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Die ermüdende Aufmerksamkeitsökonomie – am dummen Beispiel der 3sat-Erregung

Seit ich mich für Politik interessiere, seit ca. 1970, ist mir die Ministerpräsident*inn*enkonferenz (MPK), dieses Zentrum des deutschen Föderalismus, nie als Zentrum überbordender politischer Intelligenz aufgefallen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die 16 Mitglieder, darunter drei Bürgermeister, immer zueinander in Konkurrenz stehen – und innerhalb der “eigenen” Parteireihen noch mehr, als ausserhalb. Wenn dann noch eine*r besonders nervt und die Konferenz in die Länge zieht, greifen Mechanismen der Schein-Befriedung. In diesem Fall verbunden mit einem Kollateralnutzen.

Die MPs wollen das Problem mit ihren TV- und Rundfunkanstalten vom Hals haben. In ihren Staats- und Senatskanzleien haben sie subalterne Fachreferent*inn*en, die die Konferenzen und Entscheidungen verhandeln, ausarbeiten und vorbereiten – sollen. In dieser Disziplin gibt es einen offenbaren Fachkräftemangel, was die sachunkundigen Chefs und Chefinnen sichtlich nervt. In diesem Gefüge von Privataushalten 1 oder 2 €/Monat mehr verlangen, und dafür von allen Zeitungsverlagsmilliardärsmedien “geschlachtet” werden? Nee, das braucht keine*r. Zum Vergleich: die Verteuerung des 49€-Tickets um 9 €/Monat “gelang” den gleichen Bundesländern nahezu schmerzfrei.

Um aber von eigener – potenziell verfassungswidriger – Unfähigkeit und Untätigkeit abzulenken, hat es sich immer bewährt, einen Stein ins Wasser oder einen Knochen in den Hundezwinger zu werfen, auf dass sich alle mit dem Abnagen beschäftigen, und die Geschäfte in Ruhe stressfrei betrieben werden können.

Die Sache ist, dass Deutschlands Zeitungsmilliardär*inn*en in ihrem ökonomischen Untergang – “Gerechtigkeit” muss sein – die deutschen öffentlichen Medien mit in die Hölle nehmen wollen. Immer noch leichter umzusetzen, als sich gemeinsam gegen globale Monopole zu verbünden. Es gab mal einen Regierungssprecher von Angela Merkel, der danach von der CSU (!) zum Intendanten des Bayrischen Rundfunks hochgelobt wurde, und zeitweise als ARD-Vorsitzender amtierte. Möglich, dass der das letzte Exemplar von intelligenten Lebensformen in deutschen Intendantenetagen war. Der wollte sowas Ähnliches. Fritz Pleitgen/WDR hätte es auch begriffen – aber das ist noch länger her.

Anders handhaben es die deutschen Ministerpräsident*inn*en. Das ist so dermassen verfassungswidrig, dass Jurist*inn*enkunst gefragt ist: wann und wie ergibt sich daraus ein Klagegrund?

Damit sich damit niemand mit Verstand übermässig beschäftigt also der 3sat-Knochen. Einer hats verstanden: Klaus Raab/MDR-Altpapier: Anders Fernsehen – 3sat darf nicht untergehen, sagen die einen, denn nur dort gebe es Kultur, Wissenschaft und Hirn. Die anderen schauen nach, was tatsächlich alles bei 3sat läuft. Führt die Debatte über den Erhalt eines linearen Kanals am entscheidenden Punkt vorbei?”

Damals 1970, als ich anfing, mich für Politik zu interessieren, bestand noch eine wahrgenommene Identität zwischen Kulturschaffenden und Intelligenz (so, wie im Englischen “Intelligence” für Geheimdienste gebräuchlich ist – so unterscheiden sich die Kulturen!). Diese Verbindung zwischen Kultur und Intelligenz muss irgendwann unterbrochen worden sein. Anders ist die reflexhafte Berechenbarkeit öffentlicher Reaktionen auf die ahnungslosen und nichtsnutzigen MPs kaum zu erklären.

Zur Demontage demokratischer politischer Öffentlichkeit

Zur Kenntnisnahme dieses zentralen Politikproblems empfehle ich Ihnen heute:

Wolfgang Storz (Interview)/bruchstuecke mit Horst Kahrs: ‘Es ist zu spät für ein Verbot der AfD’ – Viel zu lange wurde die AfD nicht ernst genommen als eine politische Kraft, die systematisch und durchdacht eine Strategie betreibt, die Grundlagen der parlamentarischen Demokratie zu zerstören.”

Georg Seesslen/taz: Gedruckte Zeitungen: Tod eines Kulturguts – Printzeitungen sterben, und der Demokratie geht es auch nicht besonders gut. Möglicherweise hat das eine doch etwas mit dem anderen zu tun”.

Zentraler Satz: “Vor der Pressekonzentration wurde einst gewarnt; heute kann man sich allenfalls fragen, ob es eine besonders gute Idee für die Demokratie ist, die Information der Bevölkerung ein paar Superreichen und Konzernen zu überlassen, die an Profiten so viel Interesse haben wie an Propaganda für Verhältnisse, die sie reich und mächtig gemacht haben.”

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Rainer Bohnet

    Ich frage mich, wer auf die abstruse Idee gekommen ist, 3sat, arte oder Phoenix abzuschalten? Gerade in diesen validen Zeiten brauchen wir faktenbasierte Medien.

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