Eine herrschende Mehrheit in Medien und demokratischen Parteien glaubt allen Ernstes, Ursache der jüngsten deutschen Wahlergebnisse sei irgendwas mit Migration. Das war schon immer lächerlich. Je mehr Migrant*inn*en präsent sind, umso weniger Probleme – bei den Wahlergebnissen. Besonders viel rechts wählen die, die Migrant*inne*n gar nicht kennen, sondern nur eine fiktive Vorstellung von ihnen im Kopf haben – woher wohl? Das sind alles Binsen, die den demokratischen Parteien mit ihrem immer geringeren Kontakt zur gesellschaftlichen Wirklichkeit da draussen offenbar verloren gegangen sind. Stattdessen verwechseln die sie umringende was-mit-Medien-Bande in Berlin-Mitte mit “Volkes Stimme”.

Wolfgang Storz/bruchstuecke (Interview) und der Hildesheimer Wissenschaftler Boris Kühn bemühen – wie vergeblich? – die Fakten: “Pragmatische Kommunen, panische Debatten”. Wenig sensationelle Erkenntnis: das Ausmass der kommunalen Panik bemisst sich nicht am Ausmass irgendeiner Migration, sondern am Ausmass des real existierenden Immobilienkapitalismus, im Volksmund: “Wohnungsnot”.

Ebensowenig sensationell ist, dass die AfD ihre besten Wahlergebnisse erzielt, wo die reale Wohnungsnot (relativ) noch am geringsten ist – da wo sowieso niemand mehr freiwillig wohnt (ich überspitze). Den Kern der Sache erfasst Ralf Fischer/Jungle World ganz gut: Der Bevölkerungsschwund prägt in Ostdeutschland die Gesellschaft: Gut abgehängt – Auf den Beitritt zur Bundesrepublik folgten in den neunziger Jahren Wirtschaftskrise und Massenabwanderung im Gebiet der ehemaligen DDR. Das prägt bis heute die dortige Gesellschaft.”

Dieser Befund erinnert mich fatal an meine alte Heimat im nördlichen Ruhrgebiet (Emscherzone). Dort sahnte die AfD schon bei der Europawahl im Juni am meisten ab, mit Wahlresultaten “ostdeutschen” Ausmasses (S. 18 ff.) in exakt den Wahlkreisen, in denen die SPD einst zwischen 50 und 75% einfuhr (die Grünen waren dort immer nur Sekte, die Liberalen sowieso, und die CDU war links der SPD).

Wenn ich dort zu Familienbesuchen heimkehre, sind alle Läden und Kneipen, die ich mal kannte, weg. Wo die Zeche war, ist jetzt der Parkplatz von Lidl und Aldi – Ernte der autogerechten Stadt, die die SPD mitgesät hat. Die Kneipe im Nachbarstadtteil Gelsenkirchen-Horst, wo es abends noch Essen gibt, leidet unter Gästeschwund und existiert nur noch, weil sie Familienbetrieb ist und ihr das Haus gehört. Leider fährt von Bonn aus keine Bahn mehr hin (Bauarbeiten “Digitales Stellwerk Köln”). Spaziergänge an die nahegelegenen Wohnorte meiner Kindheit in Gelsenkirchen oder Gladbeck zeigen das gleiche Bild: einstige Stadtteil-Geschäftszentren (Supermarkt, Textilien, Gemüse, Bäcker, Schuster, Lotto, Eisdiele, Ärzte etc.) alles verschwunden. Die Gebäude stehen noch: aber leer und vergammelt.

Was daran ist überraschend? Schockierend? “Da kannze jetz ma ne Viertelstunde drüber nachdenken. Viertelstunde? Schaffsduschon!” (Fritz Eckenga)

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net