Der links-unabhängige Matías Toledo wird Bürgermeister von Puente Alto
In der bevölkerungsreichsten Kommune Chiles, im Süden der Hauptstadt Santiago, konnte Matías Toledo als unabhängiger Kandidat die Rechten nach 24 Jahren aus dem Amt vertreiben. Er kommt aus den sozialen Bewegungen, hat in verschiedenen sozialpolitischen Projekten gearbeitet und war an der Gründung der „Coordinadora Social Shishigang“ beteiligt.
Am Wochenende 23./24. November fanden in Chile Kommunal- und Regionalwahlen statt. Die Rechte konnte ein paar Gewinne verzeichnen, die Verluste des linken Regierungsbündnisses fielen geringer aus als befürchtet. Kein Lager kann sich als Sieger sehen, aber eine Überraschung wird in allen Berichten hervorgehoben: Der parteilose Linke Matías Toledo erreichte in Puente Alto mit 51,5 Prozent die absolute Mehrheit. Präsident Boric postete noch am selben Abend ein Selfie mit ihm.
Matías Toledo ist Informatiker, 35 Jahre alt und lebt seit seiner Kindheit in Puente Alto. Schon 2021 kandidierte er für das Bürgermeisteramt, damals noch erfolglos. Er war mehrere Jahre Mitglied der aus sozialen Bewegungen hervorgegangenen Partei „Partido Igualdad“ und 2022-23 deren Vorsitzender. Diesmal kandidierte er als Unabhängiger. Das Geheimnis seines Wahlerfolges dürfte seine langjährige Basisarbeit in dieser Kommune sein. Schon in der Schüler*innenbewegung von 2006 war er Sprecher seines Gymnasiums. Er hat in vielen sozialen Projekten gearbeitet und hält Kontakt zu Armenküchen und Nachbarschaftsvereinigungen. Letztes Jahr war er Mitgründer der Bewegung „Recuperemos Puente Alto“, in der sich mehr als 180 Organisationen aus der Kommune zusammengeschlossen haben. 2019 hatte er mit dem bekannten Trap-Musiker Pablo Chill-E die Koordination Shishigang gegründet. Zu den diesjährigen Wahlen äußerten sich nur wenige Musiker*innen, aber Pablo Chill-E unterstützte die Kandidatur von Matías Toledo mit einem Video. Er hat auf Instagram 2,3 Millionen Follower.
Shishigang: Aus dem Viertel für das Viertel
Pablo Chill-E ist ebenfalls in Puente Alto verankert und thematisiert mit seinem Trap das Leben der Straße und der Armenviertel. Zusammen mit seinem Freund Ignacio Aranera, der als Friseur kostenlose Haarschnitte für Obdachlose anbietet, hatte er schon verschiedene soziale Projekte initiiert. Matías Toledo nahm sie mit in das Zentrum „Rayita de Luz“, ein Projekt für Kinder in schwierigen Situationen. Gemeinsam gingen sie in die berüchtigten Heime der staatlichen Institution für Kinder- und Jugendschutz Sename und organisierten Konzerte in armen Stadtteilen. Um all diese verschiedenen Aktivitäten von Kultur, Sozialarbeit und Politik zusammenzubringen, schlug Matías den Freunden die Gründung einer Koordination vor. So entstand 2019 die Coordinadora Social Shishigang.
Unter der Parole „Sólo el pueblo ayuda al pueblo“ – Nur das Volk hilft dem Volk – unterstützen sie Bewohner*innen in ärmeren Stadtteilen und besetzten Siedlungen. Sie organisieren praktische Hilfe wie Essen, Kleidung und Baumaterialien, aber auch Kulturevents. Finanziert wird das alles durch Spenden, auch von den beteiligten und teils sehr erfolgreichen Musikern. Die Koordination vertritt den Anspruch, dass ihre Sozialarbeit nicht assistenzialistisch ist, nicht bevormundend oder befriedend, sondern emanzipatorisch und empowernd. Die Mitglieder wollen die sozialen Verbindungen im Stadtteil stärken und Leute unterstützen, die die Gesellschaft und sich selbst verändern wollen.
Am 19. Oktober 2019, dem zweiten Tag des Aufstands in Chile, verteilte die Coordinadora in Puente Alto säckeweise Zitronen gegen das Tränengas. Mit einem Video auf Instagram erklärten sie, dass sich der Aufstand gegen die Regierung und die Großunternehmen richtet, nicht gegen die Nachbar*innen, und riefen dazu auf, diese und ihr Eigentum nicht anzugreifen.
Der Aufstand ist lange vorbei, aber die Forderungen von damals sind vor allem in den Poblaciones, den ärmeren Stadtteilen, lebendig und dringend. Manche schätzen, dass sich hier wieder etwas zusammenbraut. Der Wahlsieg von Matías Toledo ist für viele ein Hoffnungsschimmer und könnte ein Hinweis in diese Richtung sein. Aber ob es für soziale Bewegungen eine gute Idee ist, sich in die Institutionen zu begeben – über diese Frage wird auch in Chile gestritten.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 481 Dez. 2024, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn.
Schreibe einen Kommentar