Ecuador: Wer profitiert vom Krieg gegen die Armen?

Mit seiner „harten Hand“ gegen Drogenhandel und Gewalt will Präsident Noboa Ecuador wieder sicher machen. Doch während in den Armenvierteln Menschen willkürlich festgenommen werden und von Folter in Gefängnissen berichtet wird, bleibt das System dahinter unangetastet. Ein liberalisiertes Finanzsystem und die neoliberalen Reformen der letzten fünf Jahre haben einen Nährboden geschaffen, in dem illegale Ökonomien florieren. Und die legale Wirtschaft verdient kräftig mit.

„Empleo y Seguridad“ – Arbeit und eine Politik der harten Hand gegen den Drogenhandel: Mit diesem Versprechen gewann Daniel Noboa Ende 2023 die vorzeitig ausgerufenen Präsidentschaftswahlen in Ecuador. Nur einen Monat nach seinem Amtsantritt erklärte er im Januar 2024 den bewaffneten internen Konflikt und deklarierte damit 22 lokale organisierte kriminelle Gruppen als Terroristen. In Teilen des Landes haben Banden die Macht des Staates ersetzt. Die Mordrate ist auf einem Höchststand, Politiker*innen trauen sich nicht mehr zu kandidieren, und Aktivist*innen und kritische Journalist*innen leben gefährlich.

Gerne lässt sich der smarte 36-jährige Noboa, Sohn eines der reichsten Männer des Landes, der sein Vermögen im Bananengeschäft macht, medientauglich mit beschlagnahmten Kokainpäckchen ablichten. Militärs führen Operationen in den von der Gewalt geschüttelten armen Vorstädten durch. Doch die Kritik an einer fehlenden Gesamtstrategie im Kampf gegen den Drogenhandel wächst. Laut UN-Angaben bewege dieser jährlich sechs Milliarden US-Dollar in Ecuador, kommentierte Leonidas Iza, Präsident der wichtigsten Indigenen-Organisation Conaie, unlängst. Er fragt: „Diese Jugendlichen in den Armensiedlungen, die weder Ausbildung noch Arbeit und oft nicht genug zu essen haben, bewegen diese Milliarden? Natürlich nicht! Ein Großteil dieser Summe fließt durch unser Finanzsystem, Immobilien, den Exportsektor, die Häfen.”

Ein neoliberaler Nährboden

„Die Leute stellen nicht die richtigen Fragen!”, beklagt Pedro Paez, ehemaliger Minister für die Koordinierung der Wirtschaft und Superintendent für Marktkontrollen für die Mitte-Links-Regierung von Rafael Correa (2007-2017). Seiner Ansicht nach sei es kein Zufall, dass die Gewalt mit Beginn der neoliberalen Politik im Lande explodiert sei. Ein liberalisiertes Finanzsystem – schon seit Jahrzehnten in Lateinamerika etabliert – sei grundlegend für die illegalen Ökonomien. „Die Grundvoraussetzungen waren bereits da. Als die rechten Regierungen dann die Wahlen gewonnen und die Regierungen übernommen haben, konnte sich daraufhin die Drogenmafia im Staat etablieren”, sagt er.

Correa-Nachfolger Lenín Moreno (2017-21) hatte seit 2019 mit neuen Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds eine strenge Ausgabenpolitik etabliert. Diese Austeritätspolitik fiel zusammen mit der Pandemie. „Während die Leute in der Pandemie auf den Krankenhausfluren starben, zahlte Ecuador vorzeitig seine Auslandsschulden zurück!”, empört sich Paez mit Bezug auf die Umstrukturierung der ecuadorianischen Auslandsschulden an private Gläubiger. Mit dem „Gesetz zur humanitären Unterstützung” wurden in der Pandemie auch Arbeitsrechte massiv geschwächt. Die Resultate ließen nicht lange auf sich warten. Die Armutsrate stieg an, die Quote der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sank innerhalb weniger Jahre von 55 auf 40 Prozent.

Auch unter dem Folgepräsident Guillermo Lasso (2021-23), Teilhaber einer der größten Banken des Landes, Opus-Dei-Mitglied und Gründer des neoliberalen Thinktanks „Ecuador Libre”, wurden Ministerien zusammengelegt, Budgets gekürzt und Projekte gestrichen. Das Innenministerium hatte bis Oktober 2023, inmitten der schlimmsten Sicherheitskrise, die das Land je gesehen hat, nur 29 Prozent seines Haushalts ausgegeben.

Ein derart geschwächter Staat bot einen idealen Nährboden. Im Nachbarland Kolumbien war infolge der Entwaffnung der FARC-Guerilla 2017 ein territoriales Machtvakuum entstanden. Um die Grenze zu Ecuador, zuvor von der FARC kontrolliert, entstanden nun lokale Machtkämpfe von Splittergruppen.

Verwicklungen in die legale Wirtschaft…

„Die Frage lautet: Was macht es rentabler, die Drogen von Kolumbien in den Süden, über Ecuador, den Pazifik, an mehreren Militärbasen vorbei, durch den Panamakanal nach Europa zu exportieren, wo doch Kolumbien selber eine Atlantikküste hat?”, wundert sich der Ökonom Pedro Paez.

Regelmäßig werden bis zu mehreren Tonnen Kokain in Bananenkisten gefunden, darunter auch in den Kisten des Noboa-Konzerns – der Familie des amtierenden Präsidenten. Ans Licht der Öffentlichkeit dringen die Namen der beteiligten Unternehmen und ihrer Aktionär*innen kaum, weniger noch die der Transportunternehmen, verantwortlicher Hafenmitarbeiter*innen oder Zollbeamt*innen. Dass das Kokain ohne deren Wissen in den Häfen oder sogar auf offener See in die Bananenkisten geschmuggelt wird, bezweifelt Paez.

Auf Verbindungen des Drogenhandels zu legalen Firmen und bis in die höchsten Ebenen der Politik deutet auch ein 2022 bekannt gewordener Betrug im Bananenexportregister hin. Über dieses System erhalten die Bananenproduzenten und -exporteure entsprechend ihrer Größe bestimmte Exportquoten. Es soll die gesetzlich festgelegten Exportmindestpreise garantieren. 14 Prozent der Quoten sollen jedoch auf Firmen eingetragen sein, die gar nicht existieren, ergaben Untersuchungen der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Das entspricht rund 23 Millionen Kilo pro Woche. Dies öffnet dem Drogenexport Tür und Tor. Bei der Festsetzung von 326 Drogensendungen seien 127 Firmen ins Visier geraten, 60 von ihnen wiederholt, äußerte die Drogenbehörde gegenüber dem Fernsehsender TC Televisión. Zwölf Firmen verfügten trotz wiederholter Vorfälle weiterhin über Exportquoten. Das Agrarministerium und die Regierung Lassos sei im Jahre 2022 darüber informiert worden, Konsequenzen – Fehlanzeige.

Fehlende Resultate zeigen sich auch in der Kontrolle der Geldwäsche. Dabei wäre das für die Aufdeckung illegaler Strukturen wesentlich. Ein Zufall scheint es nicht zu sein, denn Geldwäsche zu kontrollieren, dürfte auch den Interessen der politischen und wirtschaftlichen Elite zuwiderlaufen. So wurden beispielsweise in den Panama-Papers, dem Daten-Leak, das 2016 ein Netzwerk aus Korruption und Steuerhinterziehung offenlegte, zahlreiche Scheinfirmen in Panama mit ecuadorianischen Unternehmen in Verbindung gebracht. Darunter waren der Noboa-Konzern und die Bank von Ex-Präsident Lasso, die Banco de Guayaquil.

… und die höchsten Ebenen der Politik

Die Verbindungen zwischen organisierter Kriminalität und Politik reichen noch weiter. Laut Enthüllungen des Internetmediums La Posta wiesen Audioaufnahmen der Regierung Lasso nicht nur Korruptionsfälle nach. Sie zeigten auch, wie die albanische Mafia direkt Einfluss auf die Ernennung von Ministern in der Regierung des Bankers Guillermo Lasso nahm. Bevor das Parlament ihn allerdings absetzen konnte, löste er das Parlament auf, woraufhin es 2023 zu Neuwahlen kam.

Im Zuge aufgedeckter Kokainexporte war ein Verbindungsmann der albanischen Mafia, Rubén Cherres, ins Visier der ecuadorianischen Ermittler*innen geraten. Mit Hilfe von Danilo Carrera, dem engsten Vertrauten und Schwager des Präsidenten, soll er Minister- und andere öffentliche Posten mit seinen Wunschkandidaten besetzt haben – unter anderem den Agrarminister Bernardo Manzano. Er war zuvor langjähriger Führungsmitarbeiter des Noboa-Konzerns.

Als der Polizeieinheit klar wird, dass sie im direkten Umfeld des Präsidenten ermitteln, wird die Ermittlung von hochrangigen Polizisten und Militärs unter Geheimhaltung gestellt, die Ermittlungseinheit aufgelöst. Einige Zeit nach dem Bekanntwerden des Berichts taucht der angeblich flüchtige und international gesuchte Mafioso Cherres tot in einem Ferienluxuskomplex bei Guayaquil auf – mit Spuren von Folter. Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft wurden bisher nicht bekannt gegeben.

Menschenrechte müssten hinter dem Krieg gegen den Drogenhandel zurückstehen. So lautete die politische Botschaft, nachdem bekannt geworden war, dass das Militär Gefängnisinsassen gefoltert haben soll. Human Rights Watch kritisiert, dass von 18000 Strafanzeigen in den Armenvierteln zwischen Januar und April 2024 nur 217 tatsächlich verurteilt worden seien, zudem deute der Tatbestand eher auf Kleinkriminelle statt eine strategische Ermittlung gegen die organisierte Kriminalität hin. Auch von zwei Tötungen durch das Militär ist die Rede.

Die Entwicklungen in Ecuador machen deutlich: Eine Strategie gegen die organisierte Kriminalität ergibt ohne Fokus auf ihre engen Verbindungen in den Staat wenig Sinn.

Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 480 Nov. 2024, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Einige Links wurden nachträglich eingefügt.

Über Sonja Gündüz / Informationsstelle Lateinamerika:

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