Die Medienmacht macht, was sie macht – die Kinder sind im Brunnen, und das grosse Gejammere hat eingesetzt

Zunächst das Positive. Zwei sehr, sehr seltene Ereignisse fallen in diesen Tagen zusammen. Meine Borussia erzielte einen Siegtreffer in der Nachspielzeit. statt, wie es seit Jahren Gewohnheit ist, umgekehrt (“borussisch”). Und eine deutsche TV-Talkshow stellt morgen eine berechtigte Frage (= Agendasetting!): “Können wir uns die Reichen noch leisten?” “Ausgewogenheit”, wie es sich für die von uns bezahlte ARD und den WDR gehört: 4 Reiche und 2 Kritiker*innen – ganz wie die Haushaltsabgabenzahler*innen sich zusammensetzen. Oder?

Es gibt ja Leute, auch Extradienst-Autoren, die sich das angucken. Ich bin bei der Mehrheit, und die ist bei “Barnaby”. Warum sich den sowieso anstrengenden Montag noch mit so einem Abschluss versauen?

Es gibt ja erstaunlich viele naive Menschen, die auf die schlichte Überzeugungskraft des guten Arguments vertrauen, oder zumindest hoffen. Ich unterstelle, dass deren Anteil in der kleinen radikalen Minderheit, die sich deutsche TV-Talkshows antun (1-4 von 85 Mio.), überdurchschnittlich gross ist. Das Rätsel für mich ist: warum lernen die nicht dazu?

Entscheidend ist, s.o., das Agendasetting. Über wen am meisten gestritten wird, die*der hat gewonnen. Darum surft Frau Wagenknecht ganz oben auf der Welle – je mehr sie gedisst und gehasst wird, umso erfolgreicher. Und die AfD auch. Achtung: das ist meinerseits keine Gleichsetzung von Inhalten, sondern von Methoden! Und zwar von erfolgreichen Methoden.

Der Zorn der Wähler*innen über die – in der Tat immer mehr versagenden und ihr eigenes Niveau absenkenden – demokratischen Parteien ist so gross, dass sie sich nur noch daran orientieren, wie sie ihrem Ärger in der Wahlkabine am wirkungsvollsten Luft machen können. Wenn sie überhaupt hingehen.

Heute gibt es zwei erkenntnisfördernde Texte, die zu diesem Thema Wichtiges beitragen.

Carla Siepmann/netzpolitik: TikTok ist schuld, oder? – Warum ist die AfD gerade bei jungen Wähler:innen so erfolgreich? Politische Kommentator:innen suchen den Grund oft in Sozialen Medien. Doch das greift zu kurz und verkennt den Kern des Problems.” TikTok ist eine typisch deutsche Externalisierung. Das aosziale Netzwerk gehört zum Bytedance-Konzern. Das ist also “der Chinese”. Meine Prophezeiung: Sanktionen durch die in der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbekannten “Landesmediensanstalten” (das sind nicht die ARD-Sender! sie werden aber vom gleichen Geld bezahlt!) sind nur noch eine Frage von wenigen Jahren. Die wollen ja auch mal erwähnt werden.

Noch wichtiger, was der Kollege Stefan Krempl/heise aus den USA berichtet: FTC-Bericht: Massenüberwachung durch Online-Plattformen ist außer Kontrolle – Die US-Handelsaufsicht moniert, dass große Social-Media- und Streaming-Portale ihre Nutzer in großem Umfang ausspionieren und dabei auf den Datenschutz pfeifen.”

Meine Kritik daran ist: warum nicht vor 20 Jahren, als der Deckel noch auf dem Brunnen hätte installiert werden können? Jetzt sind die Kinder – in der Regel technikkompetenter als ihre Eltern und Lehrer*innen – alle drin im Brunnen.

FTC-Bossin Lina Khan wird von den Konzernen, denen, die in den asozialen Netzwerken das Hausrecht haben, zurecht gehasst. Erst 2021, als Macht und Monopole verteilt und betoniert waren, bekam sie ihr wichtiges Amt. An deutlicher Aussprache lässt es die Dame nicht fehlen. So eine hätte ich in Berlin, Brüssel, Köln, Düsseldorf auch gerne. Es sind ziemlich viele, die die Demokratie für ihre Rettung braucht.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net