Meine Fussballkneipe vor der Haustür schenkt keine 0,1-Portionen Wein aus – auch nicht in der Verlängerung. Das ist optimierbar. Mit seiner Bemerkung, Frauenfussball sehe gelegentlich “wie Zeitlupe” aus, konnte der Thekenkollege bei uns, Michael Kleff und mir, auch nicht landen. Wir konnten mit der intimen Kenntnis unserer privaten Archive aufwarten: wer sich Männerfussball der 70er bis 90er Jahre anschaut, gewinnt den gleichen Eindruck. Bei den Frauen fallen weniger Tore aus 30 Metern Distanz – dafür müssen sie “mehr spielen” (alte Trainerweisheit, Horst Hrubesch wird sie kennen), wie beim Tennis. Das sieht bei den Frauen auch interessanter aus.

Noch entscheidender für die Qualität des Spiels: Frauen wälzen sich nach Fouls nicht minutenlang wehklagend im Gras; bisweilen fallen sie noch nicht einmal hin, sondern spielen weiter.

So auch gestern, als die DFB-Frauen sich gegen die USA im Halbfinale bei Olümpia für ein 1:4 im Gruppenspiel der Vorrunde revanchieren wollten. Das misslang nur knapp in Lyon, der Fussballheimat der deutschen Fussballolympiasiegerin und fünfmaligen Champions-League-Siegerin Dzsenifer Marozsán.

Ich bin ein Fan von Merle Frohms, die überall eine gute Figur macht – aufm Platz, und auch daneben. Vielleicht war dieses daneben der Grund, warum Horst Hrubesch Ann-Katrin Berger im Tor vorzog. Dass sie im Elfmeterschiessen im Viertelfinale zur “Heldin” avancierte, das ist kein ganz unübliches Torhüterinnenglück. Gestern beim 0:1 hatte ich dann endlich ein Einsehen. Die Frau ist (ebenfalls) Weltklasse. Eine ihrer gestrigen 1:1-Situationen wird als Lehrvideo in die Torhüter*innen*ausbildung eingehen.

Der knappe Sieg der USA war verdient. Die Spielanlage war dominanter, die erspielten Torchancen zahlreicher (6:3). Ein 2 oder 3:0 war mehrmals (s.o.) möglich. Aber die DFB-Frauen waren kein Opfer und bis in die Schlussphase der Verlängerung – bei 30 Grad! – gefährlich. Die letzte Torszene vor dem Schlusspfiff wäre womöglich vom Videoreferee kassiert worden, zeigte aber ihrerseits die Klasse von US-Keeperin Alyssa Naeher. Bemerkenswert die vier brandgefährlichen dicht vors Tor gezogenen deutschen Eckbälle.

Bei der Gelegenheit: was macht eigentlich Hope Solo? Oje – sie führt offenbar kein leichtes Leben und es ist zu hoffen, dass sie Hilfe bekommt und annimmt. Berühmtwerden, -sein und -bleiben – ich kann gut darauf verzichten.

Es war eine spannende Freude, gestern diesem grossen Sport zuzusehen. Wie gut, dass ein Wechsel vom linearen TV, mit seiner ätzenden Konferenzschaltung zum Hockey (ausgerechnet !), zum Livestreaming möglich war.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net