netzpolitik.org / ARD (mit zwei Updates 4.1.) / BRD

Zuerst die gute Nachricht. Wie jedes Jahr ist es den Kolleg*inn*en von netzpolitik.org am letzten Tag des Jahres gelungen, ihr Spendensoll für den Betriebsetat des Folgejahres zu erfüllen: knapp 400.000 €. Das ist in dieser Form und diesem Umfang nach meiner Kenntnis auf dem deutschen Medienmarkt einmalig, und für ein derartiges netzpolitisch-kritisches Magazin mit klarer Orientierung für Menschen- und Bürger*innen-Rechte sensationell. Mein Glückwunsch und meine Dankbarkeit für dieses unersetzliche Engagement.

In vergangenen Jahren war mir aufgefallen, dass die Augstein-Stiftung zu den relevanten Spender*inne*n zählte. Dieses Jahr ist von einer “großen Einzelspende einer Privatperson” die Rede. Mann darf erwarten, dass hier noch Transparenz nachgeliefert wird. Aus meiner Sicht ist es weder peinlich noch verwerflich, bespendet zu werden, wenn die eigene Handlungsautonomie dadurch nicht geschwächt sondern gestärkt wird. Die erwarte ich von netzpolitik.org, und bin bislang darin nicht enttäuscht worden.

Eigentor ARD

Nun hat er sich durch eigene Dummheit und optimal-doofe Assistenz der ARD doch zum “Fall” aufgeblasen: Thilo Mischke. Bei mir hat er noch nicht viel Erregung hervorgerufen. Aber wie die ARD und er über ihre eigenen Beine stolpern, das hat heute Ralf Heimann/MDR-Altpapier mit dankenswerter Präzision aufgeschrieben: Die Ruhe nach dem Sturm – Im Fall Thilo Mischke wird der Druck immer größer. Jetzt könnte das passieren, was in solchen Fällen immer wieder passiert.”

Ich habe selbst im Fach “Krisenkommunikation” gearbeitet, direkt für den Klassenfeind, einen grossen multinationalen Konzern, der weit Schlimmeres angerichtet hatte, als Herr Mischke. Zumindest für die Reichweite meines Auftrages konnte ich ihn an weiteren schweren Fehlern hindern. Das war gut bezahlt und inhaltlich erfolgreich. Keine Kunst, nichts, wofür ich mich rühmen will, sondern schlichtes, seriöses Handwerk.

Nun frage ich mich: hat Herr Mischke keine beratende Agentur? Und was macht eigentlich die ARD-PR-Abteilung so den ganzen Tag? War sie in den letzten zwei Wochen überhaupt auf Arbeit, oder alle in Urlaub? Gab es Skiunfälle und personelle Unpässlichkeiten, wie bei Lokführer*inne*n der Bahn? Schicht- und Stallwachenpläne kaputt? Oder fehlte es schlicht an Kompetenz? Lernen was-mit-Medien-Leute nicht im Volontariat, dass angeblich “nachrichtenarme” Sommer-, Weihnachts- und Neujahrslöcher immer mit besonderen Diskursrisiken (aber auch -chancen!) verbunden sind? Und ihre Vorgesetzten nicht, dass dem arbeitsorganisatorisch vorgebeugt werden muss? Und das auch mit unseren fantastischen Kommunikationstecniken kein unlösbares Problem ist? All diese Fragen drängen sich auf. Und die Frage, wofür wir das alle bezahlen.

Update 4.1.

Die SZ berichtet (Paywall), dass es “nicht zu einem Engagement des Journalisten bei der bekanntesten Kultursendung Deutschlands” komme. Eine Formulierung – aufgeblasen, wie der ganze “Fall”. Dass es zu dem überhaupt kommen konnte, liegt weniger an Mischke, als … ja. an wem? Wer ist verantwortlich? Mann hätte von einem öffentlichen Sender schon mal gerne Name und Adresse. Und Konsequenzen.

Update 4.1. nachmittags

In einer dpa-Meldung zu dem “Fall” heisst es: “… die ARD war zunächst nicht erreichbar”. Das ist aber nicht wahr, oder? Fakenews oder dpa-Recherchefehler – ist nicht die Regel, aber kommt vor … oder?

Das relevantere Eigentor schiesst unsere B-Republik-D

Manuel Gath & Anja Hoffmann/IPG-Journal beschreiben es am Beispiel Marokko. Es könnte aber in ähnlicher Weise aus fast allen bevölkerungsreichen Ländern dieser Welt mit nichtweisser Bevölkerung berichtet werden: Angeschlagenes Image – Die Migrationsdebatte in Deutschland wird in Marokko sehr genau beobachtet – und schreckt Fachkräfte ab.”

Die inländische Öffentlichkeit irrt, wenn sie glaubt, weil die Mehrheit der Deutschen sich nicht die Bohne für “fremde Länder” interessiert, sei das umgekehrt auch so. Sie beobachten “uns” interessierter und weit wacher, als “wir” sie. “Wir” machen uns selbst bildungsarm. Sie werden “uns” abhängen. Den Dank richten Sie bitte an die am 23.2. gewählt werdende politische Mehrheit.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net