Mit der Bahn unterwegs in Argentinien, Chile und Bolivien – Wundersame Bahn CCXIII
Die erste Hürde auf der Reise im Frühjahr 2023 bestand darin, in Buenos Aires eine SUBE-Karte zu beziehen. Diese aufladbare Karte wird benötigt, um die städtischen Verkehrsmittel in Buenos Aires benutzen zu können, etwa um die Drehkreuze in den U-Bahnstationen (SUBTE) zu durchqueren. Bei den Nahverkehrszügen gibt es immerhin die Möglichkeit, zu einem erhöhten Fahrpreis Einzelfahrscheine zu erwerben. Erst am dritten Tag ließ sich das Problem lösen, als ein Wachmann im Stadtteil Palermo auf einen Straßenverkäufer hinwies. Der hatte in seiner Hosentasche ein Bündel SUBE-Karten dabei. Die Reise konnte beginnen. Eine Bahnreisereportage aus drei Ländern.
Zunächst ein kurzer Blick zurück in die jüngere Geschichte. Die argentinische Staatsbahn Ferrocarriles Argentinos (FA) wurde 1993 von Präsident Menem per Dekret aufgelöst. Einige Strecken wurden in der Folge privatisiert weiter betrieben, der Großteil für den Personenverkehr stillgelegt. Landesweit, somit auch in der Provinz Buenos Aires und der Metropolregion (CABA), wurden die Strecken an verschiedene, wechselnde Unternehmen übertragen. Zwischen 2008 und 2015 wurden die meisten Strecken des Personenverkehrs an die staatliche Trenes Argentinos Operaciones (SOFSE) übertragen. Seitdem ist viel neues Rollmaterial aus China importiert beziehungsweise von den lokalen Unternehmen Materfer und Emepa neu gebaut worden.
Seit dem Antritt von Präsident Milei ist eine neue Politik und damit Dynamik eingetreten, Personal wird massiv reduziert. In der Provinz Buenos Aires gab es folgende Veränderungen: Der einmal wöchentlich verkehrende Nachtzug nach Pehuajó wurde bis Bragado eingekürzt; der täglich verkehrende touristisch genutzte Triebwagen von Maipú nach Pinamar (im Anschluss an den Zug von Buenos Aires nach Mar del Plata) verkehrt noch an drei Tagen pro Woche. Die Wiederaufnahme des 2023 kurzfristig verkehrenden, dann aber nach einer Entgleisung ausgesetzten Zuges nach Bahia Blanca wurde vertagt.
Der neue touristische Zug, der seit dem zweiten Halbjahr 2023 von Mercedes nach Tomás Jofré verkehrte, fährt nicht mehr, seit einem Schaden, den ein Lastwagen mit ausgefahrener Mulde an einem Brückenbauwerk verursacht hatte. Im Gegensatz dazu wird der Bahnhof Lozano, mitten in der Pampa, seit diesem Jahr wieder angefahren. Der Zug von González Catán über Marcos Paz und Villars wird am Wochenende nach Lozano verlängert, wo man sich während knapp drei Stunden in einer Gartenwirtschaft aufhalten kann. Mit mir nutzten lediglich sieben weitere Fahrgäste diese Möglichkeit, während der aktuell eingestellte Zug von Mercedes über Altamira nach Tomás Jofré sehr gut ausgelastet war.
Die Fahrten von der jeweiligen Endstation der S-Bahn weiter in die Provinz waren im Jahr 2024 für mich sinnbildlich für den aktuellen Zustand der Eisenbahn: Von Villa Ballester nach Zárate zieht eine schwere Diesellokomotive von GM zwei Personenwagen mit je 100 Sitzen, benötigt werden pro Zug fünf Angestellte. Von Merlo über Luján nach Mercedes sind es vier bis sechs Wagen mit guter Auslastung. Allerdings waren diesen Frühling die SUBE-Lesegeräte in den Bahnhöfen außer Betrieb und die Schalter geschlossen, womit auch keine Fahrgeldeinnahmen generiert werden konnten. Im Zug wurden weder Fahrkarten kontrolliert noch welche verkauft.
Im Fernverkehr ist der seit 2023 etwa alle zwei Wochen von Buenos Aires her verkehrende Nachtzug zwischen Junín und Palmira (Provinz Mendoza) wieder aufgegeben worden. Auch hier gab es das Problem mit dem Fahrkartenkauf: Anfang März 2024 kostete die Fahrt von Buenos Aires nach San Miguel de Tucumán 12000 Pesos, was etwa dem Gegenwert von vier Cappuccinos in einer der üblichen Kaffeehausketten entsprach. Demzufolge waren alle Züge jeweils am Tag nach der Freigabe der Reservierungen (bei mir am 1. März) ausverkauft. Für die Eisenbahn ist es eine Gratwanderung, die Fahrgäste nicht an den schnelleren, aber teureren Bus zu verlieren, aber trotzdem genügend Einnahmen zu generieren. Ich konnte für den März keinen Fahrschein erwerben und kaufte demzufolge für viel mehr Geld bei Aerolíneas Argentinas ein Ticket.
Touristische Attraktionen: Dampfloks und Solarzug
In der Provinz Río Negro gab es ab San Carlos de Bariloche einige Lichtblicke. Während im argentinischen Sommer mitten in der Saison nur zwei Mal pro Woche ein Touristenzug mit modernem Triebwagen von Bariloche zu einem Grillrestaurant beim Bahnhof Perito Moreno (eine Stunde Fahrt) angeboten wurde, kamen Anfang April der Personenzug aus Ingeniero Jacobacci mit einem aufgearbeiteten spanischen Triebwagen (zwei mal pro Woche) und Ende Mai der Fernzug aus San Antonio Oeste (ein mal pro Woche) wieder in Fahrt. Eine baldige Verlängerung von letzterem auf der Strecke von und nach Viedma ist in Arbeit.
Enttäuschend hingegen war der Besuch der Kohlebahn im sehr weit südlich gelegenen Río Turbio (Provinz Santa Cruz). Bis 1996 war der Ort ein Ziel für Dampflokfans aus aller Welt. Doch dann wurden für den Kohletransport zum Hafen Punta Loyola (bei Río Gallegos) in Bulgarien gebrauchte Diesellokomotiven rumänischen Fabrikates gekauft. Mittlerweile finden die Kohletransporte etwa alle zwei Wochen statt. In Río Turbio warten zwei aufwändig in Buenos Aires restaurierte, mit Kohle befeuerte Dampflokomotiven von Mitsubishi und fünf betriebsbereite historische Personenwagen darauf, eine Touristenattraktion zu werden. Der „Tren del fin del Mundo“ in Ushuaia oder „La Trochita“ in Esquel dienen als Vorbilder, auch das Potenzial für die Nutzung ist angesichts der Kreuzfahrtpassagiere, die im nahen Puerto Natales anlegen, vorhanden. Man muss nur wollen …
Apropos Touristenzüge: Der „Tren a las Nubes“ in der Provinz Salta erfreut sich großer Beliebtheit und ist immer ausgebucht. Allerdings fährt er nur noch auf dem 22 Kilometer langen Abschnitt von San Antonio de Los Cobres (3774 m. ü. M.) zum Viaducto La Polvorilla (4188 m. ü. M.). Der Transfer ab dem Bahnhof Salta erfolgt per Bus. Ein weiterer Touristenzug im Norden Argentiniens konnte im Juni 2024 (mit einiger Verzögerung aus administrativen Gründen) den Betrieb aufnehmen, der „Tren Solar de la Quebrada“ in der Provinz Jujuy. Er fährt mehrmals pro Tag auf einem wiederaufgebauten, 42 Kilometer langen Teilstück der zu Menems Zeiten stillgelegten Strecke von San Salvador de Jujuy in Richtung Bolivien (Ramal C), von Volcán nach Tilcara. Die in China gebauten elektrischen Panoramatriebwagen sind mit Lithiumbatterien ausgerüstet und beziehen den Strom von Solarfeldern in der Provinz.
Chile: Mit dem Schnellzug Richtung Süden
In Chile fährt der erste Hochgeschwindigkeitszug Südamerikas. Schritt für Schritt wurde 2024 die Verbindung in Betrieb genommen, erst von Santiago nach Curicó, ab März bis Talca und am 17. April 2024 wurde in Anwesenheit von Präsident Gabriel Boric erstmals die Endstation Chillán erreicht. Bis dahin mussten Unwetterschäden an Brücken beseitigt werden. Die in China gebauten Triebzüge fahren drei Mal am Tag von Santiago nach Chillán und erreichen auf den sanierten Gleisen streckenweise eine Geschwindigkeit von 160km/h. Die Bestuhlung ist im Vergleich zum Bus oberhalb der Klasse „Semicama“ (1) anzusiedeln, im Bistrowagen gibt es Getränke und Snacks zu kaufen.
In Talca kann man zwei Mal pro Tag zum letzten Schmalspurzug südlich der Hauptstadt umsteigen. In einem von Ferrostaal in Essen gebauten Schienenbus geht es zur Stadt Constitución am Pazifischen Ozean. Diese Stadt wurde im Februar 2010 Opfer eines großen Erdbebens und eines Tsunamis, der Dutzende von Todesopfern erforderte und auch die Bahn in Mitleidenschaft zog. Einige Jahre später führten Unwetterschäden häufig zu längeren Unterbrechungen. Immer wieder wurde die Bahn repariert. Unterwegs fährt sie Weiler an, die über die Straße nur schwer zu erreichen sind. Seit 2007 hat sie den Status eines „Monumento nacional“. Neue Triebwagen sind zurzeit in Brasilien im Bau; bis zu deren Inbetriebnahme kann man in Constitución noch das Abdrehen eines Ferrostaal-Schienenbusses per Muskelkraft auf einer Drehscheibe beobachten.
An Pfingsten 2024 fuhr erstmals seit einigen Jahren wieder ein Sonderzug von Santiago nach Temuco. Weil südlich von Chillán die Fahrleitung demontiert wurde, wurde der Zug von einer Diesellokomotive gezogen. In Temuco gibt es einen Vorortverkehr mit modernen, in China gebauten Dieseltriebwagen Richtung Pitrufquén (südlich) und Victoria (nördlich). Vergleichbare Angebote gibt es von Concepción, Valparaiso und bald von Puerto Montt aus.
Zwei wahre Attraktionen für Eisenbahnfans motivierten mich, im April 2023 von Santiago nach Arica im hohen Norden zu fliegen: zum einen der Touristenzug nach Poconchile auf der Strecke von Arica nach La Paz, die im chilenischen Abschnitt derzeit nur auf den besagten 36 Kilometern regelmäßig befahren wird. Der Zug besteht aus zwei Personenwagen, die von Schindler in Pratteln (Schweiz) gebaut wurden, einer als Triebwagen, der andere als Anhänger. Gezogen werden diese Fahrzeuge von einer US-Diesellok. Dieser Zug fährt an bestimmten Daten etwa einmal im Monat und lässt sich auf der EFE-Website buchen.
Nach einer langen Unterbrechung und Ungewissheit während der Pandemie wurde am 9. März 2023 der internationale Bahnverkehr Arica-Tacna (Peru), von der Provinz Tacna betrieben, wieder in Betrieb genommen. Zurzeit zwei Mal pro Tag und Richtung reist man in Arica am Bahnhof offiziell aus Chile aus, fährt an Strand und Flughafen vorbei über die Grenze, bis man den Stadtrand von Tacna erreicht. Bis zum dortigen Bahnhof, wo die Einreiseprozedur von Peru stattfindet, erzwingt sich der Zug wie eine Tram laut trötend seinen Vortritt gegenüber dem Autoverkehr. Nachdem alle Fahrgäste in Peru eingereist sind, kann man das im Bahnhof ansässige Eisenbahnmuseum besichtigen. Die beiden eingesetzten Fahrzeuge 257 und 261 sind geschichtsträchtig: Im Jahr 1936 von Sentinel (England) als Dampftriebwagen für die Peruanische Zentralbahn gebaut wurden sie nach wenigen Jahren mit einem Dieselmotor versehen. Seit Jahrzehnten sind sie nun unermüdlich zwischen dem Süden Perus und dem Norden Chiles im Grenzverkehr anzutreffen.
Bolivien: Schienenbus und günstige Tarife
Der vierwöchige Aufenthalt in Bolivien im Mai 2024 war für mich eine Premiere. Eingereist in Villazón, ging es zuerst per Bus nach Uyuni. Die Bahnverbindung von Villazón nach Oruro wurde erst kurz zuvor wieder für den Personenverkehr in Betrieb genommen. Statt den geschichtsträchtigen Zügen „Expreso del Sur“ und „Wara Wara del Sur“ verkehrt noch ein „Ferrobus“, gebaut von Ferrostaal Essen. Dieser verlässt am Donnerstagnachmittag Villazón und erreicht Oruro am Freitagmorgen. Südwärts ist er von Montagabend bis Dienstagnachmittag unterwegs. Eine wirkliche Nachfrage besteht nicht mehr – traurig für den Eisenbahnfan, erfreulich für die Einheimischen. So ist zwischen Tupiza und Atocha eine neue, atemberaubende, gleichzeitig breite und mit Leitplanken gesicherte Passstraße gebaut worden. Der „Servicio social“ (Personentransport zum vergünstigten Tarif) für die Dörfer in der Schlucht zwischen Tupiza und Atocha, wird zwei Mal pro Woche mit einem zum Schienenbus umgebauten Mercedes-Benz 914 durchgeführt, wenn nicht gerade Reparaturarbeiten an Fahrzeug oder Strecke durchzuführen sind.
Der andere Personenzug des Bahnunternehmens FCA (Ferroviaria Andina) auf dem Altiplano verkehrt auf der bereits erwähnten Strecke Arica-La Paz zwischen Viacha (nahe El Alto) und Charaña, ebenfalls zwei Mal pro Woche als „Servicio social“. Der fast zwei Meter lange Ausländer ist natürlich DIE Attraktion im Zug; Gepäck und Fahrräder werden auf dem Dach transportiert. An die Übernachtung in einer Herberge auf fast 4100 Metern Höhe im Schlafsaal mit Bauarbeitern werde ich mich noch lange erinnern, an die servierte sehr schmackhafte Cazuela auch.
Die Bahnverbindung von El Alto zum Bahnhof La Paz wurde zugunsten des Seilbahnsystems aufgehoben. Der Hauptbahnhof ist schön renoviert, ein Seilbahnterminal und ein Eisenbahnmuseum sind dort zu finden. In Cochabamba wurde 2022/2023 unter Federführung eines Schweizer Konsortiums eine neue elektrische Vorortbahn auf der Trasse der alten Staatsbahn zum alten Hauptbahnhof errichtet. Die von Stadler in Minsk montierten klimatisierten Niederflurzüge verkehren zurzeit im dichten Takt von Cochabamba auf der „grünen Linie“ westwärts nach Suticollo (27 Kilometer auf der früheren Strecke Richtung Oruro) und auf der „roten Linie“ bis zur Haltestelle Kiñiloma (sieben Kilometer auf der früheren Strecke nach Aiquile).
Der Autor ist Präsident des Schweizer Vereins „Freunde Lateinamerikanischer Bahnen“. 2023 und 2024 hatte er für jeweils mehrere Monate die Gelegenheit, die südlichen Länder Südamerikas mit Bahn und Bus zu bereisen. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 481 Dez. 2024, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn.
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