Der CSU-Vorsitzende Markus Söder hat gestern öffentlich erzählt, die CSU verstehe sich als „Schutzmacht für kleine Leute“. Schon 2015 hatte sein Vorgänger Horst Seehofer, dem er in inniger Parteifeindschaft verbunden war, das Gleiche behauptet: „Wir sind die Schutzmacht der kleinen Leute.“ Beide haben sich mit diesen Worten bei einem grossen Sozialdemokraten bedient, der sich dagegen nicht mehr wehren kann: Johannes Rau, viele Jahre stellvertretender Vorsitzender der SPD, fast zwei Jahrzehnte Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und von 1999 bis 2004 Bundespräsident.
Johannes Rau forderte schon in den 1990er Jahren, die SPD müsse „immer die Schutzmacht der kleinen Leute“ sein.
In der Politik gibt es keinen geistigen Diebstahl und kein Copyright. Kein Plagiate-Jäger kümmert sich darum. Wer Aussagen anderer übernimmt, muss sich aber die Frage gefallen lassen, ob er meint, was er sagt und ob stimmt, was er sagt. An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.
Die Antwort ist klar: Der CSU-Vorsitzende übernimmt die Worte von Johannes Rau, aber er tut das Gegenteil von dem, was er sagt. Er versucht die Öffentlichkeit zu täuschen und bei ihm liegt Täuschungsabsicht vor, wie bei einem Plagiat. Das zeigen schon zwei Beispiele aus dem Bundestagswahlkampf:
Die CSU will den Solidaritätszuschlag bei den Steuern streichen. Den zahlen weniger als 10 Prozent aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Die mit den höchsten Einkommen. Die sollen, wenn es nach der CSU geht, weit mehr als 10 Milliarden Euro bekommen. Die „kleinen Leute“ gehen leer aus.
Die CSU lehnt es ab, den Mindestlohn auf 15 Euro zu erhöhen. Ein höherer Mindestlohn ist dringend nötig, damit Menschen von ihrer Arbeit leben können. Wer das ablehnt, lässt die „kleinen Leute“ im Stich, macht Politik gegen sie.
Die SPD sollte sich, auch bei den anstehenden Verhandlungen über eine neue Bundesregierung, an die Worte von Johannes Rau erinnern und sich daran orientieren.
Nur wenn die SPD „Schutzmacht der kleinen Leute“ ist, bleibt die SPD sich treu.
Johannes Rau wusste auch, dass die SPD mehr sein muss als „Schutzmacht der kleinen Leute“. Damit sie das sein kann, muss sie zugleich treibende Kraft sein für wirtschaftliche, für technische und ökologische Erneuerung in sozialer Verantwortung. Das zusammen war für Johannes Rau „Fortschritt nach menschlichem Mass“.
Dieser Beitrag erschien zuerst im “Blog der Republik”, hier mit freundlicher Genehmigung des Autors. Er hat nach Abschluss des Studiums der Sozialwissenschaften an der Universität Konstanz mehr als dreissig Jahre in der Ministerialverwaltung gearbeitet. Von 1999 bis 2004 war er stellvertretender Chef des Bundespräsidialamts bei Bundespräsident Johannes Rau. Von 2004 bis 2011 Staatssekretär in Sachsen und in Rheinland-Pfalz.
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