Im sächsischen Pirna wurde erstmals in Deutschland der Oberbürgermeister über eine AfD-Liste ins Amt gewählt. Obwohl es der Region wirtschaftlich gut geht, verspüren viele Menschen eine Wut, die von den Rechten geschickt mit Push-Meldungen gefüttert wird. Das Misstrauen sitzt so tief, dass Gespräche verstummen, sobald man auf Politik zu sprechen kommt
Laut Umfragen ist Sächsisch der mit Abstand unbeliebteste Dialekt Deutschlands. Ich teile diese Abneigung nicht. Ganz im Gegenteil. Meine liebsten Verwandten sprechen breites Sächsisch und wenn ich das KFZ-Kennzeichen PIR sehe, wird mir warm ums Herz. Ich bin in Süddeutschland aufgewachsen, aber die jährlichen Familienbesuche in der DDR gehören zu meiner Kindheit und Jugend. Nach der Wende habe ich Pirna nur noch zweimal besucht.
Im Dezember 2023 machte der Ort, aus dem meine Mutter stammt, plötzlich Schlagzeilen: als erste Stadt Deutschlands, in der ein Kandidat der AfD zum Oberbürgermeister gewählt wurde. Weil sich die Gegenseite auf keinen gemeinsamen Kandidaten einigen konnte, gelang Tim Lochner der Einzug ins Rathaus. 38 Prozent stimmten für den Tischlermeister. Das reichte.
“Tut mir leid, aber ich kann die nächsten 7 Jahre nicht wirklich Pirnaer sein”, schrieb mein Cousin nach Lochners Wahl in seinen WhatsApp-Status. Als ich Toms Statement und das kotzende Smiley daneben sah, beschloss ich, wieder nach Pirna zu fahren.
Das Schmuckstück
“Hier seid ihr früher immer nach Pirna reingekommen”, sagt Tom und deutet auf eine Straße mit bunten Wohnhäusern. Schwer vorstellbar, dass diese schmale Fahrbahn wirklich die B172, die Einfallstraße aus Dresden, gewesen sein soll. Damals war sie von den gigantischen Industrieanlagen der VEB Kunstseide gesäumt. Kilometerlang fuhren wir an Hallen, Metallröhren und Schornsteinen vorbei. Heute ist fast nichts mehr übrig von dem Werk, in dem Toms Eltern, meine Tante und mein Onkel, gearbeitet hatten. Der einst größte Arbeitgeber der Region überlebte die Wende lediglich ein paar Jahre und wurde 1993 dicht gemacht. Nur das halb verfallene Gebäude der einstigen Poliklinik steht noch in einer Brache und wirkt gegenüber der McDonald’s Filiale ziemlich fehl am Platz.
Aber jetzt keine falschen Schlüsse ziehen, ermahne ich mich. Denn obwohl ein Großteil der Industriebetriebe aus DDR-Zeiten geschlossen wurden, steht Pirna heute wirtschaftlich gut da. Mit 5,6 Prozent liegt die Arbeitslosigkeit unter dem Bundesdurchschnitt, der Speckgürtel Dresdens verfügt über einen gesunden Mittelstand und der Tourismus in der Stadt mit ihren 40.000 Einwohnern floriert. Zu Recht. “Der Fluthilfen sei Dank”, sagt Tom, “ist unsere Stadt inzwischen ein Schmuckstück”. Ein Schmuckstück mit bunten Häuserfronten, die heute fast wieder so aussehen, wie sie vor 300 Jahren der italienische Maler Canaletto auf seinen berühmten Veduten festhielt.
“Kannst du dich noch daran erinnern, wie grau das hier früher war?”, fragt mich Tom. Allerdings kann ich das. Die bröckelnden Fassaden der Häuser. Die Altbauwohnung meiner Verwandten in der Breiten Straße. Das Außenklo, das uns Westkinder ziemlich irritierte. Der Geruch von Braunkohle und die Abgase der Zweitaktmotoren. Fest eingebrannt haben sich aber auch Dampferfahrten auf der Elbe und Ausflüge in die Sächsische Schweiz.
Tom, der in der DDR als Koch ausgebildet wurde und sich umorientieren musste, weil es nach der Wende “erstmal keine Lokale und Kneipen mehr gab”, ist heute Paketverteiler, Betriebsrat und Hausbesitzer. Ein paar Jahre lang war er Vorsitzender des ver.di-Ortsvereins in Pirna. Mit den “Blauen”, wie er die AfD nennt, hat er nichts am Hut. “Holzköppe”, findet er. Aber für einen Weltuntergang hält er ihre hohen Stimmanteile nun auch wieder nicht. Für meinen Cousin sind die Rechten schon lange Normalität. Sie gehören zum Stadtbild.
Die Zivilgesellschaft
Auf dem Weg zu meinem ersten Termin fährt mich Tom an einem dunkelroten Flachbau im Stadtteil Copitz vorbei. Das sogenannte “Haus Montag” ist ein stadtbekannter Neonazi-Treffpunkt. Auf den Stromkästen Aufkleber mit Sprüchen wie “Umweltschutz ist Heimatschutz”, ein bekannter Slogan der völkischen Bewegung. 2014 befand sich hier das Wahlkreisbüro eines NPD-Abgeordneten. Eine Bibliothek soll sich im “Haus Montag” verbergen, ein Fitnessstudio und Rückzugsräume für die Szene um die berüchtigten “Skinheads Sächsische Schweiz”. Tom erzählt es mir in dem flapsigen Tonfall, der schon immer charakteristisch war für meine Ost-Familie.
Wenig später sitzen wir in den Räumlichkeiten der “Aktion Zivilcourage”, einem Verein, der mit seinen mittlerweile 40 Festangestellten deutschlandweit als Vorbild für Demokratiearbeit und Bürgerengagement gilt. Das Büro des Mitbegründers und Geschäftsführers Sebastian Reißig befindet sich in einem restaurierten Patrizierhaus samt historischer Wendeltreppe und bemalter Holzdecke.
“Wenn du über das Misstrauen der Menschen hier sprichst, darfst du nie vergessen, wie stark die Biographie-Brüche in der Wendezeit den Osten geprägt haben.” Rick Bothmann, Teilzeit-Tresenkraft
“Wir werden sehen, wie sich Herr Lochner den vielfältigen Herausforderungen dieser Stadtgesellschaft stellt”, meint Reißig über den neuen OB. Viel mehr will er zum Wahlergebnis nicht sagen. Wichtiger ist ihm, darauf hinzuweisen, dass Pirna auch eine ganz andere Seite hat. Eine engagierte Zivilgesellschaft, Vereine, Kirchen, Unternehmen, die sich öffentlich gegen Rechts positionieren. Sogar einen kleinen Christopher Street Day gibt es in Pirna. Dass die Regenbogenfahne nicht mehr am Rathaus weht, wenn er stattfindet, war eine der wenigen konkreten Maßnahmen, die der neue OB gleich nach Amtsantritt angekündigt hat.
Aktion Zivilcourage wurde 1998 von Jugendlichen gegründet, um dem Klima der Angst, das rechtsradikale Skinheads damals verbreiteten, etwas entgegenzusetzen. Reißig selbst wurde mehrmals zusammengeschlagen. “Die Gewaltübergriffe waren wirklich massiv”, erzählt er: “Sturmhauben-vermummte Jugendliche zogen mit Baseballschlägern durch die Stadt”. Auf 200 Mitglieder wurde der gewaltbereite Kern der Skinhead-Gruppen geschätzt. Bei Hausdurchsuchungen waren Waffen und Sprengstoff gefunden worden.
Von solchen Exzessen ist Pirna heute weit entfernt. Es gebe, sagt Reißig, eine hohe Sensibilität und Wachsamkeit gegenüber dem Thema Rechtsextremismus. Vom Landratsamt über die Stadtverwaltung bis hin zur Polizei. Die Nachfrage nach Workshops, Bildungsangeboten und Schulungen ist inzwischen so groß, dass sein Verein keine Werbung mehr machen muss.
Mit den dunkelsten Kapiteln der Pirnaer Geschichte beschäftigt sich der Historiker und Gedenkstättenleiter Boris Böhm. Zusammen mit ihm stehen Tom und ich am Nachmittag in der Gaskammer der Tötungsanstalt Sonnenstein. Im Keller der Psychiatrischen Einrichtung, die im ehemaligen Schloss untergebracht war, ließ das NS-Regime mehr als 14.000 Menschen vergasen. Psychisch Kranke und geistig Behinderte, die die Nazis als “lebensunwert” einstuften, aber auch Insassen der Konzentrationslager Sachsenhausen und Auschwitz, an denen hier die industrielle Vernichtung durch Kohlenmonoxid erprobt wurde. Man möchte verstummen an diesem Ort des Grauens.
Aber wir sind gekommen, um mit Boris Böhm über die Gegenwart zu sprechen. Er erlebe häufig genug, dass Besucher den Massenmord leugneten, sagt er. “Und bei Schulführungen sind immer wieder Jugendliche dabei, die durch eindeutige Symbolik zum Ausdruck bringen, welche Position sie vertreten.” Trotzdem glaubt er, dass seine Institution einen wichtigen Beitrag zur politischen Bildung leistet. Und ähnlich wie Sebastian Reißig hält er Pirna für eine offene Stadt. Dass die Gedenkstätte auf dem Sonnenstein eingerichtet werden konnte, ist einer Initiative Pirnaer Bürger zu verdanken.
Wir verabschieden uns von Böhm. Um mehr Zeit für zufällige Begegnungen mit Pirnaer Bürgern zu haben, habe ich keine weiteren Termine vereinbart. Lieber will ich mit Toms Bekannten oder Menschen auf der Straße sprechen. Leider will sich kaum jemand äußern. Weder die ältere Dame in der Biobäckerei noch die junge Verkäuferin im Fahrradladen. “Das müssen Sie doch verstehen, dass ich mich als Angestellte politisch nicht äußern darf.” Nur eins möchte sie mir mit auf den Weg geben: “Warten wir doch erstmal ab, was er überhaupt tun wird, der neue Oberbürgermeister.”
Als nächstes versuche ich es in einem Tatoo-Shop. Der Inhaber, Cap, Ziegenbart, Metal-T-Shirt, will mich eigentlich gleich wieder aus dem Laden schicken, er habe gerade eine Kundin da. Aber dann bricht die Wut auf die Ampel-Regierung aus ihm heraus. “Ich bin kein Rechter”, sagt er, aber bei einer derartig unfähigen Truppe brauche sich doch keiner wundern. “Alles Bekloppte da oben”, findet der Tätowierer. Er begrüße jedenfalls, dass es endlich frischen Wind gebe in der Politik.
Das System
Ähnliches bekomme ich immer wieder zu hören. Meist sind die Gespräche kurz. Spätestens beim Stichwort Presse ist die Konversation zu Ende. Und das nicht nur bei den AfD-Wählern. Den Medien trauen in diesem Teil Sachsens nur wenige Menschen. “Ihr schreibt doch sowieso, was ihr wollt”, heißt es oder: “Für Euch sind wir doch alle bloß Rechtsextreme”. Der junge Mountainbiker, mit dem ich mich an der Elbe ein paar Minuten lang über das Downhillen unterhalte, ergreift sofort die Flucht, als ich meine Story erwähne. “Sorry, aber Presse find ich scheiße.” Und nicht nur die. Auf seinen Hals hat er sich “Fuck The System” stechen lassen.
Auch wenn es albern klingt, mich kränkt diese Haltung. Schließlich gebe ich mir größte Mühe, meine Offenheit zu demonstrieren. Ich rede über meine familiäre Verbundenheit mit Pirna, über die Schönheit der Stadt, lobe das Essen hier und betone, dass meine Meinung keinesfalls schon feststeht. Nicht alle Menschen, mit denen ich Kontakt aufnehme, hassen Journalisten. Manche haben auch einfach Angst davor, dass irgendjemand das Gesagte in den falschen Hals kriegen könnte. Der Chef, ein Nachbar, die Wessis. Und manchmal bekomme ich auch eine Aussage. Aber ohne Namen, und selbstverständlich ohne Foto. “Und schreiben Sie nicht, wo Sie mich getroffen haben. Jemand könnte mich aus der Beschreibung erkennen.”
Mich erinnert diese Art miteinander umzugehen an DDR-Zeiten. Das Misstrauen, die unterschwellige Aggression, gemischt mit einer diffusen Angst, seine Meinung zu äußern. Ich habe das Gefühl, dass die AfD eines ihrer Ziele bereits erreicht hat. Fakten sind hier kein Argument mehr.
Gerade als meine Stimmung ins Düstere kippt, prostet mir Rick Bothmann zu. Ich sitze in einer rappelvollen Altstadtkneipe. Der Laden ist komplett verraucht. Fußballabend. Dynamo Dresden gewinnt gegen 1860 München, die Stimmung ist prächtig. Das Hugo’s ist Ricks Stammkneipe, er steht hier gelegentlich sogar hinterm Tresen. “Kneipenkultur ist wichtig für das Sozialleben”, meint er. Diesmal werde ich interviewt. Rick will wissen, was mich nach Pirna gebracht hat. Was meine Eindrücke sind. Es ist laut um uns herum und ich bin begeistert, wie wortgewandt der bärtige Mann mit der Brille formuliert. “Wenn du über das Misstrauen der Menschen hier sprichst”, sagt Rick, “darfst du nie vergessen, wie stark die Biographie-Brüche in der Wendezeit den Osten geprägt haben.”
Die Leute, so mein Gegenüber, haben den Eindruck, weder gefragt noch gehört worden zu sein. Eine demokratische Kultur habe sich nie richtig entfalten können. Aber da Lochner nun einmal gewählt worden sei, so Rick, müsse man sich mit der AfD inhaltlich auseinandersetzen. “Seitdem jeder sein eigenes Süppchen kocht und seine Informationen aus irgendwelchen Telegram-Kanälen bezieht, verabschieden sich immer mehr Menschen aus dem, was die Gesellschaft zusammenhält.” Die AfD mache das schon sehr geschickt, mit ihren kleinen Info-Häppchen, die sie per Push-Meldung verteilen. “Da brauchst du dich nicht wundern, wenn alle nur noch mit Hass und Misstrauen reagieren.”
Rick kennt sich aus. Er macht die Öffentlichkeitsarbeit für die Stadtentwicklungsgesellschaft Pirna mbH und legt deshalb großen Wert darauf, als Privatmann zitiert zu werden. Ob das Image der Stadt unter dem neuen OB leiden könnte? Ja, sagt er. Und plötzlich beginnt auch der dritte Mann an unserem Tisch zu erzählen. Er ist Polizist. Angefangen habe er 1986 bei der Volkspolizei, wenig später ging es mit den Montagsdemonstrationen los. “Ich bin wirklich froh, dass wir das ohne Blutvergießen geschafft haben.” Darauf stoßen wir an.
Das Sonnenstein-Plateau
Am nächsten Tag begebe ich mich in die Plattenbausiedlung auf dem Sonnenstein-Plateau. Die riesigen Gebäude ragen aus der Landschaft heraus wie die Tafelberge des Elbsandsteingebirges. Ich spaziere um den Gebäuderiegel an der Remscheider Straße. Die in den 1970ern gebauten Häuser sind in passablem Zustand, es gibt keine Schmierereien, stattdessen große Grünflächen. Nur die vielen Kippen, die von den Balkonen auf den Rasen geschnippt wurden, fallen ins Auge. Plötzlich steuert ein Rentnerpaar auf mich zu. Sie im blauen Blouson, er mit Schirmmütze. “Mit uns dürfen Sie doch gar nicht reden!” sagt die Frau, die mich sofort als Journalisten identifiziert: “Wir haben nämlich die AfD gewählt.”
Erstmal bin ich verblüfft. Dann merke ich, dass sie lächelt. Sie habe nur geflunkert, sagt sie. “Aber für Leute wie Sie sind wir doch sowieso alle Nazis.” Ich widerspreche. Ihr Mann auch. Er habe durchaus die AfD gewählt und werde das demnächst auch wieder tun. Aus Überzeugung. Wir kommen ins Gespräch. Über die Schönheiten Pirnas, die Veränderungen im Stadtbild, den riesigen Wohnblock, in dem sie in einer Dreiraumwohnung leben. “Sie würden sich wundern, wie schön unser Zuhause ist”, sagt die Frau. “Und der herrliche Ausblick!” Die meisten Leute, so ihr Mann, würden sich unter einem Plattenbau ja immer gleich das Schlimmste vorstellen. Ich frage etwas ungeschickt: “Und die ganzen ausländischen Namen auf den Klingelschildern?” Nun, das sei inzwischen eben so, hier oben auf dem Sonnenstein. Alles voller Ausländer. Aber mit den allermeisten, beeilen sie sich zu präzisieren, “haben wir kein Problem”. Das seien ja normale Leute, die arbeiten gehen. Nur die Ukrainer würden alle Bürgergeld bekommen. “Das ist doch nicht richtig, oder?”
Jetzt kommt das Paar richtig in Schwung: Die Kinder drüben in der Tagesstätte dürften ja heute nicht mal mehr Indianer spielen, und wie ich es finde, dass Fleischessen verboten ist, und dass man sich ja nicht wundern müsse, wenn diverse Politikerinnen der Ampel keinen Berufsabschluss haben. Schlag auf Schlag prasseln Fake-News auf mich ein. Alle Einwände gehen in der Propaganda unter.
Zurück in der Altstadt begebe ich mich in ein Outdoor-Geschäft, um eine Wanderkarte für meinen geplanten Ausflug am nächsten Tag zu erwerben. Zwischen Kletterseilen und Karabinerhaken begegne ich einem jungen Paar. Die beiden helfen mir nicht nur mit Wandertipps, sondern tun auch gerne ihre Meinung kund. Wobei sie aus Sicherheitsgründen lieber anonym bleiben wollen. “Es ist natürlich schade”, sagt die junge Frau, “wenn Pirna jetzt immer in Zusammenhang mit rechts gebracht wird.” Das sei nur ein Teil der Wahrheit. Sie selbst waren auf verschiedenen Gegendemos. “Mit einem mulmigen Gefühl”, das gibt sie zu, “wenn man so sieht, wer da auf der anderen Seite steht.” Trotzdem findet sie es ermutigend, wie viele Menschen sich für ein buntes Pirna engagieren.
Im Alltag, sagt ihr Partner, spüre er keine starke Lagerbildung. Die Menschen würden immer noch in die gleichen Kneipen gehen. “Man redet hier aber auch nicht unbedingt darüber, wen man wählt.” Was die Landtagswahlen angeht, sind die Beiden pessimistisch. “Wir haben Angst davor, dass hier etwas kippen könnte.”
Am nächsten Tag fahre ich aufs Land, durch schmucke Orte, die als Hochburgen der Rechten gelten. Man sieht es den gepflegten Grundstücken nicht an, welche Gesinnung hier vorherrscht. Weit und breit keine Reichskriegsflaggen, keine Spruchbänder. Stattdessen Photovoltaikanlagen und sauber aufgeschichtetes Brennholz.
Das Land und die Leute
In Königstein plausche ich mit einer Rentnerin, die gerade das Gras zwischen den Pflastersteinen wegkratzt. Sie ist vor vielen Jahren aus Baden-Württemberg in die Region gezogen und findet, dass man hier freier atmen könne als anderswo. “Sie wissen schon, warum”, sagt sie. Ein paar Häuserecken weiter steht ein Mann mit rasiertem Schädel. Er antwortet freundlich, als ich ein Gespräch übers Wetter beginne. Was das für ein Logo auf seinem Sweatshirt sei, frage ich ihn. Er grinst: “So eine Marke eben.”
Die Marke heißt Yakuza, ist benannt nach der japanischen Mafia und gilt als Erkennungszeichen von Verschwörungstheoretikern und radikalen Rechten. “Yakuza zu tragen”, hatte mir Rick erklärt, “ist ungefähr so, als ob du dir das Wort Nazi auf die Stirn tätowieren lässt.”
Mit dem Auto fahre ich entlang der Elbe hinauf in Richtung tschechischer Grenze. Sebastian Reißig von Aktion Zivilcourage hatte mich darüber aufgeklärt, dass der Menschenschmuggel hier ein großes Reizthema sei: “Das macht sicher etwas mit den Leuten, wenn man in einem Dorf wohnt und sieht dann abends im Halbdunkel zwanzig Leute mit dem Rucksack durch sein Dorf schleichen.”
Heute ist die Stimmung im herausgeputzten Grenzort Schmilka feuchtfröhlich. Ich gerate in eine Traditionsveranstaltung, bei der die Einheimischen als Seemänner, Häftlinge oder Hanswürste verkleidet durch die Dörfer ziehen. Bei der Schifferfastnacht gibt es Ansprachen der lokalen Vereinsvorstände, Blasmusik und jede Menge Bier. Mit Politik hat dieses Brauchtum nichts zu tun. Versichert mir Dominik Richter, der seit 11 Jahren im Schifferverein Postelwitz aktiv ist. Trotzdem beginnt er ungefragt darüber zu sprechen, dass der Umzugswagen, der letztes Jahr bundesweit Aufsehen erregt hätte, gar nicht so gemeint gewesen sei. Bundesweites Aufsehen? Ich muss das erstmal googeln und finde heraus, dass 2023 ein Mann in Regenbogenfarben an einen Marterpfahl gefesselt worden war mit dem Spruch: “Deutschland dekadent und krank/Winnetou sucht Asyl in Sachsenland”.
Ist so etwas einfach nur blöd? Brandgefährlich? Werden diese Menschen zu Unrecht rechts außen eingeordnet? Oder legen sie es darauf an? Werden sie gesteuert von rechten Kadern oder sind sie einfach genervt von Leuten, die ihnen einen Diskurs aufzwängen wollen, der nichts mit ihrer Realität zu tun hat?
Ich flüchte erstmal ins Gebirge. Frische Luft. Mit dem Rucksack auf dem Rücken bin ich auf dem Grat zwischen den Schrammsteinen unterwegs. Ein ganzes Meer aus Sandsteinfelsen breitet sich unter mir aus. An einem Aussichtspunk treffe ich auf eine Familie aus Chemnitz. Sie haben keine Funktionskleidung an wie die Wessi-Wanderer. Tragen Parkas und Schlabberhosen. Sie haben Alkohol dabei und lachen sehr laut. Ihr Sächsisch ist breit wie die Elbe, die weit unter uns eine Schleife zieht.
Wir sprechen über die schöne Gegend, das herrliche Abendlicht und dann bieten sie mir ein Flasche Bier an. “Nimm schon, trink, ehe wir das wieder mit runter schleppen müssen.” Ich freue mich. Endlich mal Leute, die kein Misstrauen gegen mich hegen. Nein, mit denen werde ich jetzt nicht über Politik streiten. Nachdem wir uns verabschiedet haben, schaue ich mir nochmal das Handy-Foto an, das ich von der Familie gemacht habe. Zoome in das Bild hinein. Ich entziffere die Aufschrift auf einer Wollmütze. Ganz eindeutig. Da steht Yakuza.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ver.di-publik, mit freundlicher Genehmigung der Redaktion. Ein Link wurde nachträglich eingefügt.
und dass man sich ja nicht wundern müsse, wenn diverse Politikerinnen der Ampel keinen Berufsabschluss haben. Schlag auf Schlag prasseln Fake-News auf mich ein. Alle Einwände gehen in der Propaganda unter.”
Und da ist er wieder der journalistische Blasenblick( nur als ein Beispiel aus dem Artikel). Wenn man sich die Lebenswirklichkeit des größten Teils der Bevölkerung anschaut dann ist ein Berufsabschluß sehr oft verknüpft mit auch handwerklicher/körperlicher Arbeit. Schau ich mir aber die Zusammensetzung von z.B. des BT an:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/454090/umfrage/mitglieder-des-deutschen-bundestages-nach-berufsgruppen/
dann ist die dort nicht mehr gegeben und das als Fake zu titulieren….. reflektiert sieht anders aus.
Ansonsten sehe ich viele Parallelen zur ländlichen Situation in Frankreich wo auch dieses Moment des “abgehängt” Seins mit schwingt und die Medien überwiegend großstädtisch, bürgerlichen Habitus pflegen und transportieren und das resultiert dann schnell in
fâché pas fachist oder auf deutsch wütend/sauer aber nicht Faschist.