Wenn so viele Wähler*innen Geschmack daran finden, dann kann der sog. Autoritarismus gar nicht genug untersucht werden. Die meisten Medien haben Probleme, das zu tun. Wo sind also die Perlen im Heuhaufen? Wer wie ich welche entdeckt, muss sie freilich auch lesen lernen. Denn die meisten sind nicht perfekt, sondern von Menschen und ihren Interessen gemacht. Selten decken die sich mit meinen.
Ein prägnantes Beispiel für diese Widersprüchlichkeit ist der von Arte präsentierte Dreiteiler “Putins Oligarchen”, verfügbar bis 10.8.25..
Was wird gezeigt?
Eine recht seltene Detailschärfe im Intrigenspiel der russischen Oligarchen (Frauen bleiben unerwähnt). Deutlich wird, dass das vom kapitalistischen Westen gesponsorte System Jelzin das war, aus dem das System Putin geboren wurde. Es geht nie, niemals und nirgends um Gerechtigkeit, sondern um Macht und Machthierarchien, die sich aus grenzenloser Bereicherung ergeben. Putin hat es rücksichtslos und intelligent verstanden, die Spitze der Herde zu erobern und zu verteidigen, indem er nach strengen Loyalitätskriterien die Einen förderte, die Anderen verjagte, und wieder Andere einsperren oder komplett ins Jenseits befördern liess. Er beförderte auf diese Weise in der russischen Öffentlichkeit den Anschein einer Stabilität, nach dem sich die Mehrheit der Bevölkerung seit den katastrophalen Jelzin-Jahren mehr sehnte, als nach allem anderen. In Ruhe ein bescheidenes Leben weiterleben. So lange Putin das den Russ*inn*en gewährleistet, ist seine Macht ungefährdet.
Was wird zwar gezeigt, aber nicht gesagt?
Die Filmer Jérôme Fritel und Marc Roche nehmen Partei für die im EU-Europa herrschende Lehre. Sie benennen (und denunzieren) die Interessen-Querverbindungen, die es zwischen EU-Europa und Russland gegeben hat (und teilweise immer noch gibt). Dabei fahren sie Zeugen auf, die selbst eine personifizierte Zweifelhaftigkeit darstellen – nicht wenige einstige Putin-Adlaten, die später von ihm verstossen wurden, und sich nun revanchieren müssen. Beide Seiten verkörpern das, was der russische Volksmund seit Jelzin zutreffend als “Diebe” am Volksvermögen bezeichnet.
Meiner Erinnerung verloren gegangen war der Fall des französischen Total-Konzernchefs Christophe de Margerie, der auf ebenso merkwürdige wie spektakuläre Weise in Moskau ums Leben kam. Total, das war der Konzern, der in der Zeit der Kohl-Regentschaft im deutschen Osten eine ähnlich spektakuläre Rolle spielte (“Elf-Aquitane” fusionierte später mit “TotalFina” zu “Total”=französischer staatsmonopolistischer Kapitalismus). Einer von Russlands grössten Öltankern ist nach diesem feinen Herrn benannt, und wurde vom französischen Botschafter 2013 mitgetauft.
Diese Episode zeigt nicht nur, wie die Filmemacher Glauben machen wollen, Putins Verführung der “naiven” westlichen Demokraten. Sie zeigt die systemische Verbundenheit. Das Putin-System ist eine extremistische Interpretation des real existierenden Kapitalismus. Der sieht eben keinen Sinn in der “Fesselung” durch Rechtsstaat, Gewaltenteilung und moralischen Klimbim.
Bruder im Geiste: der reichste Feudalherr der Welt
So sieht das auch ihr arabischer Buddy “Der Prinz von Saudi-Arabien: Aufstieg” + “Reform”, ein spannend erzählter Zweiteiler der BBC in der ZDF-Mediathek, verfügbar zwei Jahre. Wenn Sie Erinnerungsprobleme haben: das ist der, der die Knochenzersäger beauftragt hatte.
Ganz nebenbei hat er “Trump I” finanziert, die Rolle, die Elon Musk bei “Trump II” übernommen hat. MBS ist über die USA verstimmt, und erwägt, sich mehr an China und den BRICS zu orientieren. Er personifiziert so die wachsenden Unwägbarkeiten einer einstmals angeblich “regelbasierten” internationalen Weltordnung.
Müsste ich in einem dieser Systeme leben, wäre ich wahrscheinlich lebenslänglich Feigling (wie es die Mehrheit ist) – oder irgendwann in Lebensgefahr. Revolutionäre Situationen ergeben sich selten (1789, 1848, 1917/18/19, leider nicht 1933). Diese Typen akzeptieren nur ihre eigenen Regeln. Wer Demokratie will, muss sie stürzen. Wobei: ihr Sturz ist eine notwendige, aber leider keine hinreichende Bedingung.
Bei allen Unzulänglichkeiten lassen beide Filmarbeiten daran keinen Zweifel.
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