Wundersame Bahn CCVII
21.38 h (= planmässige Ankunftzeit in Ehrenfeld)
Die Bahn, die pünktlich kam (20.47 h), war nur eine vorgegaukelte Normalität. Noch bevor sie abfuhr, kam die Durchsage, dass es eine technische Störung an einem vorausfahrenden Güterzug gäbe (der Kollege vom Güterzug muss irgendwo Luft ablassen?!) und die Weiterfahrt sich auf unbestimmte Zeit verzögern würde. Keine Minute später ging es weiter. Zwischen Menden und Troisdorf dann die Information, der Zug halte nicht wie vorgesehen in Köln/Bonn-Flughafen und auch nicht am Hbf, sondern erst wieder in Köln-Ehrenfeld. Reisende mit Ziel Flughafen oder Hbf sollten in Troisdorf in die S-Bahn wechseln. So mit Reisenden umgehen? Jetzt kommt die Durchsage, “Cologne Bonn Airport, dieses Zugteil endet dort. Bitte wechseln Sie den Zugteil!” ( hat jemand schon erlebt, dessen eine Regionalbahn abgekoppelt wurde??!!) Der Zug fährt an Köln/Bonn-Airport vorbei ohne anzuhalten. Er beschleunigt richtig!! Drücke mir die Daumen, dass er irgendwo hält, von wo ich noch nach Hause komme.
Das fürs erste. Es ist nicht mehr fassbar, was die deutsche Bahn den Menschen zumutet!
21.45 h
Köln-Messe-Deutz, der Zug fährt vorbei. Angezeigte nächste Station: Köln/Bonn-Flughafen. Hohenzollernbrücke… jetzt wird es spannend. Der Zug hält auf der Brücke….
21.53 h
Nächster planmäßiger Halt (?) Köln Hbf laut Durchsage ….. und er hält, obwohl es zunächst so aussieht als führe er vorbei. Wie es wohl weitergeht?
22.14 h
Nun stehen wir immer noch in Köln Hbf. Ich gehe zum Lokführer. Klopfe, der zieht zunächst sein Rollo an der Tür runter, öffnet aber dann die Tür. Auf meine Frage, ob zu erwarten sei, dass der Zug nach Ehrenfeld fahre und dort auch halte, meint er, er hätte doch gerade eine Durchsage gemacht, oder etwa nicht? Nein sage ich, keine Durchsage! Woraufhin er verzweifelt antwortet, er wüsste auch nicht mehr weiter, die geplante Umleitung habe nicht stattgefunden wegen des Güterzuges, … und er sei mit seinem Dienstplan auch völlig aus dem Takt. Es wären noch vier Züge vor ihm dran weiterzufahren, in etwa 10 Minuten ginge es weiter. 2 hat er noch ……
22.27 h
Jetzt fährt der Zug! Ich hoffe er hält in Ehrenfeld!!
22.45 h
Bin seit zwei Minuten zu Hause!
Was als wundersame Bahn mit einem Augenzwinkern begonnen hat, ist an Willkür nicht mehr zu überbieten. Es muss doch Möglichkeiten geben sich dagegen zu wehren, oder?
Kommentar
Seit 2006 bin ich kein Berufspendler mehr. Wie sich in der Folge herausstellte, war das aus gesundheitlichen Gründen erforderlich. Bis 2002 genoss ich das Berufspendeln nach Düsseldorf. Ich nahm einfach in Bonn Hbf. den nächsten Zug nach Norden. Bis zur Einführung der ICEs. Die führten zur Verschlechterung des Tarifsystems: eigener Fahrpreis statt bei*m Schaffner*in nachlösbarer Zuschlag. Die Fernverbindungen von Bonn Hbf. wurden auf einen Schlag halbiert: von 3 in der Stunde, nahezu vertaktet (einer davon ein – heute abgeschaffter – Interregio), nur 1 1/2 in der Stunde. Ich pendelte seitdem mit dem RE 5 (stündlich). 2005 war Schluss damit. Der fährt heute nur noch manchmal (“Digitales Stellwerk Köln”).
Oben beschriebenes Desaster – nicht ich war betroffen, sondern eine berufspendelnde Freundin – wäre eingrenzbar gewesen, wenn das Angekündigte stattgefunden hätte: Umleitung der Regionalbahn über die Kölner Südbrücke nach Köln-Süd und -Ehrenfeld. Das erratische Hin-und-her macht auch die Lokführer*innen und Zugbegeleiter*innen, die Frontkämpfer*innen und Rekrut*inne*en im Krieg gegen den Fahrgast – sachlich und ohne Übertreibung – krank.
Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass “Digitalisierung” ständig den Alltag verschlechtert? Allgegenwärtige Ausrede für jede Panne, und am Ende immer mit Abschaffung von Menschenkontakten (Fahrkartenschalter Beuel etc.) verbunden. Die menschenlosen Angsträume vermehren sich, real einforderbare Verbraucher*innen*rechte verschwinden zugunsten von Telefonschleifen und -computern. Diejenigen, die am meisten Hilfe brauchen, finden keine mehr. Angehörige von Pflegebedürftigen müssen Urlaubstage nehmen, um ihnen online noch Dienstleistungen (Arzttermine etc.) zu sichern. Woher wohl die Zunahme all der Krankschreibungen kommt? Aber ich schweife ab.
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Der General-Anzeiger meldete gestern (Paywall), die Bahn plane beim Fahrplanwechsel im Dezember in Bonn die Streichung von 20 Fernverbindungen. Die Ausrede der vom GA befragten Bahn dazu ist, dass der Fahrplan damit nur Realitäten (Bauarbeiten etc.) nachvollziehe. Als Fahrgast wissen Sie und ich: mit dem neuen Fahrplan werden sich neue Realitäten einstellen, die wiederum …
Tatsache ist: Pendelnmüssen zwischen Bonn und Köln, einem urbanen Ballungsraum im bevölkerungsreichen und einst industriellen Zentrum NRW, grenzt an eine Menschenrechtsverletzung, wie es auch die Mieten für hiesige Wohnungen tun. Umzüge sind unmöglich, weil kein*e Mieter*in, die*der noch bei Sinnen ist, ihre*seine gegenwärtige Wohnung zu verlassen bereit ist. Die damit verbundenen Folgekosten würden jeder*m über den Kopf wachsen. Darum müssen immer mehr Menschen pendeln. Die Betroffenen oben beschriebener Abenteuerreise zwischen Beuel und Ehrenfeld sind um ein Vielfaches zahlreicher, als die geplagten Urlauber*innen, die in Köln (nach Norden), Mainz oder Mannheim (nach Süden) umsteigen müssen. Allein zwischen Köln und Bonn sind es 26.000, Rhein-Sieg/Bonn sogar 65.000.
Liebe Oberbürgermeisterinnen: das ist Eure “Kundschaft”. Mag sein, dass Eure Dienstreisen mehrheitlich Fernreisen sind, und das Umsteigen lästig ist. Die Mehrheit jedoch plagt sich täglich. Täglich werden diesen Menschen ganze Stunden ihrer Lebenszeit genommen.
Wie die oben zitierte Freundin richtig schreibt:
“Es muss doch Möglichkeiten geben sich dagegen zu wehren, oder?” Und heute morgen: “Diese Fahrt gestern war für mich traumatisierend. Ich habe extrem schlecht geschlafen.”
Das ist Alltag in Köln und Bonn. Noch Fragen?
Dass Digitalisierung gerade bei der DB eine der Hauptursachen des Elends ist, bestätigt dieser DB-Mitarbeiter soeben in einem Interview: “Mein Beruf ist, mich acht Stunden am Tag beschimpfen zu lassen.”
https://overton-magazin.de/dialog/mein-beruf-ist-mich-acht-stunden-am-tag-beschimpfen-zu-lassen/
Ich gehe davon aus, dass die Struktur der Bahn AG die Hauptursache ist. Dazu gehört auch die Art und Weise wie die Digitaliserung bei der Bahn zusätzlich zur Abwehr von weiteren Kunden eingesetzt wird. Die Bahn kann nur eines – entweder den Transport von Menschen und Gütern nach Fahrplan und auch bei Störungen ermöglichen – oder ihre Tätigkeiten so ausrichten, als könnte und würde die Bahn Gewinne erwirtschaften. Beides zusammen geht nicht – entweder Transport gewährleisten oder Geld verdienen. Im Bahnvorstand sitzen seit Jahrzehnten überwiegend Nieten, abgelegte Politiker und anderes überflüssiges Personal, das irgendwie teuer entlohnt werden muß, Vielleicht weil sie zu viel über die derzeit Regierenden wissen. Man weiß ja aus Erfahrung, dass insbesondere FDP-Politiker im Fall eines plötzlichen Macht und vor allem Einnahmenverlustes sehr schnell auch offen kriminell werden können. Ich erinnere nur an den ehemaligne FDP-Landesvorsitzenden in Rheinland-Pfalz und späteren Juwelenräuber, Hans Otto Scholl . In Wikipedia heißt es zu ihm: Nachdem die FDP 1983 aus dem rheinland-pfälzischen Landtag ausgeschieden war, geriet Scholl in wirtschaftliche Schwierigkeiten, da er nur noch Ehrenämter innehatte. Im Mai 1984 eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen angeblicher Veruntreuung von Verbandsgeldern des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, das aber kurz darauf eingestellt wurde. Am 28. Dezember 1984 überfiel Scholl ein Juweliergeschäft in Baden-Baden, wobei er Gegenstände im Wert von 2,3 Millionen D-Mark erbeutete. Am 5. Januar 1985 wurde Scholl als Tatverdächtiger festgenommen. Wahrscheinlich war in den Versicherungen, für die FDP-Politiker gerne arbeiten, gerade nichts frei und die Bahn wurde noch als Staatsuntgernehmen geführt. Heute sässe einer wie Scholl sicher im Bahn-Vorstand. Hans Dietrich Genscher meinte zu dem Vorgang: “Mein lieber Scholli!” Der Mann mit den Ohren hatte eben Humor .