Die armen Reichen (Verleger*innen)

Haben Sie gerade mal Zeit? Ich ja leider nicht, ich muss das hier gerade schreiben. Wenn Sie Zeit haben, dann haben Sie doch ein oder zwei Sekunden Mitleid mit Deutschlands Zeitungsverleger*inne*n. Es sind nicht mehr viele. Sie sind vom Aussterben bedroht. Aber wenn sie schon sterben müssen, dann sollen wenigstens möglichst viele mitkommen, öffentlich-rechtliche Medien zum Beispiel. Nun hat der Mediendienst “kress” (Paywall) in der Liste des spiegeleigenen “Manager-Magazins” (Paywall) unter den “reichsten Deutschen” nach den Verleger*inne*n gesucht, und auch einige gefunden. Mit bitteren Schicksalen.

Es führt der Clan der Bertelsmann-besitzenden Mohns, die ihr Vermögen demzufolge lediglich von 7 auf 7,5 Mrd. Euro steigern konnten. Unter den “reichsten Deutschen” nur Nummer 26. Ist das nicht bitter? Das ist nur zweite Liga.

Ihnen folgt als Verlagsvizemeister der Clan der Bauers (die heissen so). Dort könnte ein Bürgerkrieg der Erben ausbrechen, denn das Vermögen ist sogar gesunken, von 4 auf 3,7 Mrd. Euro. Wundern tut mich das nicht. Ich habe noch nie was von dem Schund gelesen, der dort ausgestossen wird. Suchen Sie mal bei Ihrem Arzt oder Friseur.

Nur 13 Verlegerfamilien finden sich unter den “500 reichsten Deutschen”. Das überrascht mich “positiv”. So viele gibt es doch noch? Die DuMonts in Köln sollen rausgefallen sein. Sie sind auf 250 Mio. verarmt, und würden damit nur noch Platz 707 belegen. Mein Kölner Freund Jürg Frank wurde kürzlich Chef eines Vereins für Obdachlosenhilfe. “Man kenntsisch, man hilftsisch” heisst es in Köln.

Noch bitterer: bezahlte Werbung bringt nichts, auch digital nicht

Perspektivisch noch bitterer ist eine strategische Erkenntnis, die – leider – die AfD schon gewonnen hat, die aber erst am Anfang ihrer Verbreitung steht. Die vorgestern veröffentlichte Studie der Otto Brenner Stiftung formulierte es so: “Insbesondere in Thüringen wurde so gut wie keine politische Werbung von der AfD geschaltet. Um digital sichtbar zu sein, wurde dort vielmehr in eigene oder Vorfeldstrukturen investiert. Auch zeigt sich, dass diejenigen Parteien am meisten auf bezahlte Werbung setzten, die in der Fläche weniger gut repräsentiert sind. Hohe Ausgaben für Wahlwerbung übersetzen sich also nicht automatisch in politischen Stimmenfang.”

Auch bei Böhmermanns ZDF-Magazin war vor wenigen Wochen aufgefallen, dass die AfD medienstrategisch schlauer ist als die andern. Die Verarmungsparanoia von Deutschlands Zeitungsmiliardär*inn*en führt zu dem jahrtausendealten Angstreflex: die ganz unten zur Ader lassen, den Lokaljournalismus. Wo der schon geschlachtet wird, gibt es keinen Grund mehr, Demokratie auf ihm bauen zu wollen. Schneller als die Anderen macht die AfD in den Zeitungswüsten ihre eigenen Medien. So behält sie die Kontrolle über ihre Botschaften. Und reift an ihren Aufgaben.

Demokratische Institutionen, Organisationen, Parteien u.v.a. schlafen in dieser Hinsicht den Schlaf der Dummen. Und lassen sich auch noch von den Lobbyverbänden der sterbenden Zeitungsverlage einwickeln, wie ein nicht mehr ganz frischer, dummer Fisch.

Eine Woche nach meinem 68. Geburtstag wählt Deutschland. Ich werde mich über nichts wundern.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net