galten, um diese Informationen zu veröffentlichen. Ich glaube, dass das First Amendment diese Handlung schützt, aber ich akzeptiere, wie geschrieben, dass es eine Verletzung des Spionagegesetzes darstellt.“

Richterin: „Also hatten Sie einen bestimmten Glauben (eine bestimmte Annahme), aber Sie verstehen ebenso, was das Gesetz sagt?“

Julian Assange: „Ich glaube, dass das First Amendment und das Spionagegesetz in Widerspruch zueinander stehen, aber ich akzeptiere, dass es schwierig sein würde, einen solchen Fall zu gewinnen, unter den gegebenen Umständen,….“. 

Da ist er wieder, der alte Kampfgeist.

Verteidiger Barry Pollack greift ein: „Herr Assange ist der Ansicht, dass das in Frage stehende Verhalten durch das First Amendment geschützt sein sollte, aber er versteht, dass kein Gericht gesagt hat, dass es eine Verteidigung unter dem First Amendment gegen die Anwendung des Spionagegesetzes gibt. Er versteht, dass sein Verhalten das Spionagegesetz verletzt und bekennt sich auf dieser Grundlage schuldig.“

Richterin: „In Ordnung. Lassen Sie es mich von Herrn Assange selbst hören. Ist das tatsächlich Ihre Ansicht?“

Julian Assange : „Korrekt.“

Julians Anwalt  Barry Pollack hätte ihn an dieser Stelle wahrscheinlich gern kräftig in die Seite geboxt.

Den Verlauf der ganzen Gerichtsverhandlung kann man hier nachhören

(Audiodatei, Julians Einlassung und Befragung durch Richterin Manglona ab Minute 48:38  bis Minute 50:45) 

Fake News der Regierung: Die angeblichen Opfer durch die ungeschwärzten Veröffentlichungen von Wikileaks

„Es gab keine Opfer, hat die Regierung mir gesagt,“ erklärte Richterin  Manglona.  Damit ist zum zweiten Mal gerichtlich festgestellt, dass die Behauptungen der US-Regierung und vieler in Politik, Medien und Rechtswissenschaft, die die Anschuldigung ungeprüft glaubten und weiterverbreiteten, durch die Leaks seien Informanten und Mitarbeiter der US-Armee in Irak und Afghanistan zu Schaden gekommen, keine Grundlage haben. Die Armyeinheit, die aufklären sollte, ob es Opfer aufgrund der Leaks gegeben habe, fand keine Opfer. Diese Fake News werden allerdings nach wie vor immer wieder hervorgebracht, sowohl von Regierungsmitarbeitern wie von Journalisten und Strafrechtlern wie Kai Ambos. Ambos ereiferte sich noch vor kurzem in einer Talkshow bei Markus Lanz „die Taliban, die killen die“. Diese Verdächtigungen scheinen wie in Stein gemeisselt.

Es scheint, als sei dieser Fall nun hier bei mir zum Ende gekommen. Sie werden mit diesem Urteil aus diesem Gerichtssaal als freier Mann hinausgehen. Ich hoffe, dass wieder Frieden einkehren wird“, führte Manglona weiter aus. Sie nannte Assanges vierzehn Jahre dauernden Freiheitsentzug, zwei Jahre Hausarrest mit elektronischer Fußfessel und täglicher Meldepflicht, sieben Jahre in der Botschaft Ecuadors auf engstem Raum und fünf Jahre im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London eine „Tortur“, berichtet Stella Assange auf X.

„Da gibt es eine weitere bedeutsame Tatsache Die Regierung hat erklärt, dass es kein persönliches Opfer gibt. Das sagt mir, dass kein Fall bekannt geworden ist, dass die Verbreitung dieser Information zu körperlichen Schäden geführt hätte. Ich würde sagen, wenn das noch unbekannt gewesen wäre und zeitlich näher an dem Jahr  2012, wäre ich nicht so geneigt gewesen, diese „Plea Deal“-Vereinbarung zu akzeptieren. Aber jetzt haben wir 2024,“ so Manglona.

Damit deutet sie an, dass sie den „Plea Deal“ auch hätte ablehnen können.

„Das Timing ist wichtig. Wenn dieser Fall etwa um das Jahr 2012 vor mich gebracht worden wäre, ohne dass ich gewußt hätte, was ich jetzt weiß, nämlich dass Sie eine Zeitlang in einer der härtesten Strafanstalten in Großbritannien in Haft gewesen sind.“

Julian war am Montag, den 24. Juni aus Belmarsh gegen Kaution entlassen worden, um vor einem US-Gericht auf den Marianeninseln seine Einlassung gemaß der US-Strafprozessordnung abzulegen. Er hatte sich geweigert, vor dem für seinen Fall vorgesehenen Staatsschutzgericht in Virginia zu erscheinen, weil zu befürchten war, dass dieses Sondergericht, das ausschließlich Höchststrafen bei Anklagen wegen Spionage verhängt, sich nicht an die Vereinbarung mit dem Justizministerium gebunden fühlen würde.

Seltsam, dass das plötzlich alles möglich war. Die britische Regierung hatte doch immer behauptet, dass ihr die Hände gebunden seien, denn die Amerikaner wollten seine Auslieferung. Plötzlich ging es doch, ihn gegen Kaution und ohne Aufhebung des Arrestbefehls fliegen zu lassen.

Mit diesem Vorgehen legitimiert man für die Zukunft das zeitlich unbegrenzte Einsperren von Journalisten oder Hinweisgebern ohne Anklage.

Das Urteil: Kein juristischer Präzedenzfall wegen des Plea Deal

WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnson berichtete in einem Livechat, dass das Urteil keinen juristischen Präzedenzfall darstelle, da es durch einen „Plea Deal“,  eine außergerichtliche Vereinbarung, zustandegekommen sei. Aber die abschreckende Wirkung ist schon längst eingetreten durch die lange und quälende Verfolgung des WikiLeaksherausgebers. Das war wohl auch die Absicht der US-Regierung. Andere Länder können und werden sich daran ein Beispiel nehmen. Zudem mußte Assange auf sein Recht auf Berufung, und auch auf Zivilklagen verzichten. Ob das auch Klagemöglichkeiten gegen die heimliche Ausforschung und Überwachung durch die CIA in der Botschaft Ecuadors und die Mordpläne der CIA betrifft, entzieht sich meiner Kenntnis. Die CIA hatte, als Mike Pompeo CIA-Direktor war, die ecuadorianische Botschaft verwanzen lassen und Mordpläne gegen Assange durchgespielt, wie investigative Journalisten von Yahoo herausfanden (Zach Dorfman).

Das Problem ist nicht der Deal, sondern das Spionagegesetz, das in totalem Widerspruch zum ersten Verfassungszusatz der US-amerikanischen Bill of Rights steht.

Es gibt keine Meldepflichten, keine Überwachung (wer’s glaubt), keine beruflichen und sonstigen Einschränkungen, keine Weisungen, wo er sich aufhalten oder wo er arbeiten darf. Er darf keine Anfragen nach dem Freedom of Information Act  (FOIA) stellen. Und ohne Erlaubnis der US-Regierung darf er die USA nicht betreten. Letzteres wird er verschmerzen können. Ob das Betretungsverbot allerdings auch für Flugreisen durch den amerikanischen Luftraum gilt, weiß ich nicht.

Und er mußte WikiLeaks anweisen, alle Daten zu löschen, die sie bislang noch nicht veröffentlicht haben. Ob sich das nur auf die Dokumente aus den Jahren 2010 und 2011 bezieht oder auch z.B. auf die DNC-Leaks (die Clintonmails), ist mir nicht bekannt. 

In Deutschland unbekannt: LIVE-Ticker aus dem Gerichtssaal auf X von KUAM News

Etwa drei Stunden dauerte die  Gerichtsverhandlung. Die Richterin Manglona ist eine außergewöhnliche Person, sie ist die erste indigene Richterin in Saipan und die erste Frau in diesem Amt.

Die besten aktuellen Berichte direkt aus der Verhandlung,  minütliche Kurzinformationen, kamen dabei von dem regionalen Netzwerk KUAM TV. Der Chefkorrespondent Thomas Manglona, ein junger Mann, ergriff die Gelegenheit und berichtete nicht nur für fast alle internationalen Medien und Agenturen als Korrespondent vor Ort, sondern auch auf seinem X .Account im Minutentakt, was sich grade im Gerichtssaal tat. Ich genoss das, auch wenn es den Lesern schwerfallen mag, denn als Gerichtsreporterin weiß ich sehr zu schätzen, was er da tat. Das vermittelt Zuschauern/Zuhörern, die nicht dabei sein können, ein besseres Bild und Verständnis von dem Geschehen als die Aufsager der Kollegen vor Gerichtsgebäuden.  X macht’s möglich!  Leider gibt es das in Deutschland nicht.

Nach dem Urteil verließ Assange das Gericht Mittwoch Mittag als freier Mann.

Für den Transport war ein Jet der australischen Regierung gechartert worden, die Kosten, die Assange dafür aufbringen muss, belaufen sich auf 520.000 Dollar, die über crowdfunding aufgebracht werden. Der Flurfunk zwitscherte mir, dass ein gewisser Kim Dotcom schon Stunden nach dem Start der Crowdfundingkampagne etwa die Hälfte der Summe in Bitcoin gespendet haben soll. Kim Dotcom ist seit 2019 ein Unterstützer von WikiLeaks. Und ich wette, dass auch die weitere Internetcommunity kräftig mithelfen wird.

Die Nacht der Freiheit: Überraschung und Freudentränen

Als in der Nacht von Montag auf Dienstag, den 25. Juni  um 02:14 Uhr die ersten Nachrichten und Bewegtbilder aus London auf meinem Handy eintrafen: Julian Assange free for making a deal.

wusste ich nicht, ob ich lachen, weinen oder vor Wut schreien sollte.

Meine erste Reaktion war: jetzt haben sie ihn doch noch klein gekriegt. Ausgerechnet Julian, der  sich immer als Journalist und Verleger sieht!

Andererseits war ich froh, dass für ihn das Martyrium nun bald vorbei wäre. Aufgequollen sah sein Gesicht aus und er hatte deutlich Übergewicht. Folge von schlechtem Essen, Bewegungsmangel, sicher auch von Medikamenten. Er hatte in Haft einen leichten Schlaganfall erlitten. Und schwere Depressionen. Jedenfalls kein Zeichen für Gesundheit, sein Aussehen. Nils Melzer, der UN-Sonderbeauftragte für das Thema Folter(verbot) hatte Julian vor fünf Jahren, im Jahr 2019 in Belmarsh besucht und ihm damals schon klare Anzeichen psychischer Folter bescheinigt. Aber gebrochen sah er nicht aus, im Gegenteil.

Flug in die Freiheit   

Viele tausende Unterstützer:innen weltweit, darunter auch meine Familie und ich, Journalistenkolleg:innen, Prominente, Politiker:innen, Künstler:innen hatten lange für die Pressefreiheit und die Niederschlagung der Anklagen gegen den WikiLeaksgründer gekämpft. Großer Unglauben, Zweifel, Staunen schlug um in Erleichterung und Freude in der Bewegung:

„Wie kommt das denn? Ist das wahr?  Endlich! Er kommt raus!?“  schwirrte es durch den Cyberraum. Herzen flogen, jede Menge hochgereckte Daumen.  Kußmünder zwitscherten Jubel, (Stoß)Gebete, Glück- und Segenswünsche und Zuspruch in allen möglichen Sprachen. Bei Tweets aus den USA und Kanada war viel von der guten Hand Gottes und von Dankgebeten die Rede. Der Jubel hielt auch Tage später noch an. Natürlich sind auch weiterhin die Gegner von WikiLeaks aktiv und gießen Hohn und Spott über ihn aus. Mike Pompeo sinnt auf Rache und besteht darauf, dass WikiLeaks und Julian Assange weiterhin vor Gericht gehörten.

Zweifel an der Glaubwürdigkeit der USA blieben in dieser Nacht. Mit Argusaugen – 50.000 Klicks in wenigen Stunden  – wurde Assanges Flugroute von London nach Saipan im Internet überwacht, damit die kleinste Abweichung schnell entdeckt würde. Ist es vielleicht doch nur eine Finte? Schnappen sie ihn in Bangkok?

WikiLeaks schreibt 

Das ist das Ergebnis einer weltweiten Kampagne von Graswurzelorganisationen, Pressefreiheitskampagnen, Parlamentariern und Führern aus dem gesamten politischen Spektrum bis hin zu den Vereinten Nationen. Dies schuf den ‚Raum für eine lange Zeit der Verhandlungen mit dem US-Justizministerium… .“

Der „Plea Deal“ oder „wenn’s der Wahrheitsfindung dient“ (frei nach Fritz Teufel)

In den USA ist der „Plea Deal“ seit langem eine Methode, die Strafverfahren mit jahrelangen Beweisaufnahmen und endlosen Verhandlungstagen abkürzen und das Justizsystem entlasten soll. Es ist eine Vereinbarung zwischen Gericht, Anklage und Verteidigung/Angeklagten, dass der Angeklagte alle Anklagepunkte oder einen Teil davon möglichst bald einräumt und daraufhin das Strafmaß spürbar gesenkt wird. Die Parteien schließen eine Vereinbarung, das Gericht muß zustimmen, damit die Vereinbarung gültig wird, es kann aber auch seine Zustimmung verweigern.

Diese Methode war Vorbild für die “Verständigung im Strafverfahren“ im deutschen Strafprozessrecht. In Deutschland wird oft zusätzlich „tätige Reue“ vom Angeklagten erwartet, d.h. Hilfe bei der Aufklärung der restlichen Anklagepunkte bzw. Beschuldigten, des Tatumfelds und eventueller Tathelfer.

Für Angeklagte soll der Deal den Vorteil eines kürzeren Verfahrens haben, da sie nicht so lange in U-Haft sitzen müssen mit den damit verbundenen Unannehmlichkeiten und eine mildere Strafe erhalten. Viele ziehen ein Teilgeständnis vor, das nur ihr eigenes Handeln betrifft.

Grundsätzliche Kritik am Plea Deal: Aussageerpressung oder freier Wille?

Es gibt allerdings einen deutschen Strafrechtler, der explizit den Deal als Aussageerpressung vergleichbar mit Folter bezeichnet und daher ablehnt, weil er nur wenig belastbar sei, und dem Tatbestand der Nötigung gleichkomme, nachzulesen in der Zeitschrift für internationales Strafrecht Kotsoglou_gesetzt_endg (zis-online.com) 

In diese Richtung gehende Kommentare sind auch im Netz zu finden: „they tortured him into a deal“, schrieb ein X-User.

Warum der Deal jetzt?

Überraschend kam der Deal für mich nicht. Jahrelang hatten Julians Anwälte versucht, mit dem US-Justizministerium Verhandlungen aufzunehnmen. Keine Reaktion. 

Dann wurden auf Druck der australischen Labour/Grünen-Regierung Verhandlungen über einen Deal aufgenommen, die aber monatelang stillstanden. Der Sydney Morning Herald und andere australische Blätter berichteten seit Mai 2023 über wachsende Bemühungen der Regierung Albanese zur Freilassung von Julian. Ich hatte nur nicht mehr daran geglaubt, dass er noch zustande kommen werde. Schließlich hatte ich seit Weihnachten letzten Jahres nichts mehr davon gelesen und gehört.

Ab April 2024 hatten es die Amerikaner plötzlich eilig. 

Es war höchste Zeit. Für den  9. und 10. Juli war nämlich die letzte Berufungsverhandlung in England gegen den bereits vor Jahren unterschriebenen, in der Schublade liegenden Auslieferungsbeschluss des britischen Innenministeriums anberaumt. Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand, aber mit einem Plea Deal lässt sich der Ausgang eines Verfahrens besser beeinflussen.

US-Supreme Court-Urteil 2022: Pressefreiheit in USA gilt nicht für Ausländer

Die britischen Richter hatten bei der Berufungsanhörung im Februar diesen Jahres sehr intensiv auf „diplomatischen Garantien“ beharrt, welche die US-Vertreter nicht liefern konnten: Das US-Justizministerium konnte nicht garantieren, dass Julian keine Todesstrafe drohe und dass ihm der Schutz des Ersten Zusatzartikels der amerikanischen Verfassung gewährt werde, als wäre er amerikanischer Staatsbürger, also der Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit  (First Amendment). Die Vertreter des US-Justizministeriums konnten nur erklären, Assange habe die Möglichkeit, zu versuchen, vor dem geheimen Staatsschutzgericht in Virginia den Schutz des First Amendment zu erhalten. Das taten sie in dem Wissen, dass der Oberste Gerichtshof der USA, der Supreme Court grade vor zwei Jahren entschieden hatte, dass das First Amendment für Nicht-US-Bürger und für deren Taten im Ausland nicht gilt.

Daher entschied der britische High Court im Mai, dass Julian noch einmal gegen den Auslieferungsbeschluss des Innenministeriums klagen könne. Er durfte sich dabei nur auf die Nicht-Garantie der Verhinderung der Todesstrafe und die Nicht-Garantie des Schutzes durch das First Amendment berufen. Ohne diese Garantien durfte das Gericht nicht für die Auslieferung entscheiden.

Den Demokraten wurde die Sache zu wacklig, die britischen Anwälte werfen das Handtuch

Die Freiheit-für-Assange-Bewegung war verunsichert, wie man die Zeichen des Londoner High Courts deuten sollte, ich ebenfalls, und nicht nur wir.

Es war wohl auch für die Amerikaner nicht mehr absehbar, ob der für den 9./10. Juli angesetzte Anhörungstermin zu ihren Gunsten ausgehen würde. Waren sie Im vergangenen Jahr noch äußerst zuversichtlich gewesen, wie mir versichert wurde, dass Assange in einem Jahr im Flugzeug nach USA sitzen würde, so mußten sie plötzlich ernsthaft die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass Assange diesen letzten Prozess gewinnen und bald als freier Mann in London herumlaufen könnte. Mit Zweifeln der britischen Richter hatten sie nicht gerechnet. Das ist allerdings seltsam, denn diplomatische Garantien sind ein Standardverfahren im Auslieferungsverkehr, und auch den US-Juristen wird der Spruch des Supreme Court bekannt gewesen sein. Es muß ihnen also seit zwei Jahren klar gewesen sein, dass sie keine derartigen Garantien liefern konnten. Man hat Assange also so lange weichgekocht, bis er einem Plea Deal zustimmen mußte. 

Zudem haben die britischen Vertreter der US-Ankläger nach der Entscheidung des High Court im Mai ihr Mandat niedergelegt. Sie warfen das Handtuch.

Ausgerechnet die Regierung Biden hatte Julian Assange vier Jahre lang unter Druck gesetzt, anstatt die Anklage fallenzulassen oder zumindest wieder zu reduzieren. weil die zur Zeit in Washington regierenden Demokraten im Grunde ihres Herzens Falken sind. Sie stehen sich gut mit der mächtigen Geheimdienstcommunity und dem Militär. Zudem hatte Joe Biden gesagt, er wolle sich nicht in Angelegenheiten der Justiz einmischen, im Gegensatz zu seinem Vorgänger Donald Trump.

Aber mitten im Wahlkampf mit Handschellen vor einem Sondergericht wollte niemand in Washington den WikiLeaksgründer haben. Das hätte denn doch zu viel Dreck aufgewirbelt.

Vom FBI- zum CIA-Fall

Zur Zeit der Regierung  Obama –  Joe Biden war Vizepräsident – war in Virginia eine geheime Grand Jury zusammengestellt worden und eine geheime Anklage – wegen Computerkriminalität – vorbereitet worden. Die  Obama-Regierung hat zudem die Anwendung des Espionage Acts auf  Whistleblower, aber auch Kriegsdienstverweigerer erheblich erweitert, wie die Berliner Zeitung berichtet. Auch Der Spiegel berichtete  darüber.

Damals war das FBI federführend in den Ermittlungen gegen WikiLeaks. Der militärische Geheimdienst der Army hatte schon im Jahr 2009 zwischen Weihnachten und Neujahr  in Europa verdeckt hinter WikiLeaks und Assange her geschnüffelt, unter anderem Laptops vom schwedischen oder deutschen Zoll beschlagnahmen lassen und Assange in Deutschland beobachtet. Das FBI hatte 2011 mit einer verdeckten Operation versucht, Wikileaks und Julian Assanges in Island habhaft zu werden. Das berichtete der ehemalige isländische Innenminister Ögmundur Jonasson der Zeitschrift Katoikos. Jonasson hatte daraufhin die FBI-Leute des Landes verwiesen. Von deutscher Seite (Regierung Merkel) wurde offenbar kooperiert, jedenfalls ist eine Verweigerung nicht bekannt.

Chelsea Manning, die Soldatin, die WikiLeaks die Iraq war logs, die Afghanistan war logs und die Botschaftsdepeschen überspielt hatte, war zu 35 Jahren Haft verurteilt worden. Sie wurde erst freigelassen, als Barack Obama am Ende seiner zweiten Amtszeit eine „lame duck“ (lahme Ente) war,  d.h. es kaum noch etwas zu entscheiden gab. Das ist die Zeit für milde Taten und Gnadenerweise.

Wesentlich verschärft hatte dann die Regierung Trump die Verfolgung von Julian Assange  und WikiLeaks

Mike Pompeo, Donald Trumps CIA-Chef, stufte WikiLeaks 2016 als „feindlichen nichtstaatlichen Geheimdienst“ ein. Dieser Ausspruch, der hierzulande eher als eine etwas erratische und übertriebene  Meinungsäußerung aufgefaßt wurde, war ein juristischer Kunstgriff. Das war die offizielle Erklärung, durch die der CIA-Chef  der Bundespolizeibehörde FBI die Ermittlungsführung in dem Fall entziehen und in die Zuständigkeit des Geheimdienstes CIA verlagern wollte. WikiLeaks wurde in der Folge zu einem Zielobjekt für verdeckte CIA-Operationen wie auch für juristische Verfolgung unter dem Espionage Act.

Die Regierung Trump veröffentlichte 2019 erstmals die Anklageschrift der Administration Obama, die nur einige wenige Anklagepunkte, hauptsächlich Computerhacking, umfasste. Diese Anklage wäre mit einigen Jahren Gefängnis strafbewehrt gewesen. Kurz darauf wurde die zweite, unter Trump erweiterte Anklage veröffentlicht, die 17 Anklagepunkte nach dem Spionagegesetz enthielt. Jetzt standen bis zu 175 Jahren Haft im Raum.

Das „New York Times Problem“

An Journalisten und Herausgeber hatten sich die Demokraten im Weißen Haus noch nicht herangewagt, dazu hatten sie zu viel Respekt vor den mächtigen Medien, die ihnen zudem oft gewogen sind. Das letzte Mal, dass eine US-Regierung unter Präsident Richard Nixon  gegen die New York Times und die Washington Post wegen „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ gerichtlich zu Felde zog und sich nach anfänglichen juristischen Erfolgen schließlich vor dem Supreme Court eine klatschende Abfuhr geholt hatte, war im Jahr 1971, der Fall der Pentagon Papers 

Das Oberste Gericht hatte in seinem Urteil das Recht der Amerikaner auf Information, auf Aufklärung der Lügen, mit denen ihre Söhne im Krieg in Vietnam verheizt wurden, als wichtiger eingestuft als die nationale Sicherheit.

Das war der Grund, warum die Administration Obama mit der Anklageerhebung zögerte. Die Anklagen bezogen sich auf die Veröffentlichungen von WikiLeaks aus den Jahren 2010 und 2011, also die Iraq War Logs, die Afghanistan War Logs und die Botschaftsdepeschen. An diesen Dokumenten hatten große renommierte Zeitungen mitgearbeitet, die New York Times, der Guardian, der Spiegel etc.,  die hätte man also auch anklagen müssen. 

„In November we’ll remember“

Sicher  hatten die Demokraten auch noch das Versprechen der aufgebrachten Propalästina- Demonstranten im Ohr, wegen der Unterstützung Israels und der Lieferung von Waffen, mit denen die israelische Armee in Gaza zehntausende Menschen umbringt, der Regierung gedroht hatten, im November nicht Joe Biden, den sie „GenocideJoe“ nennen, zu wählen. Das Ausmaß dieses angekündigten Stimmentzuges steht noch in den Sternen, aber allein die Ankündigung ist ganz sicher ein Unsicherheitsfaktor für die Regierung. Das klassische Wählerklientel der Demokraten schwindet, man will die Jugend, die Afroamerikaner und Latinos zurückgewinnen, und die Aufgabe der Causa Assange tat am wenigsten weh. Ein Clash mit Israel, etwa ein Stopp der Waffenlieferungen, hätte viel gravierendere Folgen für die Demokratische Partei.

Die Steilvorlage für andere Länder:  Spionagevorwürfe gegen Journalisten

Es ist gut möglich, dass in Washington D.C. etwas in Bewegung geriet, als Evan Gershkovich, der Wall Street Journal Reporter in Russland, dort unter dem Vorwurf der Spionage verhaftet wurde. Die USA bemühten sich intensiv um seine Freilassung und sahen sich immer mit der Frage  „Was macht Ihr denn mit Assange?“.konfrontiert. In Australien schlug die Verhaftung einer Journalistin chinesischer Abstammung in China hohe Wellen.

Es gibt schon längst weitere Journalisten, die unter Spionagevorwürfen in Gefängnissen sitzen, einer von ihnen war sogar zweieinhalb Jahre incommunicado in Polen verhaftet, auch unter dem Vorwurf der Spionage.

Australien machte plötzlich Druck

Schon im August 2023 hatte die damals neue Botschafterin der USA in Australien, Caroline Bouvier Kennedy, in einem Interview mit dem Sydney Morning Herald, einer der größten Tageszeitungen des Landes, über die Gestaltung der künftigen engen Partnerschaft der USA mit Australien im Rahmen des AUKUS-Pakts und dabei auch über Assange gesprochen. Sie hatte als „Vorschlag“ oder „Überlegung“ in den Raum gestellt, dass ein Plea Deal eine Lösung sein könnte. Diese Äußerung war eine Reaktion auf die Advocacy prominenter Assangeunterstützer aus dem australischen Parlament, die sie gebeten hatten, in Washington D.C. dafür einzutreten, die Anklage gegen den australischen Staatsbürger fallenzulassen. Es sei sogar gedroht worden, dass der Fall die guten Beziehungen zwischen Australien und den USA beeinträchtigen könnte, schrieb der Sidney Morning Herald

Dass Kennedy im Sydney Morning Herald einen Deal vorschlug, war für mich ein Signal, dass den Demokraten am Potomac River die Sache schon im Sommer 2023 allmählich unangenehm wurde, sie jetzt endlich einen Plan B brauchten. Aber an dem Vorwurf nach dem Spionagegesetz hielt man fest. 

Im Rahmen des Ausbaus der militärischen Beziehungen zu den USA wurde die australische Regierung sehr aktiv in der Causa Julian. „Er soll nach Hause kommen, lasst die Anklage fallen,“ hieß es erst. Bei jeder Gelegenheit wurde das Thema angesprochen, zuerst auf dem NATO-Gipfel 2022.

Zunächst war ich skeptisch, ob die einzige Tochter von John F. Kennedy und seiner Frau Jackie, die Nichte von Robert Kennedy, der immer ein aktiver Unterstützer von Julian Assange war und jetzt Julians Freilassung feiert, eventuell nur einen Clan oder Flügel der Demokraten repräsentierte, der vor Beginn des US-Wahlkampfes ausloten wollte, wie man die Causa Assange möglichst rasch gesichtswahrend lösen könnte. Oder war dieser Vorschlag tatsächlich vom Weißen Haus oder dem Justizministerium abgesegnet?  Schade, dass die Depeschen und eMailkorrespondenz zu diesem Thema wohl auf lange Zeit im National Archive verschwinden werden. 

Assange lehnte erst ab, denn er ist Journalist.  Er weigerte sich, in die USA zu fliegen, da er befürchtete, dass die Richterin Gnadenlos in Virginia den „Deal“ nicht anerkennen würde. Dieses Bundesgericht urteilte bisher alle Staatsschutzverfahren mit sehr hohen Haftstrafen ab, und die Gerichte sind nicht an Abmachungen der Regierung gebunden. Die Geschworenen dieses Gerichts sind zum größten Teil Mitarbeiter des militärisch-industriellen-geheimdienstlichen Komplexes, von dem diese Region lebt. Entsprechend fallen die Urteile aus. Außerdem hätte die Gefahr bestanden, dass Julian zeitlebens in einem sogenannten „Supermax“-Gefängnis incommunicado hätte verschwinden können. Das ist lebenslange Einzelhaft in einem Gefängnis der höchsten Sicherheitsstufe, ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt und zu Mitgefangenen. Das ist Folter und viele Menschenrechtsorganisationen kämpfen für die Abschaffung dieser Gefängniskategorie.

Aber man nahm Sondierungsgespräche auf und  verhandelte schließlich – natürlich – hinter verschlossenen Türen. Heraus kam dieses Ergebnis: ein Flecken US-Territorium mit einem ganz normalen Bundesgericht, und zudem nahe an Julians alter Heimat Australien.

Wie sich der Wind in Australien drehte:  Die Rolle der Anwälte

Die australische Regierung unter Premier Albanese hat seit zwei Jahren eine grundlegende Wendung im Hinblick auf Assange gegenüber den konservativ-reaktionären Vorgängerregierungen vollzogen. Auch in Down Under war Julian lange Zeit nicht beliebt, unter anderem wegen der schwedischen Sexualstraftatvorwürfe und der darauf fußenden internationalen Schmierenkampagne. Aber beharrliche Advocacy mit führenden Politikern durch Assanges australische Anwälte wie Jennifer Robinson und Greg Barnes, Werbung um Unterstützung in der Bevölkerung durch die Familie und AktivistInnen bewirkte allmählich einen Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung und das schier endlos scheinende juristische Tauziehen wurde zunehmend als überzogen und ungerecht empfunden.

Hatte die Regierung Morrison sich um ihren australischen Staatsbürger in Nöten nicht gekümmert, wie es sich eigentlich gehört, so änderte sich das bei dem sozialdemokratischen Premierminister Anthony Albanese . Dieser habe sich schon seit 2008 mit WikiLeaks befaßt, berichtet Anwältin Jennifer Robinson der Nachrichtenagentur ABC News Australia, und als Oppositionsführer verlangt, dass die USA die Anklage fallenlassen sollten. Der australische Botschafter in den USA, Kevin Rudd, ex-Außenminister,  besuchte Julian in Belmarsh, Rudd und der australische Vertreter in London Steven Smith begleiteten ihn auf dem Flug  in die Freiheit.

Von „Drop the charges, set him free!“ zu „let him come home, enough is enough“

Als Regierungschef legte Albanese nach, die Formel hieß jetzt nicht  mehr „Laßt die Anklage fallen!“ sondern stark abgemildert „der australische Staatsbürger soll endlich heimkehren. Es reicht jetzt. Genug ist genug.“ Auf dieses unpolitische rein humanitäre Argument konnte sich auch die konservative Opposition im Parlament in Canberra einlassen. Es gibt Abweichler, aber die Mehrheit der Parlamentarier versammelte sich hinter Albanese. Das Parlament verabschiedete im Herbst letzten Jahres eine entsprechende Resolution mit Dreiviertel-Mehrheit.

Zwar hat Hardliner US-Außenminister Anthony Blinken noch versucht, Canberra eine Abfuhr zu erteilen mit der knallharten Antwort, dass die australischen Freunde auch die Sicherheitsinteressen der USA verstehen müssten. Assange solle eine lange Strafe verbüßen. Aber er konnte sich im Kabinett Biden damit offenbar nicht mehr durchsetzen.

Bemerkenswert ist, dass zur gleichen Zeit, als die Regierung sich beharrlich für Julian Assange einsetzte, der australische Whistleblower, der Mediziner David McBride, der Kriegsverbrechen australischer Soldaten in Afghanistan aufgedeckt hatte, zu einer langjährigen Haftstrafe wegen Geheimnisverrats verurteilt wurde. Deshalb vermuten etliche, das die Regierung Albanese nicht nur humanitäre Gründe für ihren Einsatz für Assanges Freilassung hatte.

Telepolis vermutet, dass hinter der Entscheidung der Regierung Albanese mehr steckt, nämlich Geopolitik.

Hoch umstritten.  Die neue Verteidigungspolitik. Der AUKUS-Pakt, Gegen China

Australien soll eine neue, atomgetriebene U-Bootflotte von den USA aufbauen. Als ersten Schritt wollen Großbritannien und die USA ab 2027 U-Boote dort stationieren, um australische Techniker und U-Bootfahrer auszubilden. Dies soll im Rahmen der Eindämmung der VR China geschehen, obwohl alle drei Regierungen behaupten, der pakt richte sich nicht gegen ein spezifisches Land. . In Australien ist der Vertrag umstritten, die Grünen lehnen ihn ab, Labour argumentiert mit 20.000 zusätzlichen qualifizierten Arbeitsplätzen. 

Der Deal ist nicht das Problem. Das Spionagegesetz ist das Problem.

So erfreulich die wiedergewonnene Freiheit für Julian Assange ist, so traurig ist es weiterhin um die Gefahr für die Pressefreiheit. Viele Journalistenverbände sehen in dem erzwungenen Schuldeingeständnis eine Gefahr für ihre Kollegen, auch wenn das Urteil gegen Assange nach amerikanischem Recht  kein juristischer Präzedenzfall sein soll, da es durch außergerichtliche Vereinbarungen und nicht durch ein förmliches Gerichtsverfahren zustande kam, wie die American Civil Liberties Union  erklärt. 

So schrieb etwa die linksliberale Zeitschrift Mother Jones in weiser Voraussicht schon 2021, die juristische Verfolgung des WikiLeaksgründers gefährde den amerikanischen Journalismus. Denounce Julian Assange. Don’t Extradite Him. – Mother Jones   Sie wirft WikiLeaks vor,  als russische Einflußagenten gehandelt zu haben. Durch die  Clintonmails habe Donald Trump die Möglichkeit erhalten, dem amerikanischen Volk schwer zu schaden: Verhinderung einer angemessenen Coronapolitik, Verhinderung fortschrittlicher Gesetzesvorhaben, Besetzung des Supreme Court mit erzreaktionären Juristen, der Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021 etc.  Aber die Anklage beziehe  sich ja ausschlie0lich auf die Leaks aus den Jahren 2010 und 2011, die Iraq war logs, Afghanistan war logs und die Botschaftsdepeschen. Das sei jedoch genau das, was jeder gute Journalist tue, (geheime) Informationen empfangen, aufbereiten und veröffentlichen. Die Bedrohung von WikiLeaks mit dem Spionagegesetz bedrohe alle investigativen Journalisten.

Journalistenverbände und Kollegen sehen das ganz genau so. 

Die Freedom of the Press Foundation schreibt: 

„Die gute Nachricht ist, dass das Justizministerium dieser erschütternden Geschichte  nun ein Ende macht. Aber es alarmierend, dass die Biden-Administration sich bemüßigt fühlte ( felt the need) ein Schuldeingeständis hervorzubringen für das angebliche Verbrechen des Erhaltens und Veröffentlichens von Regierungsgeheimnissen. Das ist das, was investigative Journalisten jeden Tag tun. 

Der Plea Deal wird keinen Vorbildeffekt  wie ein ordentliches Gerichtsurteil haben, aber er wird noch jahrelang über den Köpfen von Journalisten schweben, die sich mit Nationaler Sicherheit befassen. Der Deal fügt keine weitere Haftzeiten oder Strafen für Assange hinzu, er ist rein symbolisch. Die Administration hätte ganz einfach die Anklage fallenlassen können, aber sie hat sich entschieden, journalistisches Vorgehen weiter zu kriminalisieren und zukünftige Administrationen zu ermutigen, ihr darin nachzufolgen.  Und sie hat diese Entscheidung in dem klaren Bewußtsein getroffen, dass Donald Trump nichts lieber täte, als einen Weg zu finden, wir er Journalisten ins Gefängnis bringen kann.“ (Hevorhebung durch AH). 

Amnesty Internationals Generalsekretärin  Agnes Gallamard:

“Amnesty International embraces the positive news that Julian Assange has finally been released from UK state custody after five years of imprisonment, and that this ordeal is coming to an end for him and his family.

We firmly believe that Julian Assange should never have been imprisoned in the first place and have continuously called for charges to be dropped.

The years-long global spectacle of the US authorities hell-bent on violating press freedom and freedom of expression by making an example of Assange for exposing alleged war crimes committed by the USA has undoubtedly done historic damage.

Reporter ohne Grenzen sieht es positiv für die Pressefreiheit

„Dies ist ein historischer Sieg für die Pressefreiheit. In einer Zeit, in der kritische Berichterstattung weltweit immer stärker unter Beschuss steht, ist diese Entscheidung nicht nur für Julian Assange und seine Angehörigen wichtig. Sie ist ein Sieg für den investigativen Journalismus weltweit. Reporter ohne Grenzen hat jahrelang unermüdlich für seine Freilassung gearbeitet und in vielen Kampagnen, hunderten Interviews und unzähligen Hintergrundgesprächen Aufmerksamkeit für seinen Fall erzeugt”, sagt Anja Osterhaus, Geschäftsführerin von Reporter ohne Grenzen (RSF). 

Am klarsten formuliert diesen Zwiespalt die Humanistische Union

„Auch wenn es als Erfolg für die Pressefreiheit zu feiern ist, dass die meisten Anklagepunkte fallen gelassen werden, besteht dennoch die Möglichkeit, dass mit diesem Deal und dem Schuldeingeständnis ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen wird, der die Freiheit der Presse künftig beschädigen könnte. Die Vereinbarung könnte zukünftige journalistische Aktivitäten untergraben, indem sie potenzielle strafrechtliche Verfolgungen für die Journalistinnen und Journalisten einführt, die geheime Informationen veröffentlichen oder Kriegsverbrechen sichtbar machen und somit für das demokratische Transparenzgebot kämpfen.

Trotz dieser Bedenken wird die Freilassung von Assange selbstverständlich als eine dringend notwendige und längst überfällige Maßnahme gegen eine ungerechtfertigte Verfolgung betrachtet. Die langjährige Inhaftierung von Assange sehen wir als unverhältnismäßig und als einen erheblichen Schaden für die Pressefreiheit. Zudem stellt der bisherige Umgang mit Assange einen wesentlich größeren Schaden für die journalistische Freiheit als der nun vereinbarte Deal mit der US-Justiz dar.“

Weiterhin Diffamierungen gegen Assange

Dennoch können manche es nicht lassen, Assange die Berufsbezeichnung „Journalist“ weiterhin abzusprechen und bezeichnen ihn weiter als Aktivisten. Damit sprechen  sie ihm auch wissentlich und absichtlich den Schutzstatus des Journalisten ab und beteiligen sich weiterhin an der Kampagne gegen ihn. So z.B. der Deutschlandfunk in einem Schnellschuss, der noch am Tag der Entlassung  aus dem Gefängnis Belmarsh  gesendet wurde und das schlussendliche Urteil nicht mal abgewartet hat. Er wärmt die alten Vorwürfe wieder auf, und unterschlägt dabei – wissentlich oder nicht ? –  dass es nicht WikiLeaks war, die zuerst die ungeschwärzten Dokumente ins Netz stellte, sondern die Webseite „Cryptome“ und zwei britische Guardianjournalisten, und dass WikiLeaks sogar das Pentagon gewarnt hatte, als es die Panne bemerkte, aber von den Amerikanern kalt abgewiesen wurde. Der DLF  ist der Meinung, dass unter diesen Umständen die US-.Anklage gerechtfertigt gewesen sei, nicht ahnend, dass Mike Pompeo zu dem Kunstgriff gegriffen hatte, WikiLeaks deshalb als nichtstaatlichen Geheimdienst einzuordnen, weil so eine Anklage nach dem Spionagegesetz erst möglich war.

Richtig wütend ist Yanis Varoufakis, 

Linkssozialist und ehemaliger griechischer Finanzminister sowie Gründer der Partei DIEM25, ein Freund der Familie Assange. Wütend auf Anthony Albanese und die US-Demokraten. Er wirft Albanese vor, es zugelassen zu haben, dass Julian Assange jetzt das Stigma eines Straftäters aufgedrückt worden sei. Albanese hätte ohne weiteres auf der Forderung nach Einstellung der juristischen Verfolgung und Fallenlassen der Anklage bestehen sollen. Aber er habe ja ein riesiges Rüstungsgeschäft mit den USA ausgehandelt und sich zudem dem Five Eyes Pakt angeschlossen. 

Rechte freuen sich auch über Assanges Freiheit und blasen zum Angriff auf Pompeo und Pence

Der ehemalige Fox News Moderator Tucker Carlson, der auf X eine sehr große Reichweite hat, und immer wieder  das Thema Assange in einer positiven Art aufgebracht hatte, freut sich über Julians Freilassung. Er hatte Assange noch im Frühjahr diesen Jahres in Belmarsh besucht.

Es gibt sogar Republikaner, die Julians Freiheit feiern. Das Internetmagazin Dailydot berichtet, dass auf Donald Trumps Plattform Truth Social Stimmung gemacht werde gegen Mike Pence und Mike Pompeo. Pompeo war in der Administration Trump CIA-Direktor und Minister. In diesen beiden sähen etliche User auf Truth Social die treibenden Kräfte hinter der Hetzjagd auf WikiLeaks und Julian Assange. Sie fordern, dass diese beiden vor Gericht gestellt werden.

Über Annette Hauschild / Gastautorin: