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Verbreitet “Spiegel” Fake News?

Wenn alte Männer und Frauen Bücher schreiben, gibt es grundsätzlich zwei Kategorien. Diejenigen, die – weil sie nichts mehr werden wollen – engagiert und mit Herzblut in der Sache mit Kompetenz und Erfahrung steitbar kämpfen: Antje Vollmer und Gerhart R. Baum, sind solche Beispiele. Und dann sind da noch andere, bei denen Eitelkeit und nachlassendes Gedächtnis oder mangelnde Seriosität die Agenda bestimmen. Auf einen solchen ist der “Spiegel” dieser Tage hereingefallen – und mit ihm ein großer Teil der Nicht-mehr-selbst-recherchierenden-Presse. Der Historiker Heinrich-August Winkler ist so ein Fall. Einst renommierter Historiker, der in der CDU begann, sich in Rahmen der Ostpolitik der SPD und Willy Brandt zuwandte, versucht sich neuerdings am Asylrecht. Anfang der Woche verstieg er sich zur Behauptung, der Parlamentarische Rat habe nie ein individuelles Recht auf Asyl gewollt. Seine historischen Quellen sprechen für das Gegenteil.

Winkler breitet sich im “Spiegel” dieser Woche als Kronzeuge der Umdeutung des Asylrechts aus. Ein Zitat von Herrmann von Mangoldt, Mitglied des Rates und späterer Kommentator des Grundgesetzes,  wird von Winkler unzulässig uminterpretiert. Von Mangoldt habe den Satz “Politisch Verfolgte genießen Asylrecht – im Rahmen des Völkerrechts” entworfen und das hieße eben nicht, dass Väter und Mütter des Grundgesetzes ein Individualrecht hätten schaffen wollen. Für diese Interpretation gibt es keinerlei historischen Beleg. Allerdings für das Gegenteil. Zwar hat v. Mangoldt den ursprünglichen Antrag so eingebracht, aber er hat auch am 4.12.1948 im Parlamentarischen Rat erklärt: “Wenn wir irgendetwas aufnehmen würden, um die Voraussetzungen für die Gewährung des Asylrechts festzulegen, dann müsste an der Grenze eine Prüfung durch die Gesetzorgane vorgenommen werden. Dadurch würde die ganze Vorschrift völlig wertlos.”  Gemeinsam mit Carlo Schmid hat v. Mangoldt sich im übrigen gegen eine Verengung des Asylrechts auf deutsche Staatsbürger erfolgreich eingesetzt.

Kommunikatives Desaster des “Spiegel”

Die Interpretation Winklers ist schon deshalb nicht zulässig, weil sich das Grundrecht eben nicht nur auf Deutsche bezieht, sondern bewusst sinngemäß an das Völkerrecht anknüpft, an die individuelle Selbstbestimmung und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die zeitgleich von den Siegermächten in der UN beraten, beschlossen und am 10.12.1948 in Paris verkündet wurde. Das Individualrecht, das bereits 1993 durch den Artikel 16a GG entscheidend ausgehöhlt wurde, stand in konstitutivem Zusammenhang mit der Rechtswegsgarantie nach Artikel 19 Absatz 4 GG. Professor Winklers Interpretation ist somit nichts als bedenkliche Geschichtsklitterung. Dass Friedrich Merz ihn in seiner rassistisch motivierten Kampagne gegen Flüchtlinge und Migrant*inn*en als Kronzeugen zitiert, ist nicht verwunderlich. Dass der “Spiegel” den 86-jährigen Professor  mitten in einer Kampagne von Rechts – AfD, BSW und CDU sowie Teilen  der FDP gegen Flüchtlinge und Einwanderer – solchen hahnebüchenen Behauptungen eine breite Bühne bietet, ist schon traurig.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Rolf Sachsse

    Mir ist Winkler schon bei den Sitzungen zur Vorbereitung der Ausstellung ‘Deutsche Fotografie’ in den Jahren 1996 und 1997 unglaublich starrsinnig vorgekommen, abgesehen von der Eitelkeit dieser Historiker-Kohorte (Hillgruber, Nolte, Mommsen etc.). Diskutieren konnte man nicht mit ihm, er dozierte und ging ab.

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