Wenn was weg ist, lernt mensch ihren*seinen Wert schätzen – Wundersame Bahn CCXV

Weihnachten brach die Bahn in NRW mal nicht zusammen. Obwohl Anzeichen zu erkennen sind, dass es unter höherer Belastung bald wieder geschehen wird. Als mein*e Leser*in wissen Sie, dass ich vorwiegend zwischen Bonn und dem Ruhrgebiet pendle. Aufgrund von Digitalzwang bei der Bahncard und überteuerter Fernverkehrstrarife nur noch mit 49 bzw.58€-Ticket. Die öffentlichkweiswirksam bejammerte Streichung von 20 Fernverkehrsverbindungen für Bonn Hbf. geht mir also am Allerwertesten vorbei.

Im Gegenteil: sie macht Hoffnung, in den Bahnen für das niedere Volk seltener in Kalscheuren, Brühl, Sechtem, Roisdorf, Porz oder Troisdorf sinnlos ausgebremst (“Überholung durch einen verspäteten Zug des Fernverkehrs”) zu werden. Mein Hauptverkehrszug ist nun wieder, wie 2002-05 beim Pendeln nach Düsseldorf, der RE5 (“RRX”). Auf der RRX-Homepage wird das hier absolut ehrlich als “Vision” (“wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen”) bezeichnet: “Zuverlässige Verbindungen, dichte Takte und moderne Züge: Der RRX ist das wichtigste Schienenprojekt auf dem Weg zum Bahnland NRW.”

Wirklichkeit ist lediglich “moderne Züge”: der Zug wird so oft ausgebremst, dass er ohne leistungsstarke Bremsen und hohe Beschleunigung kaum fahren könnte. Der “Takt” ist von und nach Bonn je einmal in der Stunde – ungefähr. Und im Verkehrssystem der DB-Netz überholt der RRX nicht andere Züge, sondern gehört zu denen, die ständig überholt werden. Immerhin: heute nur zweimal zwischen Duisburg und Köln.

Aber jeder Versuch, sich mit anderen Verbindungen zwischen Bonn und dem Ruhrgebiet zu bewegen, ist zwecklos. So besteht in Duisburg oder Oberhausen Umsteigezwang Richtung Osten. Es ist furchtbar (mit Gepäck), aber es geht.

Auffällig an den Weihnachtsfeiertagen: Zugbegleitpersonal und Bahnsteigaufsichts- und Servicepersonal ist entweder nicht mehr vorrätig oder von den Controller*inne*n im DB-Hochhaus in Berlin wegrationalisiert. Was zur Rache der Wirklichkeit am Fahrplan führt. Von Bonn aus kommend kam der RE5 nicht in den Kölner Hbf. rein, weil das Gleis durch einen vorausfahrenden Zug blockiert war, der nicht rauskam. Immer wieder kamen Menschen die Treppe hochgerannt und erklommen ihn noch knapp und glücklich. Niemand konnte dieses Treiben stoppen. Immer war eine Tür auf, die den einsamen Lockpiloten vorne an der Abfahrt hinderte. Ich hoffe sie*er hat leistungsstarke Monitore, die schwere Unfälle vermeiden lassen.

Auch mein RE5 wurde zwischen Köln und Duisburg 5mal ausgebremst, weil sich irgendeine Tür nicht schloss. Alle Züge haben dafür eine automatische Ansage. Wirkungsvoller sind die Ausnahmefälle, in denen die*der Lokführer*in das Wort am Mikro persönlich ergreift. Das aktiviert auch die Fahrgäste zum mithelfen – in ihrem eigenen Interesse. Die geringe Verspätung (knapp 10 Min.) wurde ausschliesslich durch diese Vorgänge eingefahren.

Auffällig an den Feiertagen: die hohe Auslastung der preisgünstigen Züge. Der RE1 zwischen Hamm und Aachen war eigentlich schon unbenutzbar – keine Chance mehr, ihn zu besteigen. Das Problem wird sich in ganz NRW vergrössern. Aufgrund des Personalmangels – und der damit einhergehenden “günstigen” Gelegenheit für Sparmassnahmen durch Bahn und Verkehrsverbünde, werden zahlreiche Ergänzungslinien von REs und S-Bahnen gestrichen, und die Belastung der Hauptlinien damit vergrössert. Sie werden also weder komfortabler noch pünktlicher.

Und da sind die Baustellen der nächsten Jahre noch gar nicht eingepreist.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net