Finanzskandal erschüttert Uruguays Agrarsektor

Was für ein toller Krimiplot! Ein angesehener Unternehmer kommt bei einem aufsehenerregenden Unfall ums Leben, im Nachgang folgen Enthüllungen über milliardenschwere Geschäfte im rechtlichen Graubereich. Millionen sind in Steueroasen verschwunden, die Behörden haben bewusst weggesehen. Obendrein wird dahinter Geldwäsche für die Narcos vermutet. Das Problem: Es ist kein fiktiver Plot. Vielmehr sind dies Vorgänge, die im Zusammenhang mit dem Kollaps eines großen uruguayischen Agrarfonds stehen.

Verkehrsunfälle sind in Uruguay keine Seltenheit. Jährlich sterben über 400 Personen im Straßenverkehr. Gegenstand eines größeren Medieninteresses sind Verkehrsunfälle entsprechend nur dann, wenn sie entweder als besonders spektakulär gelten oder wenn die Unfallopfer eine gewisse Prominenz besitzen. Ende November 2024 kamen beide Faktoren zum Tragen. Der uruguayische Unternehmer Gustavo Basso kam ums Leben, als er auf einer Überlandstraße mit über 150 km/h in eine Straßenbaumaschine raste. Der 66-Jährige galt als einer der „Großen“ im uruguayischen Agrargeschäft. Nicht nur wegen seines eigenen Grundbesitzes, sondern vor allem in seiner Funktion als Miteigentümer der Investmentplattform „Conexión Ganadera“. Vor 25 Jahren gegründet, galt dieses Unternehmen einst als Pionier für private Geldanlagen im Geschäft mit der Rinderzucht.

Die Nachrufe auf Basso waren noch keine zwei Monate alt, da beauftragte die Staatsanwaltschaft eine Spezialfirma in Großbritannien, die „Black Box“ von Bassos Tesla dahingehend zu analysieren, ob es sich bei dem Zusammenstoß zweifelsfrei um einen Unfall gehandelt hatte oder auch ein Freitod in Betracht gezogen werden könnte. Während die Ergebnisse dieser Untersuchung noch nicht bekannt sind, wurde durch einen DNA-Test bestätigt, dass es sich bei dem Toten wirklich um Basso handelt. Ende Februar hatten die Ermittlungsbehörden den Test angeordnet, da auch ein fingierter Tod nicht auszuschließen war. Aus einem angesehenen Geschäftsmann war innerhalb weniger Wochen eine Schlüsselperson in einem der größten Finanzskandale der uruguayischen Geschichte geworden. „Conexión Ganadera“ entpuppte sich als gigantisches „Pyramidensystem“, in dem über 4000 Anleger*innen um insgesamt 250 Millionen US-Dollar gebracht wurden – (nicht nur) für uruguayische Verhältnisse sehr viel Geld. (1)

Explizit nicht kontrolliert

Seit Anfang des Jahres vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Enthüllungen, Anklagen und Aussagen von Betroffenen zu dem Fall in den Medien für Aufschrecken sorgen. Auch die Rolle staatlicher Stellen wird dabei kritisch unter die Lupe genommen. Eine institutionelle Kontrolle durch die Zentralbank, wie sie bei Finanzgeschäften dieser Größenordnung zu erwarten gewesen wäre, fand explizit nicht statt. Die Begründung dafür: Die Besitzer*innen von „Conexión Ganadera“ seien stets darauf bedacht gewesen, ihre Firma formal nicht als Investmentfonds zu betreiben, sondern lediglich als Kreditvermittler zwischen Privatpersonen (Landbesitzer*innen ohne Viehbestand einerseits, Geldgeber*innen für den Erwerb von Vieh andererseits). Von dem Netz an Firmen, das die Besitzer*innen und leitenden Angestellten von „Conexión Ganadera“ rund um ihre „Vermittlungsgeschäfte“ gesponnen hatten, sollte (oder wollte) niemand etwas wissen.

Enrique Rodríguez, der als Staatsanwalt die strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Führungsspitze von „Conexión Ganadera“ leitet, spricht mittlerweile nicht nur von einem „Pool von 14 oder 15 Unternehmen“, die in Verbindung mit den Geschäften des Fonds stünden. Seinem Ermittlungsansatz zufolge sei über diese Struktur „unrechtmäßig erworbenes Geld in andere Investitionen oder Geschäfte“ umgeleitet worden. Dabei geht es auch um Konten und Firmen, die im Ausland eröffnet wurden, etwa in Panama und Andorra sowie dem US-Bundesstaat Delaware. Brisant dabei ist die Tatsache, dass gesetzliche Vorgaben, die zur Bekämpfung von Geldwäsche im Finanzsektor beitragen sollen, einfach ignoriert wurden. So musste niemand, der in großem Umfang Geld in das Geschäft investierte, dessen legale Herkunft belegen. Entsprechend gedeihen nun die Spekulationen, inwieweit über „Conexión Ganadera“ Drogengelder gewaschen wurden.

Virtuelle Rinder

Nicht nur die Finanzaufsicht steht in der Kritik, auch die Strukturen, die die uruguayische Viehwirtschaft kontrollieren sollen. Dazu zählt das beim Landwirtschaftsministerium angesiedelte elektronische Register SNIG, in dem alle zwölf Millionen Rinder des Landes aufgeführt sind, inklusive hinterlegtem Eigentumstitel, Impfstatus und Aufenthaltsort. Die Grundlage dafür ist ein Chip am Ohr der Tiere, die damit eindeutig identifiziert werden können. „Conexión Ganadera“ warb damit, dass die Investitionen durch die Rinder gedeckt seien, und belegte dies mit Einträgen aus dem staatlichen Register. Allerdings gibt es jetzt begründete Zweifel an der Glaubwürdigkeit der SNIG-Daten. Zumindest mehren sich die Berichte, nach denen die Rinder zwar einzelnen Investor*innen zugeordnet waren, in der Realität aber gar nicht existierten. Bei einem der Unternehmen aus dem Umfeld von „Conexión Ganadera“ wurde bekannt, dass es anstelle der fast 4000 angegebenen Rinder gerade einmal 49 besaß.

Auch bei einem beträchtlichen Teil der angeblich über 100000 Rinder, die in der Konkursmasse sein sollen, fehlt jede Spur. Im Moment geht Konkursverwalter Alfredo Ciavattone davon aus, dass es sich tatsächlich nur um gut 70000 Rinder handeln dürfte, die zum Teil aber noch gefunden werden müssen.

Auf Unterstützung von Seiten des Landwirtschaftsministeriums konnte Ciavattone bislang nicht zählen, da es der Behörde nach eigenen Angaben an Personal fehle, um in Frage kommende Rinderherden zu überprüfen. Stattdessen wird darauf gehofft, dass sich im April im Zuge der verpflichtenden Impfung aller Rinder gegen die Maul- und Klauenseuche der tatsächliche Aufenthaltsort der Tiere klären lässt.

Die Behörden könnte das Informationsdesaster noch teuer zu stehen kommen. Anfang März berichtete die Tageszeitung El Observador von der Vorbereitung einer Zivilklage von Geschädigten gegen das Landwirtschaftsministerium aufgrund „unterlassener Kontrollen“.

Versuchte Schadensbegrenzung

Rinderzucht ist nach wie vor eine tragende Säule der uruguayischen Ökonomie, fast 20 Prozent der Exporte gehen allein auf diesen Wirtschaftszweig zurück. Jetzt steht die Befürchtung im Raum, dass sich der Skandal um „Conexión Ganadera“ negativ auf den gesamten Sektor auswirken könnte, da niemand mehr von außen in den Bereich investieren möchte. Entsprechend laut wird jetzt Schadensbegrenzung versucht – sowohl von Seiten der Politik als auch der Landwirtschaftsverbände. Das Credo dabei ist, dass der Fall „Conexión Ganadera“ nichts mit der Viehwirtschaft per se zu tun habe, die ja sonst seriös betrieben werde. Eine Darstellung, an der Zweifel angebracht sind.

Zum einen ist der Skandal um „Conexión Ganadera“ momentan nicht der einzige im Umfeld solcher Fonds. Zwei weitere sind jüngst ebenfalls kollabiert. Auch hier gibt es den Verdacht von illegalen Handlungen, die bei Anleger*innen zu einem Verlust von insgesamt rund 100 Millionen US-Dollar geführt haben. Zum anderen gibt es eine Vielzahl weiterer Fonds, die in demselben Sektor und demselben rechtlichen Graubereich tätig sind. Über deren tatsächliche finanzielle Situation ist bislang nichts bekannt. Ebenso wenig ist absehbar, ob beziehungsweise in welchem Rahmen Konsequenzen aus dem Skandal gezogen werden. Ángel Urraburu, Chef der Börse von Montevideo, tritt dafür ein, „dass ein Unternehmen, das mit Hilfe von Marketing und Massenwerbung um öffentliche Spareinlagen wirbt, zwingend bestimmte, von der Zentralbank festgelegte Vorschriften einhalten muss“.

Dagegen formiert sich Widerstand. So warnte der konservative Senator Sebastián Da Silva bereits davor, „die Viehzucht überzuregulieren, nur weil Privatgeschäfte ein schlechtes Ende genommen haben“. Stattdessen müsse sich „das System selbst wiederaufbauen, um Glaubwürdigkeit schaffen“. Pikanterweise hatte Da Silva in der Vergangenheit selbst dafür geworben, Geld in „Conexión Ganadera“ zu investieren.

Welche regulatorischen Konsequenzen tatsächlich gezogen werden, muss sich zeigen. Dasselbe gilt für die rechtliche Aufarbeitung des Skandals. Allein aufgrund der Dimension des Falles dürften sich die Verfahren jahrelang hinziehen. Ob die Taktik der Angeklagten aufgeht, alle Verfehlungen dem verstorbenen Gustavo Basso anzulasten, bleibt ebenso abzuwarten wie die Klärung der Frage, ob die mutmaßlich illegalen Geldströme rekonstruiert werden können. Sicher ist im Moment nur eines: Ein guter Krimistoff wäre die Geschichte allemal.

(1) Zur Einordnung: Gemessen am Anteil an der Wirtschaftskraft entspräche diese Summe in Deutschland knapp 15 Milliarden US-Dollar.

Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 484 April 2025, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn.

Über Wolfgang Ecker / Informationsstelle Lateinamerika:

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