Es war schon wieder ruhig geworden in der Kontroverse um die vor zwei Jahren einge­führte Übergewinnsteuer, da fragte die Bundestagsfraktion der Linken die Bundesregie­rung nach den finanziellen Ergebnissen. Das Ergebnis ist schockierend: Die von Dezem­ber 2022 bis Juni 2023 erhobene Übergewinnsteuer hat nur 521 Mio. €, also rund 2% der erwarteten 23,5 Mrd. € eingebracht. 

Nun fühlen sich sowohl die Befürworter wie die Gegner der Übergewinnsteuer bestätigt: Die Unterstützer bemängeln, dass die Steuer viel zu spät und nur kurze Zeit erhoben wur­de und dass sie handwerklich fehlerhaft ausgestaltet war. Die Gegner bekräftigten Ihre Zweifel am Sinn und an der Wirkung der Maßnahme. Unstrittig bleibt jedoch, dass bei einer anderen Bemessungsgrundlage, einem höheren Abschöpfungssatz und einer frühe­ren und längeren Laufzeit weitaus höhere Steuereinnahmen hätten erzielt werden kön­nen.

Laut EU sind Über- oder Zufallsgewinne „Gewinne, die nicht auf direkte und geplante Maßnahmen eines Unternehmens zurückzuführen sind, sondern auf unvorhergesehene externe Veränderungen der Marktbedingungen, die zum Zeitpunkt der ursprünglichen In­vestitionsentscheidung nicht vorhersehbar waren.“ Eine Übergewinnsteuer soll dann jene Gewinne von Unternehmen abschöpfen, die über einen (im Steuergesetz) definierten „Normalgewinn“ hinausgehen. Gemeint ist also nicht der Restgewinn, der nach Abzug der Kapitalkosten bleibt, sondern ein zusätzlicher Gewinn, der den Unternehmen durch exter­ne Ereignisse (Krieg, Inflation, Anstieg des Ölpreises) zufließt. Daher auch die Bezeich­nungen „Marktlagengewinn“ oder „Windfall Profit“.

Übergewinnsteuern sind keine neuartige Erfindung. Sie werden bzw. wurden schon häufi­ger in Krisenzeiten zeitlich begrenzt erhoben. Großbritannien wendete sie im Ersten Welt­krieg mit Steuersätze von 50-80% und im Zweiten Weltkrieg mit 60% an. Die USA erho­ben während der Weltwirtschaftskrise 20-80% und im Zweiten Weltkrieg bis zu 95%. Frankreich praktizierte im Ersten Weltkrieg eine Übergewinnsteuer von 50-80%. Einbezo­gen waren zumeist fast alle Unternehmen, nicht nur einzelne Branchen. Zur Steuerbemes­sung diente der Vergleich mit Normalgewinnen in Friedenszeiten. In Deutschland gab es zeitweise eine Hauszinssteuer auf Mehrerträge, die Immobilienbesitzer während der Hy­perinflation 1923 erzielten.

In der Krisensituation 2022 haben Spanien, die Tschechei,  Großbritannien, Griechenland, Italien, Rumänien und andere Staaten eine Übergewinnsteuer auf Erträge aus dem Ener­giegeschäft eingeführt. Slowenien und Ungarn erhoben Sondersteuern in anderen Bran­chen bzw. aus anderen Gründen.

Im März 2022 erlaubte die EU den Mitgliedstaaten ausdrücklich, bis Ende Juni 2022 eine Besteuerung „übermäßiger Erlöse aus der Stromerzeugung“ vorzunehmen. Die EU-Ver­ordnung über „Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise“ vom Okto­ber 2022 sieht für fossile Energieunternehmen für 2022 und 2023 eine befristete obligatori­sche Abgabe mit einem Steuersatz von mindestens 33% auf jeden Gewinn vor, der den Durchschnittsgewinn um mindestens 20% übersteigt.  Die Steuereinnahmen sollen an die Strom-Endverbraucher verteilt werden.

Die Ziele der Verordnung sind anspruchsvoll: Sie will gleichzeitig die Belastungen für ge­fährdete Haushalte und Unternehmen verringern, die Inflation eindämmen, die Energiesi­cherheit aufrechterhalten und die Nutzung von erneuerbaren Energien fördern. Das Ein­greifen der EU soll negative Auswirkungen auf den europäischen Energiemarkt durch un­koordinierte nationale Maßnahmen verhindern.

Die EU rechnete mit Einnahmen von rund 20 Mrd. €. Steuerpflichtig sind – unabhängig von ihrer Rechtsform –  jene gewerblichen Unternehmen, die zumindest 75% ihres Umsat­zes aus wirtschaftlicher Betätigung in den Sektoren  Erdöl- und Erdgasförderung, Kohle, Koks und Erdölraffination erzielen. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass manche Unternehmen ihre Umsätze oder Gewinne in andere Sparten verlagern und sich (teilweise) der Steuer entziehen. Die Umsetzung der Verordnung durch die einzelnen Mit­gliedstaaten ist nicht einheitlich. So gelten mancherorts unterschiedliche Obergrenzen, je nachdem, welche Technologie angewendet wird. Teilweise wird – wie in Deutschland – der Mindeststeuersatz von 33% erhoben teils geht es bis zu 7 % wie in Irland.

Übergeordnetes Ziel bleibt es, Übergewinne im Interesse der Verbraucher/innen generell zu verhindern. Dazu hat die EU im Frühjahr 2023 Reformvorschläge vorgelegt. Vorgese­hen ist, die am Markt erzielbaren Einnahmen bestimmter Erzeuger künftig dauerhaft zu begrenzen. Das wäre dann ein tiefgreifender, aber überfälliger Eingriff in den Markt. Mög­lich und zulässig ist dies jedoch, wie z.B. Regelungen im Wohnungsmarkt zeigen. Ange­sichts der weltweiten Kapitalmobilität plädiert die EU zumindest für eine koordinierte Ein­führung von Übergewinnsteuern. So könnte verhindert werden, dass auf benachbarten Märkten unterschiedliche wirtschaftliche Bedingungen erzeugt werden.

Die Bundesländer Bremen, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen brachten schon im  Juli 2022 im Bundesrat den Antrag ein, auf Zufallsgewinne eine einmalige Son­derabgabe zu erheben. Sie fanden jedoch keine Mehrheit. Im Dezember 2022 beschloss dann der Bundestag im Rahmen des Jahressteuergesetzes für 2022 und 2023 einen EU-Energiekrisenbeitrag. Danach unterlagen Gewinne von Erdöl-, Erdgas- Kohle- und Raffi­nerieunternehmen einer befristeten Sonderbesteuerung. 

Ab Überschreiten des Durchschnittsgewinns der Vorjahre um 20% wurde eine Steuer von 33% fällig. Das Steueraufkommen stand dem Bund zu und war zweckgebunden zu ver­wenden zur Unterstützung von Endenergiekunden und Unternehmen energieintensiver Branchen. Berechnungen oder Schätzungen, mit welchen Übergewinnen und welchem Steueraufkommen zu rechnen sei, konnte das Bundeswirtschaftsministerium nicht vorle­gen

Die Rückwirkung wurde auf Druck der Wirtschaftsverbände auf Anfang Dezember 2022 verkürzt, das Gesetz auf Juni 2023 befristet. Der Zeitraum vom Frühjahr bis Herbst 2022, in der die Zufallsgewinne besonders gesprudelt hatten, wurde also nicht erfasst. Auf eine ursprünglich erwogene Verlängerung des Gesetzes wurde verzichtet. Mit einem Steuer­satz von 33% hat sich die Regierung an dem von der EU vorgegebenen Mindestsatz ori­entiert; andere EU-Mitgliedstaaten liegen deutlich höher.

Wie sich herausgestellt hat, lagen die staatlichen Einnahmen aus der Übergewinnsteuer weit unter den Erwartungen. Dafür gab es mehrere Gründe: Zunächst einmal waren die Energiepreise und damit die Übergewinne rückläufig, zum anderen hatte die Ausgestal­tung der Steuer dafür gesorgt: verspäteter Beginn, begrenzte Laufzeit, niedriger Steuer­satz. Der Verdacht liegt nahe, dass die Regierung die Übergewinnsteuer nur wegen des öffentlichen Drucks und der Empörung über die explodierenden Energiekosten eingeführt, aber derart ausgestaltet hat, dass die betroffenen Unternehmen kaum belastet wurden.

Angesichts der Preisentwicklung auf dem Energiemarkt hatte sogar der UN-Generalse­kretär die Regierungen aufgefordert, die „exzessiven“ Gewinne der großen Energiekon­zerne zu besteuern. Diese hatten  im ersten Quartal 2022 Gewinne von 100 Mrd. ge­macht. Beispielhaft hatte Total seinen Gewinn um 40% erhöht, Saudi Aramco wies sogar im ersten Quartal 2022 eine Steigerung um 82% auf.

Nach einer repräsentativen Umfrage befürwortete eine Dreiviertelmehrheit der wahlbe­rechtigten deutschen Bevölkerung die Einführung einer Übergewinnsteuer. Es ist in der Tat schwer zu vermitteln, dass manche Bürger/innen die hohen Energiepreise kaum noch stemmen können und manches Unternehmen aus gleichen Gründen Existenzprobleme hat, während die Mineralölkonzerne ungeniert abkassieren. Die Skepsis gegenüber den Energieunternehmen wurde auch durch die Erfahrung bestärkt, dass viele von ihnen den sogenannten Tankrabatt nicht – wie vorgesehen –  an die Kunden weitergegeben hatten. Die Übergewinnsteuer ist also vor allem ein Thema der Gerechtigkeit.

Eine Übergewinnsteuer wurde zunächst von der Linkspartei, dann auch von der SPD und den Grünen gefordert. Ziel sei es, Krisen- und Kriegsgewinne stärker zu besteuern. Auch in der Union gab es einige Anhänger. Die FDP war strikt dagegen, sie sah darin ei­nen ungeeigneten Eingriff in den Markt. Finanzminister Lindner warnte davor, dass die Un­ternehmen die zusätzliche Steuer auf den Preis aufschlagen und die Inflation fördern wür­den. Im Übrigen könne er „nicht bestätigen, dass es überhaupt Übergewinne gibt.“ Diese Argumentation fand jedoch wenig Verständnis.

Tiefgehender und kontrovers setzten sich die Wirtschaftsforschungsinstitute mit dem The­ma auseinander. Es gab Befürworter und Kritiker. Unter anderem wurde gefordert, dass der Staat dann künftig auch übermäßige Verluste ausgleichen müsse. Doch genau das ge­schieht laufend. Immer wieder stellt der Staat Finanzmittel zur Rettung zahlungsunfähiger oder gefährdeter Unternehmen bereit. Beispiele sind Commerzbank, Lufthansa und Ga­leria Kaufhof, aktuell ist es die Meyer-Werft. Zudem sind Steuernachlässe oder -befreiun­gen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ein durchaus übliches Instrument sind. Nach Re­gierungsangaben haben während der Coronakrise 65% aller Unternehmen von den ver­schiedenen Hilfsmaßnahmen der Regierung profitiert.

Auch die Energiewirtschaft erfuhr staatliche Unterstützung. Im September 2022 verab­schiedete die Bundesregierung ein Rettungspaket für den Energieversorger Uniper und übernahm für rund 15 Mrd. € 99% der Kapitalanteile, um so Uniper und damit die Energie­versorgung für Unternehmen, Stadtwerke und Verbraucher/innen zu sichern. Anlass für die Notlage von Uniper waren der Stopp der vertraglich vereinbarten Gaslieferungen aus Russland und die hohen Ersatzbeschaffungskosten. Aufgrund der danach stark gesunke­nen Gaspreise hat sich Uniper inzwischen erholt und wieder hohe Gewinne erwirtschaftet. Der Wert der vom Staat gehaltenen Anteile wird daher auf 23 Mrd. € geschätzt.

Hohe Energiepreise signalisieren einerseits Knappheit und führen zum erwünschten Ef­fekt, Energie einzusparen. Gleichzeitig erzielen die Energieerzeuger enorme Extragewinne auf Kosten der Verbraucher/innen. Gefördert und erleichtert wird dies durch die Regelung, dass der Grenzpreis des teuersten Anbieters, der zur Bedarfsdeckung noch zum Zuge kommt, für alle Anbieter gilt. Die darunter liegenden Energielieferanten sind Krisengewinn­ler. Dieses sogenannte „Merit-Order-System“ sorgt dafür, dass der Preis der teuersten Kilowattstunde den Preis für die gesamte Strommenge bestimmt, die zu einem bestimm­ten Zeitpunkt auf dem Strommarkt verfügbar ist. 

Die Unterstützung einer Übergewinnsteuer seitens der betroffenen Bevölkerung ist ver­ständlich und nachvollziehbar. Sie ist auch volkswirtschaftlich vertretbar, denn sie entwi­ckelt keine unmittelbaren negativen ökonomischen Anreize bzw. Wirkungen. Wenn Unter­nehmen ohne eigene Anstrengungen leistungslose Zusatzgewinne erzielen, die teilweise abgeschöpft werden, so mindert das nicht ihre Investitionsbereitschaft und -fähigkeit und auch nicht die Bereitschaft anderer Unternehmer, auf dem Energiemarkt tätig zu werden. Solange die Übergewinnsteuer (deutlich) unter 100% liegt, bildet sie kein durchgreifendes Investitions- bzw. Markteintrittshemmnis.

Kritiker weisen darauf hin, dass die Übergewinnsteuer willkürlich festgelegt wird und wirkt. Die Entscheidung, ab wann ein Gewinn zu hoch ist und besteuert werden soll, ist letztlich beliebig. Allerdings gilt das für alle Steuersätze unseres Finanzsystems. Auch die Kritik, dass zur Bekämpfung von kurzfristigen Marktungleichgewichten nicht unbedingt neue Steuern eingeführt werden müssen, überzeugt nicht. Steuern sollen steuern, so lehrt die Finanzwissenschaft. Allerdings wird bezweifelt, ob Gerechtigkeitsziele wie bei der Übergewinnsteuer ein zulässiger Lenkungszweck sind.

Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium (Minister Lindner) riet von ei­ner Übergewinnsteuer ab. Er befürchtete Verzerrungswirkungen und betonte, dass fast alle wirtschaftlichen Aktivitäten Schwankungen unterliegen, dass hohe Gewinne auf Knappheiten hinweisen und dass neue Wettbewerber von hohen Gewinnen angelockt würden.

Die Übergewinnsteuer kann bei der Steuererklärung nicht  als Betriebsausgabe abgezo­gen werden. Sie führt also zu einer doppelten Besteuerung, da sie auch der Einkom­men-, Körperschaft- und Gewerbesteuer unterliegt. Dies wird in manchen Kommentaren als bedenklich angesehen, weil es eine asymmetrische Besteuerung bewirkt und Investiti­onsanreize verringert.

Vereinzelt melden Juristen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Übergewinnsteuer an. So seien auf EU-Ebene weder die (erforderliche) Zustimmung aller EU-Mitgliedstaaten noch die Beteiligung des EU-Parlaments gegeben. Zudem sei möglicherweise die Eigen­tumsgarantie von Art. 14 GG verletzt, da einschließlich Übergewinnsteuer eine Steuerbe­lastung von 80% erreicht werden kann. Auch wird ein Rechtsverstoß darin gesehen, dass zwei wirtschaftlich gleich leistungsfähige Steuerpflichtige unterschiedlich besteuert wer­den, nur weil einer Übergewinne erzielt. Dem ist entgegenzuhalten, dass eine abweichen­de Besteuerung aufgrund unterschiedlich hoher Gewinne bzw. Einnahmen kein Ausnah­mefall ist (Steuerprogression bei der Einkommensteuer).

Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages kommen zu dem Schluss, dass eine Übergewinnsteuer mit dem Grundgesetz vereinbar ist, weil der Gesetzgeber ei­nen weiten Gestaltungsspielraum hat, der nur vom Willkürverbot begrenzt wird. Verfas­sungsrechtlich begründete Klagen gegen die Übergewinnsteuer sind nicht bekannt.

Einige Unterstützer der Übergewinnsteuer vertreten die Auffassung, dass es sich dabei quasi um eine umgekehrte EEG-Umlage handelt. Deren Mechanismus wird übernom­men, um mögliche Verfassungsprobleme zu vermeiden. Die EEG-Umlage erhöht den Preis für die Verbraucher/innen und sichert damit die Wirtschaftlichkeit der Stromlieferan­ten. Die Übergewinnsteuer dagegen schmälert die Ertragslage durch die Besteuerung von Zufallsgewinnen und senkt damit den Preis für die Verbraucher/innen.

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.